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Die Kaserne als Hochschule

Zur «Geschichte der Kriegswissenschaften» von Max Jähns

Wenn einer vor zwanzig Jahren in Deutschland behauptet hätte, eine Armee wäre eine Kulturmissionsanstalt, so würde er dem Humangeschrei sämtlicher Gebildeten anheimgefallen sein; wenn jemand heutzutage dasselbe bezweifelt, zuckt alle Welt die nationalen Achseln. Nach dem bekannten geometrischen Grundsatz, laut welchem zwischen zwei beliebigen Punkten die Wahrheit immer in der Mitte liegt, müßten wir jetzt schließen, die Armee sei einerseits dieses schlimme Übel nicht, für welches man sie ehedem ausgab, andererseits werde sie gleichwohl nicht mit den geistigen Faktoren, Religion, Philosophie, Kunst, Wissenschaft und Technik, konkurrieren können. Dieser Schluß, welcher zufällig richtig ist, beliebt indessen keineswegs; man treibt im Gegenteil die Sache auf die Spitze und lehrt jetzt, die Armee bedeute die oberste Kultur- und Tugendschule einer Nation, eine Art Andragogium, in welchem selbst die geistige Elite eines Volkes unersetzlichen Lerngewinn erziele. Das ist einmal die Art; die öffentliche Meinung gleicht einer öffentlichen Steigerung, wo jeder den andern überbietet, bis die traute Einseitigkeit erreicht ist. Einseitig erscheint denn ebenfalls Major Jahns, da er auch nicht den kleinsten jener großen Nachteile, welche das Armeewesen der Kultur bringt, zugeben will; ja er zitiert mit vollem Einverständnis jenen naiv-borussischen Ausspruch des genialen Scharnhorst: «Hat die Vorsehung unmittelbar den Menschen eine neuere Einrichtung eingegeben (!), so ist es die Disziplin der stehenden Armee.» Wie gefällt dem Leser das Bild Gottes in Generalsuniform, wie er in strammer Haltung dem König Wilhelm die Disziplin der stehenden Armee inspiriert? Die Metaphysik der militärischen Hochschule läßt jedenfalls zu wünschen übrig.

Daß eine auf breiter Volksgrundlage erlesene und von kleinlicher Dressur befreite Armee der Gesamtheit beachtenswerte Vorteile bringe, das soll, wie gesagt, bereitwillig zugestanden werden. Jenen absoluten Kanonenstandpunkt der preußischen Generalstabsphilosophen, von welchem aus man den Pulverdampf zur Luftkur empfiehlt, wird zwar ein Ausländer schwerlich jemals ersteigen; immerhin bleibt den preußischen Militärschriftstellern das Verdienst, den moralischen Wert der Armee zu einer Zeit erkannt und verteidigt zu haben, als die ganze Welt Friedensgebärden affektierte. Und worin die Herren Offiziere damals recht hatten, darin behalten sie auch heute recht. Wahr ist vor allem, daß eine tüchtige Armeedisziplin auf die körperliche Entwicklung eines Volkes einen wunderbaren Einfluß übt, daß sie nicht bloß die Gesundheit, sondern auch die Kraft und Schönheit fördert, daß sie mit einem Wort die Rasse veredelt. Wahr ist ferner, daß die körperliche Vollkommenheit gewisse moralische Tugenden von selbst mitbringt: Männlichkeit und Mut, vielleicht sogar Offenheit. Wahr bleibt ebenfalls, daß die militärische Uniformität zu dem staatlichen (nicht nationalen) Einigkeitsgefühl der Bürger ein Mächtiges beiträgt, mithin den Patriotismus schürt. Wahr bleibt endlich, daß den untern Volksklassen der militärische Unterricht die Kenntnisse bereichert, den geistigen Horizont erweitert und allfällige Roheiten poliert. Alle diese Vorteile lassen sich in den einen Satz zusammenschließen, daß eine gutgeschulte Armee nicht allein in Kriegszeiten die Existenz eines Staates schützt, sondern schon im Frieden die Existenzkraft desselben befestigt und erhöht, wie sie denn unter anderm das beste Präservativ oder Repressiv aller anarchischen, freilich auch aller liberalen Zustände heißen darf. Ob sie ebenfalls als Präservativ gegen weibliche Ansprüche gelten soll, wie Major Jähns meint, wollen wir dahingestellt sein lassen: die Frauen scheinen mir eher als süßes Gegengift gegen jede männliche Einseitigkeit, sei es nun gelehrte oder militärische, «von der Vorsehung unmittelbar eingegeben» zu sein, um mit Scharnhorst zu reden.

Staatlichen Zielen also dient die Armee vortrefflich, das ist gewiß; es ist sogar so gewiß, daß man dies schon vor tausend Jahren wußte. Über diese Ziele hinaus jedoch reicht ihr Segen nicht, und wer ihr nationale Berufung nachrühmt, täuscht sich schon. Im Gegenteil nämlich hat sich die militärische Disziplin stets als brudermörderisch erwiesen; jede streng geschulte Truppe marschiert und feuert auf jedermann, und sei es gegen den nächsten Stammesgenossen, die Serben gegen die Bulgaren, die Preußen gegen die Österreicher; wer andere Uniform und Fahne bekennt, der ist ‹hostis›, und mögen tausend ideale und natürliche Bande die Völker verbinden. Man unterscheide also etwas genauer.

 

Schreiten wir aus dem Staatlichen ins Allgemeinmenschliche, das heißt also in die Kultur, so erweisen sich sämtliche Vorteile der Disziplin als Spiegelfechtereien; was wir im besondern darlegen wollen.

Die menschliche Kultur läßt sich in eine wirtschaftlich-technische, in eine wissenschaftliche, in eine künstlerische, in eine moralische einteilen. Was nun die erste Gruppe betrifft, so sind meines Wissens die Nationalökonomen darin einig, daß Krieg und Kriegswesen keine produktiv-wirtschaftlichen Faktoren bedeuten und die Menschheit nicht bereichern. Wenn aber die Herren Generalstabsökonomen wie zum Beispiel Major Jähns vorgeben, die Kriege würden durch die allgemeine Wehrpflicht wegen der großen Opfer rarifiziert, so erinnert das wieder ein wenig an den Katechismus des deutschen Schullehrers von Königgrätz. Alles Können und Vermögen der Menschen verlangt nach Betätigung; ein kriegerisch starkes Volk wird mit der Zeit, allen Opfern zum Trotz, ein kriegerisches Volk werden; denn die Opfer, die im Frieden gebracht werden, sind saurer als die andern, weil sie des glänzenden Lohnes entbehren. Übrigens wird die betreffende Behauptung schlagend durch Moltke selber widerlegt, welcher prinzipiell nicht die mindeste Abneigung gegen den Krieg bekundet, sondern denselben im Gegenteil als nationales Gesundheitsexerzitium anrät.

Was die Wissenschaft dabei gewinnen soll, wenn die Herren Studenten ihre Studien unterbrechen, das ist noch nicht ganz klar; daß dieselben an Wissen nicht viel verlieren, mag allerdings seine Richtigkeit haben. Aber Wissen ist nicht Wissenschaft. Zur Wissenschaft gehört neben Kenntnissen freie Denkungsart, Überzeugungsmut und Begeisterung. Ob diese Tugenden durch die militärische Disziplin begünstigt werden, bleibt mehr als fraglich, um so mehr, als Scharfsichtige in Deutschland schon einige Spuren von kommandierter Geistesverfassung erblicken wollen. In der Tat erinnert die Art, wie gegenwärtig die deutschen Klassiker gefeiert werden, mitunter an ein allgemeines Feldgeschrei; und Goethe strahlt allmählich im Glanz eines Höchstkommandierenden der Poesie. Hören wir zum Beispiel, wie einer der feinsten Denker und Kenner der europäischen Völker, Hillebrand, urteilt: «Die Nation, in der Madame de Staël keine zwei Köpfe fand, welche gleich über einen Gegenstand dachten, ist merkwürdig herdenartig geworden, ja fast einförmig; der große Produzent und Konsument von Originalideen scheint heute damit zufrieden, von einigen wenigen mechanisch wiederholten Schlagwörtern zu leben.» Und dieser Umschwung erfolgte binnen zwanzig Jahren!

Steigen wir zur Kunst empor, so nenne ich jede Behauptung, als ob die Kunst direkt oder indirekt vom Militärwesen Gewinn ziehe, einfach ungereimt. Man braucht nur zu versuchen, an einen Major Raffael oder Artilleriehauptmann Beethoven zu denken, um die Unsumme von Aberwitz zu ahnen, welche jene Behauptung einschließt. Die Armee verlangt unbedingtes Aufgeben der Individualität, die Kunst dagegen begehrt stolze, übermächtige und unbeugsame Individualität. Auch bemerke ich nicht in der Geschichte, daß die militärischen Epochen und Nationen, welche Major Jähns verherrlicht, sich in der Kunst hervorgetan hätten; weniger die Spartaner, Mazedonier, Römer und Preußen mit ihrer militärischen Hochschule haben sich in der Kunst ausgezeichnet als vielmehr die Italiener, welche malten, während ihre Söldner kämpften. Die Söldnerei scheint also nicht bloß dem Merkantilismus und der Technik wohl zu bekommen und der Artillerie, sondern auch dem Genie.

Es bliebe nun noch übrig, von der Moral zu reden; allein das ist eine bedenkliche Aufgabe; denn das Problem schiebt sich zwischen den Gegnern unauflöslich hin und her; auf der einen Seite wird der mechanische Gehorsam als ein Tugendexerzitium der Selbstüberwindung gelobt, auf der andern Seite schilt man ihn eine Anleitung zur Servilität. Schließlich läuft die Sache auf nationale Eigentümlichkeiten hinaus, wo alle menschliche Weisheit ihr Ende findet.

Um aber die Zweideutigkeit des Problems zu zeigen, erinnere ich beispielshalber an die religiösen Übungen der Soldaten, wo nach Kommando regimenterweise abgebetet wird, wie man abkocht oder abmarschiert.

Dafür läßt sich manches anführen, dawider noch weit mehr; wollten wir auf dieses Beispiel eingehen, wir müßten ihm ein besonderes Kapitel widmen.

 

Mit all diesen Erörterungen hoffe ich so viel erzielt zu haben, daß der freundliche Leser, den Aposteln des Kanonenevangeliums und der Schwefelkultur zum Trotz, fortfahren wird, die Armee nicht als eine Hochschule oder Missionsschule zu betrachten, sondern als eine Militärschule. Herrn Jahns aber möchte ich zum Schluß entgegenhalten, daß es im höchsten Grade für die Kultur des Menschengeschlechtes wünschbar bleibt, es gebe in einem jeden Volke so und so viele Männer, welche auch nicht ein einziges Mal in ihrem Leben auf Kommando das Bein vorgestreckt oder die Augen links gerichtet haben. Auch halte ich es für keinen Schaden, wenn die geistigen Kreise einer Nation selbst die einfachsten Elemente der Achselklappologie ignorieren.


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