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Mozarts G-Moll-Symphonie

Schon vier Symphonien ersten Ranges sind diesen Winter an uns vorübergerauscht. Diesmal war es die edle G-Moll-Symphonie von Mozart, ein Werk, das an Ernst und Vornehmheit einzig dasteht und von keinem Beethovenschen Werk übertroffen wird. Jahn hat die Beobachtung ausgesprochen, daß überhaupt die Kompositionen in Moll bei Mozart regelmäßig den Höhepunkt behaupten. Das trifft allerdings zu, wie jeder Klavierspieler schon aus seiner eigenen Erfahrung weiß; er denke nur an das prächtige D-Moll-Konzert oder an die großartige C-Moll- und die elegische A-Moll-Sonate. Und ähnlich verhält es sich in dem Repertoire der Violinsonaten und Quartette.

Einfach, ohne alle schmückenden Zutaten, wurde die Symphonie uns vorgeführt, in der Erkenntnis, daß solche himmelklaren Schönheiten keiner Illustration bedürfen. Das Tempo des ersten Satzes war ruhig, die Forti in den Tutti klangen kräftig, und letzteres ist der einfache, große Haupttürschlüssel zum richtigen Vortrag der Mozartschen Werke, was wir beiläufig sämtlichen Klavierspielern zur Beherzigung anempfehlen. Die Forti sind bei Mozart dünn gesetzt, daraufhin lassen sich die meisten verführen, dieselben ein bißchen obenhin zu behandeln. Das Gegenteil muß geschehen. Wie die Spanier ein r und s schreiben, wo sie deren zwei und drei sprechen, so gibt es eine gute einfache Regel, daß überall, wo Mozart ein f schreibt, man deren zwei ausführen soll. Für diese Regel habe ich keine historischen Beweise gegenwärtig; in der Tat jedoch handeln die denkenden Klaviervirtuosen und Dirigenten danach, und unter ihnen auch Herr Volkland. Überdies beschleunigte der Taktstock in dem Generalfortissimo das Tempo, was wiederum zu den klassischen Traditionen stimmt. Mancherorts werden als Ergänzung dazu die Kantilenen zurückgehalten   in Wien hörten wir das in der auffälligsten Weise  , davon wird hier Abstand genommen. Das sind eben verschiedene Auffassungen, über welche allein der Versuch und die Erfahrung entscheidet und über welche die Mode ebenfalls ein Wörtchen mitspricht.

Der zweite Satz mit seiner eigentümlichen Mischung von duftigen Motiven und steifen Perioden gehört zu jenen großartigen Ausnahmskompositionen Mozarts, in welchen derselbe, im Bewußtsein seiner kontrapunktischen Meisterschaft, der Sonate einige Aufgaben aus dem Gebiet der altern wissenschaftlichen Motivmathematik stellte, also zu Werken wie der letzte Satz der «Jupiter-Symphonie» oder wie die «Zauberflöten»-Ouvertüre oder wie die Klaviersonate in F. Während aber in den andern Fällen ein schnelles Tempo (mindestens Allegro) zu den kühnsten Würfen und hiemit zu unnachahmlichen Meisterstücken ersten Ranges Anlaß bot, so sehen wir hier die thematische Arbeit im engen und spröden Gewande des Andante, in welchem die ätherische Leichtigkeit der Erfindung etwas fremdartig bewegt und gewaltsam zum Schleppgang genötigt wird. Wir erhalten dadurch geometrische Figuren, mit Blumen ausgeführt.

Das Menuett wurde uns in ruhig-ernstem, würdigem, fast archaistischem Tempo geboten. Damit sind wir vollständig einverstanden, da für die vorbeethovenschen Werke im allgemeinen der Grundsatz gilt: je näher der Grenze der Langsamkeit, desto schwieriger und desto besser.

Über den letzten Satz zu sprechen, dazu fehlen dem Wörterbuch die Worte. Überhaupt, was ist das für ein herrliches, stolzes Werk, jeder Satz für sich das denkbar Vollkommenste! Wer über Mozart nicht ganz ehrerbietig zu urteilen vermag, der erinnere sich nur an solch ein Werk, und er wird die Überzeugung finden, daß eine Symphonie wie die G-Moll keiner Beethovenschen an Kraft, Glut und Majestät nachgibt, daß, wenn ihr die individuelle Entfesselung mangelt, sie anderseits Tugenden aufweist, die selbst dem Größten unnachahmlich bleiben. Ich erinnere nur an die königliche Einfachheit, mit welcher der erste und der letzte Satz anheben, wo man binnen fünf Sekunden, während welcher jeder andere Komponist erst die Einleitung präpariert, schon in dem siebenten Himmel des Gesanges schwebt.


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