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Der große Krieg hat viel dazu beigetragen, Dickons Vorstellung von der Rolle, die er auf der Welt spielt, zu klären. Er arbeitete neue, machtvolle Methoden der Propaganda aus. Es gab eine Phase in der Periode des Wiederaufbaues, da er meinte, mit Hilfe eines entsprechenden Reklamefeldzuges ließe sich das ›Tausendjährige Reich‹ in kürzester Frist verwirklichen. Ich habe in einer Reihe von Bildern gezeigt, wie er sich in den Achtziger- und in den späten Neunzigerjahren entwickelte und in der Zeit vor dem Kriege an Kraft und Selbstvertrauen gewann. Nun möchte ich dem nächsten Abschnitte vorgreifen und die Reklame-Apotheose meines Bruders hier vollenden. Ich muß, soweit ich es kann, ein Gespräch wiedergeben, das ich gegen das Ende des Jahres 1918 mit Dickon führte. Der Leser wird daraus erkennen, wie sich die Phantasie Dickons, des Reklamefachmannes, von den ersten Versuchen auf dem Gebiete des Uhrenvertriebes angefangen, zu ihrer heutigen Kraft entfaltete.

Wenn der große Krieg auch nichts geschaffen hat, so brachte er doch, zumindest dem Anscheine nach, für eine Zeit lang alles aus der gewohnten Bahn. Im Jahre 1915 herrschte allenthalben der Gedanke, daß die Gesellschaft völlig zerrüttet sei und einer Neugestaltung bedürfe. Daß sie durch diese Neugestaltung besser, gesünder, gerechter und glücklicher werden sollte, verstand sich von selbst. Das war die Rechtfertigung für einen Krieg, der sonst unerklärlich blieb; er sollte ein reinigendes Feuer sein. Mit dem Jahre 1916 war dieser Gedanke im Munde aller Optimisten, die den erschlafften Enthusiasmus der Nation aufzupeitschen sich bemühten. Er kristallisierte sich in dem Worte Wiederaufbau. Die gesamte englische Welt sprach von Wiederaufbau, angefangen von den kriegsfreundlichen Intellektuellen, die nach dem Zusammenbruch der Stockholmer Konferenz allmählich von der Kriegspropaganda zu Stillschweigen oder zur Opposition übergingen, bis zu dem lauten John Bull-Gebrüll des Horatio Bottomley, dieses populärsten aller Patrioten und Hetzer. ›Eine Welt, die für Helden taugt‹, lautete das unvergeßliche Versprechen Lloyd Georges. Das Wort Wiederaufbau wurde gleich einem Banner geschwenkt. Es flatterte so prächtig und verschwand schließlich so plötzlich, wie eine umstrittene Fahne in einem Aufruhr. Viele von uns verspüren noch heute ein Unbehagen, wenn irgendein Gedankenloser das Wort zufällig wieder aufleben läßt.

Jenes Fiasko war eine klägliche moralische Tragödie, anfänglich aber lag manch eine kühne und berechtigte Hoffnung in der Idee des ›Wiederaufbaues‹. Und durch sie vollendete sich die Entwicklung Dickons. In ihrem Banne wurde er zeitweilig ein Utopist, ein größerer Utopist sogar als ich in den Bromptoner Tagen, und plante eine Welt, die niemals noch gewesen war, die aber, wie ihm damals schien, leicht hätte werden können. Durch die Kriegspropaganda, in der er eine hervorragende Rolle gespielt hatte, waren ihm die riesenhaften Möglichkeiten klar geworden, die eine zielbewußte Leitung der großen Masse der Menschen in sich barg; die Möglichkeit zum Beispiel, hygienische Einrichtungen durchzusetzen, neue Gepflogenheiten oder Methoden anzuregen, allgemeingültige Anschauungen abzuändern und überhaupt eine Wandlung des geistigen Lebens herbeizuführen. Eine Zeit lang beschäftigte ihn diese Erkenntnis in stärkstem Maße.

Sein Utopismus war dilettantisch; er hatte die ganze Unreife eines plötzlich Bekehrten. Er wollte die Tatkraft, die sich im Ministry of Munitions entfaltet hatte, in den Dienst der materiellen Erneuerung des Landes stellen, wollte Eisenbahnen umbauen, Straßen neu anlegen, schmutzige Massenquartiere dem Erdboden gleichmachen, manche verloren gegangene Schönheit der Landschaft wieder aufleben lassen und einen großen Teil der Städte neu aufbauen. Dann wäre der Krieg wahrlich nicht umsonst geführt worden. Er sah sich selbst die aus dem Felde heimkehrenden Millionen zu reicher Arbeit zurückführen, sah die ganze Bevölkerung des Landes vermöge einer umfassenden Reklame-Organisation glücklich in erneuten, schöneren Heimstätten. ›Ein Land, das für Helden taugt‹, zitierte er immer wieder. Die Vision menschlichen Zusammenarbeitens in großem Stile, die er durch den Krieg gewonnen hatte, ließ ihn erkennen, daß es möglich ist, die Lebensmittelversorgung der ganzen Welt einer einheitlichen Kontrolle zu unterstellen, und daß Bevölkerungsteile von einem Landstrich in einen andern versetzt, in den Erfordernissen ihrer neuen Umgebung unterrichtet und zu ausdauerndem Bemühen angespornt werden können. Er hatte prächtige Augenblicke in dieser seiner utopistischen Periode.

»Der Krieg ist ein blutiges Wirrsal, Billy, aber er hat uns zumindest gelehrt, die Dinge großzügig zu handhaben, großzügig, wie die Reklame gehandhabt wird«, sagte er. »Wir lernten diese Methode am Verkauf von Senf und Automobilen, an etwas Nebensächlichem also. Nun wollen wir sie auf Wichtigeres anwenden.«

Und ein andermal: »Was ist Reklame? Sie ist Erziehung, moderne Erziehung, nicht mehr und nicht weniger. Schulmeister und Professoren bilden sich allzuviel ein. Sie halten sich für die einzigen Leute, die etwas lehren. Wir lehren zehnmal mehr. Selbst die Kerle, die den großen Wochen- und Monatsschriften die meistgelesenen Beiträge liefern – Kipling, Jack London, Bennett, Galsworthy, Wodehouse und so weiter – lehren mehr als die Schulmeister.«

»Die Schulmeister! Was ist der Unterricht in den Schulen im Grunde genommen, wenn man ihn einer scharfen Betrachtung unterzieht? Nichts weiter als eine altmodische, primitive Reklame, die mündlich in einem Zimmer gemacht wird. Der Schulmeister, der im Klassenzimmer brüllt, sollte heute ebenso überholt sein wie ein Straßenausrufer!«

»Die Hauptfrage der Schule ist heute, die Schüler so weit zu bringen, daß sie Inserate lesen können. Dann kommen wir daran. Jawohl, wir – die Reklameleute. Du magst lachen, Billy; es ist doch so. Jede neue Idee erregt zuerst Anstoß. Mach' du dich nur nicht allzu sehr über mich lustig! Sitz nicht da wie ein grinsender Dummkopf, sondern sag mir lieber, was du gegen meine Ansicht einzuwenden hast.«

»Und auch in den Schulen könnte heute über die Köpfe der Lehrer hinweg ein weit besserer Unterricht erteilt werden – mit Hilfe eines gut eingerichteten Kinos nämlich. Doch das Kino bleibt einem Haufen von Varietéstümpern und armen Choristinnen ausgeliefert, als ob es zu nichts Besserem taugte.«

Vom Kino sprach Dickon mit größtem Nachdruck, vom Radio aber – doch wo denke ich hin! Ja, man vergißt, wie schnell die Welt vorwärts schreitet. Im Jahre 1919 gab es noch kein Radio. Mit dem Radio hätte Dickon den Schulmeistern überhaupt den Garaus gemacht, hätte ihnen höchstens noch die Bedienung des Lautsprechers zugestanden.

Seine Anklagen gegen Schulmeister und Geistliche wurden um so heftiger, je lebhafter er sich ausmalte, was alles mit der Menge anzufangen wäre. Er pflegte in der prahlerischen Art des älteren Bruders auf mich einzureden, doch zwinkerte er dabei mit den Augen, aus seiner Stimme klang ein Anflug von Selbstverspottung, und er war sichtlich bereit, sein Argument jederzeit lachend fallen zu lassen, wenn es gar nicht mehr aufrecht zu erhalten sein sollte. Die Grundmotive seiner Rede waren stets leidenschaftliche Begeisterung für die moderne Reklame-Methode und Geringschätzung der feinen Sitten der Intellektuellen.

»Diese Kerle an den Universitäten bilden sich ein, es sei alles getan, wenn man sich nur sittsam in einer Ecke hält und schaudert oder verächtlich lächelt, sowie einer Lärm schlägt. Sei ehrlich, Billy: Du mußt den Leuten dein ›Tausendjähriges Reich‹ doch erklären; du mußt machen, daß es sie danach verlangt, und mußt ihnen zeigen, wie es zu erreichen ist. Dann werden sie sich's anschaffen, genau wie sie sich Lucas-Lampen, Sicherheits-Rasierklingen und anderen Kram zulegen. Der Gegenstand der Reklame ist ein anderer, die Methode aber ist dieselbe. Komm, Billy! Nimm die Dinge, wie sie wirklich sind. Bei aller Ehrerbietung –«

Sein frisches, rotes Gesicht setzte unvermittelt die Miene der Ehrerbietung auf – ein gewohnheitsmäßiges Zugeständnis, das in meinem Fall ganz unnötig war.

»Was waren die zwölf Apostel? Kundenfänger, richtige Kundenfänger. Der Artikel, in dem sie reisten, war Seelenrettung. Sie führten einen neuen Geschäftszweig ein. Warum erhob Paulus in Athen seine Stimme? Weil er nicht im Besitze eines Megaphons war. Und die Wunder, die sie vollbrachten, waren Probeflaschen. Reklame, nichts als Reklame, damals wie heute. Was ist ein am Wege stehendes Kruzifix? – Eine Reklame für den Glauben. Was ist das Christentum? – Ein Reklamefeldzug. Man muß zu den Leuten reden, muß ihnen alles sagen, was man zu sagen hat. Nur so kann die menschliche Gesellschaft bestehen.«

Er ging zur Biologie über, zur Poesie des Lebens.

»Selbst die Blumen am Wegesrand sind Reklame, für die Bienen nämlich.«

Mein Grinsen steigerte seine Kampflust.

»Du findest meine Auffassung gemein?«

»Sehr gemein.«

»Wenn die moderne Reklame etwas Gemeines an sich hat, Billy, so kommt das daher, weil sie sich soviel mit Pillen, Seife und Pökelwaren befaßt. Das ist aber eine vorübergehende Entwicklungsphase. Ein Mann, eine Klasse, eine Religion – ja – oder wer immer keine Reklame machen will, ist nicht lebensfähig. Er zeigt, daß er selbst nicht an sich glaubt. Existieren wollen und nichts dafür unternehmen, ist etwas noch Schlimmeres als Gemeinheit ... Darum schätze ich deine ›Royal Society‹ so gering, die sich ängstlich in einen Winkel drückt und bestenfalls einmal im Jahr den hochverehrten Prinzen von Wales zum Diner einlädt.

Wenn die Seifensieder nicht besser für die Verbreitung der Seife sorgten, als deine ›Royal Society‹ für die der Wissenschaft,« fügte er hinzu, »so würde sich niemand waschen.«


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