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Gestern morgen, Montag, den 12. April 1886, ist der deutsche Nationaldichter, das heißt derjenige Dichter, den die deutsche Nation nicht allein verehrt, sondern auch liest, begraben worden, mit einer Fülle von Ehrenkränzen und unendlichen Deputationen, nach einem beispiellos fürchterlichen Todeskampf. Unabhängig und oft in Opposition mit den kritischen Urteilen hat er sich die Herzen der Nation erobert, und wir dürfen sagen, keiner erreichte ihn an aufrichtiger Popularität. Sein Begräbnis bedeutet für Deutschland eine Nationalfeier, wie dasjenige Victor Hugos für Frankreich. Lassen wir den Menschen Scheffel beiseite, von welchem wir übrigens, im Vorübergehen, immerhin das lernen können, daß selbst ein spezifischer Kerngesundheitsdichter des germanischen Muskelstils in seinem Privatleben der berüchtigten, ehemals hoch gefeierten, heute tief geschmähten ‹Zerrissenheit› anheimfällt. Derjenige rundum urgesunde Dichter, den sich die Durchschnittsmeinung der Gegenwart als Ideal vorstellt, würde gar kein Dichter, sondern ein Pompier sein. Wir können ferner in Scheffels Privatleben die merkwürdige Erfahrung wiederholt finden, daß ein zurückgedrängtes Malertalent einen herrlichen Wurzelstock für die Poesie bildet, wie das zum Beispiel bei Keller an den Tag tritt.
Danach gehen wir zu der Poesie Scheffels über. Dieselbe ist urecht und quellenfrisch, das ist wohl noch von niemand bezweifelt worden. Ein «Ekkehard» (auch «Juniperus») gehört zu den allerschönsten Büchern des Jahrhunderts. Diese Poesie atmet harzigen Wälderduft und, was noch mehr heißen will, Gefühlsinnigkeit, und das ist die einzig wahre ‹Gesundheit› der Künste. Leider dürfen wir nicht sagen, daß Scheffel seinen Ruhm und seine außergewöhnliche Beliebtheit allein oder auch nur vornehmlich den poetischen Elementen seiner Werke verdankte. Die Schwächen derselben haben wenigstens ebensosehr zu seinen Erfolgen beigetragen. Scheffel, ähnlich dem Marquis Carabas, hat einem Kater viel zu verdanken; das meiste jedoch einem glücklichen Niveau, sowohl der Empfindung als des Humors, das mit seltenem Takte Fühlung mit dem naiven Bedürfnis behält, wie wir das in der Musik bei einem Flotow finden; der «Trompeter von Säckingen» wird unsterblich bleiben wie «Martha» oder «Undine»; und es ist weder ein Zufall noch ein beklagenswertes Vergreifen des Komponisten, daß der «Trompeter» in Liedertafelmusik gesetzt wurde. Richtet sich doch auch der Dichter an einen Leserkreis, den wir als gemischten Chor bezeichnen dürfen. Darum wird nicht nur in der Literatur, sondern auch für die deutsche Kulturgeschichte der «Trompeter» bleibende Bedeutung behalten. Wenn es sich einst darum handelt, durch die künstlichen Decken hindurch den poetischen Herzschlag des neuerstandenen Deutschlands zu fühlen, so wird man nach dem «Trompeter» von Scheffel-Neßler greifen müssen. Er ist das wahre poetische Laienbrevier des jungen Kaiserreiches.
Wollen wir das scheffelsche Talent charakterisieren, so nennen wir dasselbe ein romantisches. Wie sehr man sich auch Mühe gegeben hat, diese Eigenschaft, die ehemals für einen Ruhm galt, heute aber für einen Makel angesehen wird, bei Scheffel zu vertuschen, die Romantik läßt sich nicht wegleugnen, sie glänzt zu sonnenklar; selbst das sogenannte Gegengewicht, die Gesundheitsfrische, ist ja ein romantisches Rezept und den alten Romantikern, zum Beispiel einem Eichendorff, nichts weniger als unbekannt; desgleichen die Weinseligkeit. Scheffel ist so sehr Romantiker, daß Dichter und Romantiker sich bei ihm durchaus decken, das Außerromantische liefert nur prosaische Schlacken und Flecken. Etwas zu großen Wert scheint mir die deutsche Nekrologistik der Scheffelschen Durstlyrik beizumessen; zu der Ansicht, daß Kneiplieder «eine bedeutsame sittliche Mission erfüllen», wie die «Kölnische Zeitung» meint, kann ich mich nicht bekehren. Meiner Überzeugung nach haben nicht die Heidelberger Wirtshäuser, sondern die oberrheinischen Hügel das scheffelsche Talent befruchtet.
Von Konstanz bis Freiburg erstreckt sich ein gesegneter schöner Gau; in ihm wohnt ein aufgewecktes und rassenechtes alemannisches Völklein. Das Wiesental hatte seinen zarten, feinfühligen und geschmackvollen Hebel, dem Oberrhein wurde der etwas derbere Scheffel zuteil; beider Namen aber sind mit den genannten Landschaften ewig verknüpft und gereichen denselben zu größerer Zierde als die Schlösser ihrer Berge. Das Ländchen Baden aber darf sich glücklich schätzen, zwei Dichter von so frischquellender Poesie sein eigen zu nennen.