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Wie keine andere Gestalt der neueren Geschichte bietet der ‹alte Fritz› ein Beispiel der wahren Größe. Ja er kann geradezu als ein Studienkopf für diese Qualität dienen. Sie sind nicht dicht gesät in der Geschichte, die Figuren, denen die Laune der Kritik und die Wandlungen der Forschung bei aller etwaigen Feindseligkeit das erlauchte Prädikat der Größe nicht abzustreiten wagen. Von dem ersten Exemplar dieser seltenen, für die Kultur so unermeßlich wichtigen Menschenspezies, von Themistokles an bis Friedrich, wie wenige zählen wir, und wie manche unter diesen wenigen schrumpfen bei näherer Beleuchtung zusammen. Und noch sind wir nicht am Ende der Verlustliste angelangt. Ich fürchte sehr, eine spätere, von den Traditionen des literarischen Ruhmes noch vollständiger gereinigte Forschung möchte einem Perikles und gar manchem andern Heroen der griechischen Legende den klassischen Lorbeer von der Stirn nehmen, wie sie mit dem Tugendmantel der Spartaner aufgeräumt hat. Und um in der Neuzeit zu bleiben: wie ist Napoleon der Große unter dem Licht einer bloß fünfzigjährigen Geschichtschreibung gesunken! Abgesehen von Parteistandpunkten und auf einem solchen befand sich auch Lanfrey so bedeutet für Napoleon jede neue Quelle eine neue Reduktion seines Umfangs; stets, bei jeder Annäherung, erscheint dieses blendende Riesengespenst kleiner, während umgekehrt Friedrich wächst, je mehr wir an ihn herantreten. Und was ist nun der Kern dieser merkwürdigen Eigenschaft, welche hier den einen, weit schlichtem Herrscher dem edlen Gold, dort den andern, ungleich ruhmreicheren, dem Talmi gleich erscheinen läßt; was ist mit einem Wort das Wesen der Größe?
Der Erfolg hat keine Entscheidung darüber. Ein Napoleon und vor allem ein Wilhelm der Siegreiche hat ja ganz andere Erfolge zu verzeichnen als der bescheidene Brandenburger, dessen Ziel nicht höher ging als dasjenige eines Themistokles, welcher Athen aus einer kleinen zu einer großen Stadt erheben wollte.
Es ist auch keine religiöse noch moralische Eigenschaft, sonst müßten die habsburgischen und hohenzollerschen Musterregentenpapa jedem Genie den Rang ablaufen; es ist auch nicht der Verstand, weil der Verstand mit dem Tatsächlichen rechnet und in jene Wahrscheinlichkeitsintuitionen nicht hinaufreicht, wie sie ein großer Staatsmann üben muß und um deren willen man diesen einen Narren schilt, solange er keinen Erfolg vorzeigen kann; wie wir das zu unsern Zeiten erfahren haben.
Es ist vielmehr eine produktive Kraft der Individualität, der künstlerischen Phantasie verwandt, und zwar noch mehr verwandt, als man anzunehmen pflegt. Diejenigen, welche Nüchternheit und Pfiffigkeit als die Hauptqualitäten des Staatsmanns preisen und das militärische oder das politische Talent von dem produktiven durch eine Kluft sondern, werden durch die größten Männer der betreffenden Fächer dementiert. Mit dem bloßen Diplomatenverstand bringt man es nicht weiter als zu einem Intriganten, zu einem Tugut und, wenn es hoch kommt, zu einem Metternich; mit dem soldatischen Exerziergeist zu einem Generalstabschef, niemals aber zum wahren Kriegshelden. Denn dieser, wie uns ein Friedrich, ein Cäsar und Alexander lehren, geht aus einer echten Künstlerseele hervor; dadurch eben wird er produktiv. Es gibt nichts Lehrreicheres als die Jugendgeschichte großer Männer, besonders aber der politischen und militärischen Größen. Da finden wir bei letztern schwärmerische, ja sogar ‹unmännliche›, ‹weibische› Gefühle, phantastische Dichterpläne, Tränenseligkeiten, kurz Dinge, wie sie der landläufigen Auffassung von männlicher Heldengröße so diametral wie möglich widersprechen. Welch ein Glück für die Erkenntnis des Genies, daß wir die Jugendgeschichte eines Friedrich besitzen! Ein dichtender und flötenspielender Jüngling, den sein Vater einen «effeminierten Kerl» schilt und «der den Kopf zwischen den Ohren hangen läßt und schlottrig ist», ein solcher ‹effeminierter Kerl› wird nachher der erste Kriegsheld seines Jahrhunderts! Sollten wir nicht schon um dieses einen Beispiels willen, dem wir diejenigen der übrigen Helden beifügen könnten, den Begriff von ‹Männlichkeit› und ‹Kraft› korrigieren, insofern wir damit geistige Eigenschaften meinen? Wir sollten es freilich, aber wir tun es nicht, so wenig als wir das für die künstlerische Produktivität tun, wo wir noch immer die Erfindungskraft in einem olympischen, von Muskelstolz strotzenden Körper suchen wollen, obschon wir wissen, daß Shakespeare, der doch wahrlich auch Dichterkraft besaß, bei seinen Zeitgenossen als ‹Süßling› bekannt war.
Indem nun Größe wesentlich in einer produktiven Eigenschaft besteht, erklärt es sich, warum die wahren großen Männer, welchen Faches oder vielmehr welcher Aufgabe sie auch seien, stets durch einen Originalsprudel des Geistes in ihren Reden sich auszeichnen. Ihre kleinsten Worte sind geprägt, während eine gemeine Kriegsgurgel nur durch ein abscheuliches Kauderwelsch und ein Dutzenddiplomat durch die Insipidität seiner Wortspiele die Aufmerksamkeit erweckt. In der Originalität der Sprüche liegt für den Leser der Geschichte jene Überzeugungskraft, welche die Taten allein niemals besitzen, weil die letztern an zu viele Mitfaktoren gebunden waren. Aber durch die Aussprüche kennzeichnet sich der Mensch, sei er nun Feldherr oder Künstler. Und hier eben ist Friedrich unerschöpflich reich, während uns bei Napoleon die erschreckendste Trivialität mit der ganzen Hohlheit eines mittelmäßigen Vereinsredners entgegengähnt. Man zählt von Napoleon ein einziges wirklich beglaubigtes ‹glückliches Wort›; das war, als er Moreaus Ehrendegen bewunderte und den Tadel aussprach, daß zu wenig Platz für die Inskriptionen der Moreauschen Siege wäre freigelassen worden. Wie herzerquickend klingen dagegen die tausend und abertausend herrlichen Anekdoten Friedrichs; nicht zu vergessen seine salomonischen Sprüche über Religionsübung und Staatsweisheit, die wir oft den modernen Hohenzollern so gerne zur Lektüre empfehlen möchten! Welch ein erlösender Hauch der geistigen Freiheit mutet uns an, wenn wir aus dem modernen deutschen Prinzenstil mit seiner würdevollen Ehrerbietigkeit vor dem letzten Dogma der letzten Sekte zu Friedrichs Randbemerkungen flüchten:
…In einer kleinen schlesischen Stadt wurde ein Bürger angeklagt, weil er Gott, den König und den edlen Rat gelästert habe. Der Bürgermeister berichtete es nach Berlin und empfing den eigenhändigen königlichen Bescheid: «Daß der Arrestant Gott gelästert hat, ist ein Beweis, daß er ihn nicht kennt; daß er mich gelästert hat, vergebe ich ihm; daß er aber einen edlen Rat gelästert hat, dafür soll er exemplarisch bestraft werden und auf eine halbe Stunde nach Spandau kommen.»
Es gibt überhaupt keinen schärferen Kritiker des neubrandenburgischen deutschen Geistes als Friedrich den Großen. Sein ganzes Dasein wirkt wie eine überlegene Satire auf die Engherzigkeit des moderndeutschen Horizontes. Zu den kosmopolitischen ‹fremdsüchtigen Lakaien› kann man Friedrich doch wohl nicht zählen. Daß er aber neben seinen kriegerischen und politischen Heldentaten noch Raum in seiner Seele für alles Humane in Kunst, Wissenschaft und Literatur fand, daß er die Nationen, die er bekriegte, nicht zugleich befeindete, das erhebt ihn haushoch über jede andere Figur der preußischen Geschichte. Stellt Bismarck neben das Bild Friedrichs des Großen, und ihr habt ihn gemessen!
Es ist interessant zu beobachten, mit was für Mienen das Gedächtnis des Todestages in Preußen offiziell gefeiert wird. Mir will es fast dünken, als gleichen die Mienen ein wenig der Grimasse. Die Verehrung eines Friedrich Wilhelm IV. oder III. ist jedenfalls aufrichtiger als diejenige des unbequemen Großen, der über alles dasjenige spottete, wovor seine Nachkommen die Hand an den Helm legen.
Die Parole ist ausgegeben, in Friedrich den deutschen Patrioten und Vorbegründer des Deutschen Reiches zu feiern. Das sind Unrichtigkeiten, zum größten Teil sogar Unwahrheiten. Friedrich der Große ist niemals ein Deutscher gewesen; er war als Denker Europäer, das heißt Humanist und Philosoph, als Arbeiter ein partikularistischer Preuße, den das Schicksal des Deutschen Reiches nicht im mindesten kümmerte. Aus solchen antinationalen, egoistischen Separationen kann möglicherweise später Heil kommen, möglicherweise führt es auch zur Vernichtung des gemeinsamen Vaterlandes. Die Meinung, daß eine ehrliche Unterordnung Preußens unter das deutsche Kaiserreich Deutschland gestärkt haben würde, kann gar wohl wieder einmal an Ansehen gewinnen; denn wir stehen nicht an der Tage Abend; die Kraft der neu erstandenen deutschen Reichshälfte wird sich noch gegen schwere Stürme zu erproben haben. Daß man aber jede egoistische, nationalverräterische Tat, die Preußen im Laufe der Geschichte begangen, ihm zum patriotischen Ruhm anrechnen möchte, das gehört mit zu jenem perversen Strebereifer, welcher gegenwärtig so viele deutsche Urteile fälscht und so viele ausländische Sympathien erkältet.