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Meyerbeer erduldet, wie ein hervorragender Musikästhetiker mit Recht bemerkt, das eigentümliche Schicksal, daß das nämliche, was die Kritik an andern Meistern preist, bei ihm getadelt wird, ja daß ihm sogar seine leuchtendsten Vorzüge als Laster angeschrieben werden. Die italienische Schulung, welche Händel und Mozart zum Ruhm gereichen, soll Meyerbeer schänden; daß Gluck in und für Paris schrieb, war eine deutsche Kulturmissionsleistung: indem Meyerbeer dasselbe tat, verriet er sein Vaterland; romantischer Spuk gilt für einen herzerquickenden Schönheitstau im «Freischütz», für eine ekelhafte Fratze im «Robert»; geniale Instrumentalkombinationen heißen abscheuliche Raffiniertheiten, wenn Meyerbeer sie erfindet, dagegen künstlerische Großtaten, wenn Wagner sie Meyerbeer abzulesen geruht. Auch uns bedeutet zwar Meyerbeer einen musikalischen Falschmünzer, immerhin jedoch einen solchen, der über beneidenswerte Schätze an Edelmetall verfügt. «Robert» vor allem, dieser Grundstein der modernen großen Oper, verdient die gespannteste Aufmerksamkeit des Hörers, wäre es auch nur aus historischem Interesse, weil hier auf Schritt und Tritt die Erklärung der spätern, berühmten Werke vorliegt.
Wenn der Ausspruch Hanslicks richtig ist, dann hat die Unsterblichkeit sämtlicher Opern einen kurzen Atem und wächserne Flügel; nach einem Zeitlauf von fünfundfünfzig Jahren tun wir daher gut, um die Vorzüge des «Robert» allseitig zu würdigen, jenes Kunststück zu vollführen, das uns übrigens nur allzu geläufig ist, nämlich uns in die Zeit des ersten Erscheinens zurückzudenken. Webers «Freischütz», die ältere Schwester des «Robert», durchzog seit zehn Jahren im Triumph die europäischen Bühnen; Rossini erleuchtete Herzen und Geister mit seinen berückenden Melodien, galt indessen ums Jahr dreißig schon als ein allmählich erlöschender Stern. Von einem «Fidelio», komponiert von einem gewissen Beethoven, war damals gar nicht die Rede. Dagegen jauchzte die prächtige «Stumme», jene von revolutionärem und männlichem Feuer durchglühte Ausnahmsschöpfung des liebenswürdigsten aller Franzosen, welcher mit Recht den Vornamen François Esprit trägt, eben in ihrer schönsten Jugend. Da kam ein italienischer Komponist deutscher Heimat und jüdischen Stammes, der durch ein Häufchen italienischer Opern im Stil Rossinis empfohlen war, nach Paris und schrieb «Robert», den französischen «Freischütz». Die unerhörte Pracht der Partitur wirkte wie ein Zauberschlag, und die unerhörte Dummheit des Libretto schadete der Oper in den Jahren der Romantik nichts; im Gegenteil. Der vielgerühmte Text des «Freischütz» ist ja im Grunde nicht viel besser; sein Hauptvorzug vor «Robert» besteht darin, daß er germanischen statt romanischen Spuk vorbringt.
Mit «Robert» aber wurde eine ganz neue Epoche der Oper geschaffen, zu welcher auch die Gegenwart zählt, da im Grunde der Seele selbst Wagner seinem verhaßten Gegner innig verwandt ist. Das Neue an «Robert» war das Dramatische, das Effektvolle, das Romantische, die Schlauheit in der Berechnung der Mittel, aber auch die musikalische Größe. Letztere sollte niemand leugnen. Wenn wir uns vorurteilslos unserm Ohr und unserm Herzen hingeben, so hören wir in «Robert» Schönheiten allerersten Ranges; und wenn wir nachdenken, so müssen wir bewundern, wieviel ein einzelner Mensch mit einem Schlag zu leisten vermochte. «Robert» ist durchaus anders als alles, was vorher komponiert wurde, selbst als der «Freischütz», an welchen er zunächst anknüpfte. Dagegen ist seither nichts erschienen, was nicht mittelbar oder unmittelbar von «Robert» gelernt hätte. Zu solcher Prägung einer ganzen Kunstepoche bedarf es jener Eigenschaft, die man gewöhnlich Größe, aber Meyerbeer gegenüber Effekthascherei nennt.
Abgesehen von den Einflüssen des «Robert» auf die Opernmusik des übrigen Europa datiert von ihm speziell die Pariser Musik. Es gab vorher eine französische Musik, aber keine eigentlich pariserische. Der Pariser Musik ein Kränzchen zu winden, dazu sind wir freilich durchaus nicht geneigt; allein an Meyerbeer liegt nicht die Schuld, daß die gesamte Nachwelt nur seine Fehler nachahmte. Er hat der Vorzüge die Fülle; freilich liegen dieselben auf dem Wege nach Mailand und Venedig, und die moderne Oper wandelt nach einer andern Richtung, nach Walhalla, Kyffhäuser und Rabenstein.