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«Ein Maskenball»

Es kommt selten vor, daß zwei Opern desselben Titels und Stoffes einander an musikalischem Wert die Waage halten; kommt es aber einmal vor, wie es bei dem «Maskenball» Verdis und Aubers der Fall ist, dann gibt das natürlich Anlaß zu interessanten Vergleichungen und Erörterungen. Da nun Aubers «Maskenball» schon über fünfzig und Verdis schon über fünfundzwanzig Jahre alt ist, so hat das Urteil Zeit gehabt, jedem das Seine zu erteilen; man gibt heutzutage allgemein zu, daß Aubers Musik edler und feiner, diejenige Verdis dafür packender und ergreifender sei. Übrigens hat in der theatralischen Praxis Verdi seinem Vorgänger den Rang abgelaufen, und hervorragende Kritiker, die früher zu Auber neigten, haben sich nachträglich zu Verdi bekehrt. Die Zukunft scheint deshalb der Verdischen Bearbeitung zu gehören.

Schon die szenischen Vorgänge für sich allein lohnen den Besuch. Der Text, auf einer dramatischen historischen Tatsache, der Ermordung Gustavs III. von Schweden fußend und eine meisterhafte Bearbeitung dieses Stoffes von Scribe benützend, führt uns eine Reihe fesselnder Szenen in leichtverständlicher Entwicklung vor und hält uns bis zum letzten Augenblick in Spannung. Dazu kommt noch, daß sämtliche Hauptcharaktere durch einen natürlichen, glaubhaften Edelmut der Gesinnungen und Taten unsere herzliche Teilnahme erwecken. Die historischen Persönlichkeiten haben sich allerdings aus Rücksicht für die höfische Empfindlichkeit eine Wiedertaufe und Umkostümierung gefallen lassen müssen; aus König Gustav ist Gouverneur Warwich, aus Anckarström ein Renato geworden, und die ganze Handlung wurde auf ein Schiff geladen und von Stockholm übers Meer nach Amerika versetzt. Das stimmt zu andern, ähnlichen Mißhandlungen; jedenfalls nützt es nichts, sich darüber zu entrüsten. Verdi versuchte seinerzeit das Menschenmögliche, um sich der Verstümmlung zu erwehren; er mußte jedoch, nachdem er zuerst in Neapel, später in Rom mit dem historischen Text nur Ärger und Mißerfolg erlebt, endlich der übermächtigen Dummheit weichen.

Die Musik des Verdischen «Maskenballs» bietet uns vor allem durchschlagende Gesamtstücke, namentlich bei den Aktschlüssen, daneben und dazwischen Melodien von solcher Ursprünglichkeit, daß man dieselben sogleich da capo hören möchte; Roheit und Schönheit erscheinen wie gewöhnlich bei Verdi bunt durcheinandergemischt.


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