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Paul Heyse

«Der Roman der Stiftsdame»

Das ist ein Buch von unsagbarem Zauber, voll inniger seelischer Schönheit, daß einem beim Lesen das Herz überfließt. Es kommt etwa sonst vor, daß wir nach der Lektüre eines Buches einen Ekel vor aller Welt und vor uns selber empfinden, als hätten wir an einer schnöden Tat teilgenommen; hier im Gegenteil fühlt sich das Beste in uns gestärkt und verjüngt, so daß wir uns zu allen Opfern aufgelegt spüren.

Während wir das Buch lasen, merkten wir uns, unserer Referentenpflicht eingedenk, die nennenswertesten Stellen, notierten Bemerkungen, warfen Fragen auf und billigten oder tadelten gewisse Stileigentümlichkeiten. Als wir jedoch zu Ende gekommen, sprachen wir bei uns selber: Nein! Hier soll einmal dem überwältigenden Gefühl sein ganzes Recht unverkürzt bleiben! Wir wollen uns unsere Freude nicht selbst zerstören, wir enthalten uns sogar jeder Charakterisierung des Romanes, es sei denn, daß wir einfach seine seltene Hochsinnigkeit konstatieren, und statt des Lobes diene die einfache Tatsache, daß der Referent, der sonst keinen Roman hinunterwürgen kann, diese «Stiftsdame» mit wachsender Spannung und Rührung gelesen.

Es ist in Deutschland allmählich Sitte geworden, über Heyse zu lächeln; und eine Partei neidischer Dichter heftet sich an die Fersen des feinsinnigen Mannes, um ihn bei Schritt und Tritt anzubellen. Wir aber halten es für einen unschätzbaren Gewinn, daß es in dieser Zeit der Nüchternheit und der prosaischen Überhebung einen Dichter gibt, der das Edelste im Menschen feiert, der die Seelenreinheit zu den realen Dingen zählt, weil er sie selbst spürt. Man behauptet, Heyse sei ein Frauendichter. Nun, Frauen und Dichter haben stets die lieblichsten Zusammensetzungen gebildet, und wenn es ein Tadel wäre, in einer edlen Frau das Symbol des Schönsten und Höchsten zu sehen, dann würden wir uns des Dichternamens schämen. Es liegt uns ferne, Heyse als Parteiparole ausspielen zu wollen, wie wir denn das Parteiwesen in der Poesie als Keim der Einseitigkeit und der Ungerechtigkeit gründlich hassen. Die Poesie duldet jede Vortrefflichkeit, welchen Charakter und welchen Stil dieselbe auch trage. Aber daß Edelmut, Seelenreinheit und Herzinnigkeit ‹Schwächlichkeit› heißen sollten, das werden wir niemals begreifen und, soweit das in unsern Kräften liegt, auch niemals dulden. Wenn andere Dichter andere Meister sind, um so besser, wir entbieten ihnen hiefür unsere bescheidene Ehrerbietung; aber ein Roman wie die «Stiftsdame» ist ein Geschenk, das den Leser innig mit dem Autor wie mit einem Freunde verbindet und das die deutsche Nation zu Dank verpflichtet, weil es sie adelt.


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