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Kein Teil der Geschichte interessiert mich in solchem Maße wie das einleitende Kapitel, zu dem es noch keine historischen Belege gibt. Da begegnet man nur wenigen Personen und Namen; der Egoismus hat keine andere Spur hinterlassen als entstellte Denkmäler, Bruchstücke der Ruhmsucht; und wir vermögen der Wirklichkeit des menschlichen Lebens näher zu kommen, als zu mancher späteren Zeit, da Könige und Fürsten und ihre schlaue Staatskunst im Vordergrunde stehen.

Gewisse bedeutsame Errungenschaften der Menschheit fallen in die sieben oder acht Jahrtausende, die unserer Zeitrechnung vorangehen. Sie entstanden allmählich, und erst heute gewinnen wir Klarheit über die Geschichte ihres Werdens. Eine dieser Errungenschaften ist die Schrift, eine andere das Geld. Schon im paläolithischen Zeitalter, vor dreißig Jahrtausenden also, kamen die Menschen der Kunst des Schreibens sehr nahe. Sie schufen nicht nur wirklich schöne Bilder gleich denen in den Höhlen von Altamira, sondern bildeten durch Vereinfachung der Linienführung gewisse konventionelle Zeichen aus, die leicht und rasch gemalt oder in Kerbhölzer eingeritzt werden konnten. Vor etlichen Jahren sah ich in einem Madrider Museum Reste paläolithischer Felsmalereien. Ein Bild stellte eine Jagdszene dar, ein anderes einen Tanz, ein drittes honigsammelnde Männer; außerdem gab es rot bemalte Kerbhölzer, die sich wahrscheinlich auf Fragen der Jagd bezogen. Ich weiß nicht, ob diese letzteren je reproduziert und veröffentlicht worden sind. Sie könnten frühchinesisch sein; das Zeichen für den Menschen zum Beispiel, ein dicker Strich und zwei dünne, die Beine andeutend, ist sehr ähnlich. Auf dieser Stufe blieb die Kunst des Schreibens während einer langen Zeitperiode. Jäger- und Hirtenvölker brauchen wohl Wegbilder und dergleichen mehr, im allgemeinen aber ist die Schrift von geringem Nutzen für sie. Mit der Entwicklung des Handels wuchs die Notwendigkeit schriftlicher Aufzeichnung. Als die Bilderschrift in eine Silbenschrift überging und die Feinheiten der Sprache immer besser wiederzugeben vermochte, mehrten sich die Möglichkeiten der Verständigung und der Machtentfaltung. Gesetze, Ansprüche und Bürgschaften konnten festgelegt werden und gewannen Dauerhaftigkeit. Die Aufzeichnung, das Dokument, die Urkunde schuf eine neue Art von Zwang.

Durch diese Errungenschaft wurde der uns allen innewohnenden Neigung, Arbeit auf andere abzuwälzen, ein reiches Feld neuer Möglichkeiten eröffnet. Der Gebieter sah sich nicht mehr genötigt, seinen Sklaven oder Bauern mit Schlägen an die Arbeit zu treiben und ihn ständig zu überwachen. Er sicherte sich das Arbeitsergebnis durch Vertrag. Ein gut Teil der besten Klugheit wurde auf die Ausarbeitung von ›Schriftlichem‹ verwendet, das die Menschen band.

Auch das Geld setzte sich im wachsenden Wirtschaftsleben der Menschen fest. Es wurde nicht eigentlich erfunden, man entdeckte nach und nach, daß es da und wie es zu verwenden sei. Es heißt, das erste Geld, das erste Zahlungsmittel sei Vieh gewesen – was durchaus einleuchtet. Schon sehr früh dürften Weiber und anderer wünschenswerter Besitz mit Vieh bezahlt worden sein. Nomadische Hirten waren ohne Zweifel die ersten Händler. Und ich glaube, die ersten Menschen, die nach Metallen und Mineralien gruben, waren ebenfalls Nomaden; doch weiß ich nicht, wie weit die Archäologen dieser meiner Meinung beipflichten. In vielen Gegenden der Welt sind Kesselflicker und Grobschmiede heute noch Zigeuner. Von Bergeshöhen und Pässen und aus Schluchten brachten Nomaden Metalle und Edelsteine in die Ebenen hinunter, wo Minerale selten waren. Vielleicht war die erste rohe Münze ein Metallstück, in das das Bild einer Kuh eingeschnitten worden war. Doch war Metall an sich selten und daher begehrenswert. Ich habe irgendwo gelesen, daß Hettiter und Spartaner Eisengeld verwendeten. Geprägtes Geld scheint erst vor fünf- oder sechsundzwanzig Jahrhunderten aufgekommen und auch dann zunächst nur unter Kaufleuten in Gebrauch gewesen zu sein; mit dem Wirtschaftsleben der Allgemeinheit hatte es anfänglich wohl wenig zu tun. Wahrscheinlich vollzogen sich noch Jahrhunderte hindurch der Ackerbau, die Errichtung von Wohnstätten und Tempeln, ja sogar der Bau von Schiffen, ohne daß es Geldes bedurft hätte.

Ich, der ich mich sehr spät erst dem Studium menschlicher Entwicklung zugewendet habe, finde immer wieder, daß die meisten Geschichtswerke dem allmählichen, aber tiefgehenden Wandel, der Neugestaltung des menschlichen Daseins durch die schriftliche Aufzeichnung und die geprägte Münze viel zu wenig Bedeutung beimessen. Das erste sporadische Auftreten von Schrift und Geld hatte wohl nur eine oberflächliche Wirkung, doch indem die beiden um sich griffen, wurde das wirtschaftliche Leben von Grund auf verändert und das uralte Spiel der Abwälzung von Arbeit auf andere außerordentlich erweitert. Schrift und Geld machten die Person des Besitzenden unsichtbar. Sie verliehen Verpflichtungen eine neue Härte. Als die Bedeutung des Geldes immer klarer erkannt wurde und seine Kaufkraft sich auf eine wachsende Menge von Dingen ausdehnte, ergab sich etwas völlig Neues: der abstrakte Reichtum. Die Menschen nannten nicht nur Vieh, Olivengärten, Schiffe, Sklaven und so weiter ihr eigen, sondern fanden sich im Besitze eines Amuletts, mit dessen Hilfe sie sich alle diese Dinge beschaffen konnten. Aus geplagten Eigentümern verwandelten sie sich in Gläubiger. Sie hatten es nicht mehr nötig, Sklaven zu halten, da ihnen nunmehr jeder Arme zur Verfügung stand, wenn sie es wünschten. Das Geld hatte die Sklaverei verallgemeinert. Sehr bald entdeckte man auch, daß es überflüssig war, gemünztes Geld im Schranke zu verwahren; ein schriftliches Zahlungsversprechen oder die Empfangsbestätigung eines zahlungsfähigen Schuldners genügte. Schon bei den Karthagern war Pergamentgeld im Umlauf.

Das Geld hat von jeher etwas Unbestimmtes an sich gehabt. Es ändert dauernd seinen Wert. Es ist nicht von einem einzelnen Menschen erfunden worden. Zu keiner Zeit hat es ein vollständiges Geldsystem gegeben, und auch heute gibt es keines. Das muß erst kommen. Ganz allmählich und unvermerkt hat das Geld von Jahrhundert zu Jahrhundert an Bedeutung gewonnen. Es ist ein unbeständiges, vielgestaltiges Etwas. Hier ist es eine Münzmarke und dort ein Stück Metall von absolutem Wert. Wo dem Wucher nicht gesteuert wird, vermehrt es sich wie die Kaninchen. Dereinst versuchte die katholische Kirche es unfruchtbar zu machen, jetzt aber hält sie Frieden und hat gegen ein frommes Vermächtnis in Schuldscheinen nichts einzuwenden. Das Geld vermehrt sich, neigt dabei aber zur Entartung. Auf allerlei dunkle und geheime Art kann man es verfälschen und damit manipulieren. Die Menschen operieren mit seinen Launen, seinen Schwankungen und erraffen Profite; aber selbst die schlauesten Spekulanten tappen bisweilen im Dunkeln. Heute ist das Geld jedermann so vertraut und ist von so grundlegender Bedeutung für das Dasein, daß die meisten Leute nicht an seine Unbeständigkeit denken wollen. Wir stellen uns nicht einmal die Frage, warum es unfruchtbar bleibt, wenn wir es in der Tasche behalten, und fruchtbar wird, sowie wir es dem Staate oder einer Bank übergeben. Wir empfinden es als unanständig, mit jemandem über seine Dividenden zu sprechen. In den meisten von uns lebt eine gefühlsmäßige Scheu, das Geld einer unbarmherzigen Prüfung zu unterziehen, – auf ähnliche Art schließt die Jugend vor Fragen des Geschlechtslebens die Augen. Wir ahnen offenbar unsere Hilflosigkeit.

Zur Zeit, da Dickon und ich in die Welt hinaustraten, war das Geld leidlich stabil. Wir nahmen es als zuverlässigen Wertmesser. Fast überall gab es eine Goldwährung, die Schwankungen der Wechselkurse waren unbedeutend, und ein allmähliches Sinken der Preise machte sich geltend, eine Tatsache, über die kaum jemand ein Wort verlor. Doch ist die allgemeine Stabilität des Geldes während des halben Jahrhunderts, das dem Kriege voranging, eine außergewöhnliche Erscheinung in seiner Geschichte.

Von den Tagen des römischen Reiches an könnte fast die gesamte Entwicklung der Menschheit als die Geschichte der Schwankungen und Veränderungen des Geldes und seiner sublimierten Form, des Kredites, dargestellt werden. Die älteren Zivilisationen des Ostens machten ohne Zweifel von Edelmetallen ausgiebigen Gebrauch; ganz Kleinasien und Griechenland prägten schon vor der Zeit des Kyros Geld; die späteren Tage der Juden waren durch Schulden und Wucher verdunkelt; in Babylon und Karthago lieh man Geld und machte Bankgeschäfte; doch erst in den Ruhmesjahren der römischen Republik begannen geldliche Zusammenhänge sich tief in das Leben der Allgemeinheit hinein zu verzweigen. Wurde vor den Tagen der Römer der gemeine Mann irgendwo in Geld besteuert? Ich bezweifle es. Durch die Benennung von Geschäften mit geldtechnischen Ausdrücken gewann der Besitz zu jener Zeit eine neue Beweglichkeit; die Zinsen steigerten sich mitunter zu ungeheuerlicher Höhe; der Gläubiger entwickelte eine noch nicht dagewesene und gefährliche Bereitwilligkeit, Geld zu verleihen, und der Schuldner sah sich im Handumdrehen zugrunde gerichtet und gepfändet. Der Bankrotteur wurde erbarmungslos bestraft. Die Geschichte Roms scheint mir vorwiegend in der Ausbeutung des kleinen Mannes zu bestehen, in Inflationen und riesenhaften Bankrotten, in Versuchen des Volkes, Verbindlichkeiten umzustoßen, und in der Unterdrückung dieser Versuche durch den Adel; zum ersten Male werden vermögende Menschen mächtiger als die Vornehmen und Herrscher. Es ist die Geschichte einer Reihe von Geschehnissen, die sich in Art und Rang von allem Vorhergegangenen unterscheiden.

Manche Historiker – wer da sagt, sie seien eben zumeist Deutsche und hätten daher naturgemäß und notwendigerweise Unrecht, hat sie noch lange nicht abgetan – behaupten, der Zusammenbruch Roms unter den Angriffen der Barbaren sei in erster Linie wirtschaftlicher Art, sei eine Folge seiner fehlerhaften Finanzen gewesen.

Der freie Bauer war, von seinen Schulden erdrückt, zum Leibeigenen geworden; als Schuldner seines Herrn wurde er geboren und lebte und starb als solcher. Und dieser Leibeigene verspürte keine Lust, sich den Eindringlingen zu widersetzen. Für ihn war der fremde Gebieter kaum etwas anderes als der römische – war doch auch dieser in vielen Fällen ein nur mangelhaft assimilierter Barbar in kaiserlichen Diensten. Ja, der Fremdling hatte sogar etwas vor ihm voraus: er setzte den Heimsuchungen durch die kaiserlichen Steuereintreiber ein Ende. Unordnung und politische Auflösung waren dem gemeinen Manne willkommen, denn sie bedeuteten das Verschwinden von Steuern, Schulden und Verträgen, die ihn niederhielten und zermalmten. Zwar mochten ungesetzliche Erpressung und Gewalttaten an Stelle der alten Übel treten, doch das waren ihrer Natur nach vorübergehende Dinge.

Diese Erklärung für den Zusammenbruch des römischen Imperiums dünkt mich sehr plausibel. Jedenfalls aber steht eines fest: das Geld- und Kreditwesen, das sich im römischen Reiche entwickelt hatte, blieb nach dessen Sturz in Trümmern zurück, um in den westlichen Staaten des späteren Mittelalters neu zu erstehen. Heute liegt es unserem gesamten wirtschaftlichen Verkehr zu Grunde. Außer der Arbeit, die Mütter für ihre Kinder und Ehefrauen der unbemittelten Stände für ihre Gatten verrichten, kenne ich keine große Gruppe von Dienstleistungen, die nicht in Geld gewertet und bezahlt würden. In den frühen Zivilisationen vor drei Jahrtausenden gab es kaum irgend welche Dienstleistungen solcher Art. Damals wurde die Arbeit durch eine besondere Begünstigung oder Belohnung vergütet; heutzutage wird sie mit etwas Abstraktem bezahlt, mit Münzen oder Banknoten, die dem Empfänger – das ist die Voraussetzung – ein gewisses Quantum beliebigen Genusses oder Besitzes zu erkaufen vermögen. Solange diese Voraussetzung stimmt, ist die Sache in Ordnung. In der alten Welt waren Dienstleistungen auf eine einfache und persönliche Art gegenseitig. Heute sind sie das nicht mehr. Sogar die Überlieferung jener Gegenseitigkeit ist verloren gegangen, und ich glaube nicht, daß sie jemals neu aufleben wird. Und all das ist nicht durch eine Umwälzung entstanden, die ein organisiertes System an Stelle eines anderen gesetzt hätte, sondern durch die allmähliche Entwicklung von Einrichtungen, Konventionen und Bräuchen, die stillschweigend oder gedankenlos hingenommen wurden. Das Geld ist nicht mit einem Schlage an Stelle einer einfacheren und weniger bequemen Einrichtung getreten; es ist eine Überlieferung, welche allmählich wuchs, bis sie ältere Bräuche verdrängt hatte.

Das Geld ist kein zuverlässiges Auskunftsmittel. Es kann versagen. In Rußland und Deutschland hat es versagt und sich wieder erholt. In keinem Lande ist es gegen Entwertung gefeit. Wenn die Menschheit das Vertrauen zum Gelde verliert, dann muß unsere Zivilisation, welche heute einzig und allein vom Gelde getragen wird, ins Stocken geraten und zu völligem Stillstand kommen. Das Geld ist heute mindestens ebenso unentbehrlich wie Wohnstätten und Kleidung. Die moderne Zivilisation gleicht einem Flugzeug in den Lüften droben, dessen einziger und sehr unvollkommener Motor plötzlich auszusetzen droht. Wenn es Glück hat, wird es bis zu einem Flugplatze gelangen und dort ausgebessert werden. Es kann sich aber auch zu einer recht unangenehmen Notlandung gezwungen sehen, die ihm wenig Hoffnung auf sofortige Wiederherstellung läßt.


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