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153. An Paul Deussen.

Sils-Maria, d. 14. Sept. 1888.
Adresse bis 15. November: Torino (Italia),
ferma in posta
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Lieber Freund,

ich möchte Sils nicht verlassen, ohne Dir nochmals die Hand zu drücken, in Erinnerung an die größte Überraschung, »die größte Überraschung«, Prof. Deussen hatte eine Geldspende von 2000 Mk. eines ungenannten Verehrers, die als Beitrag zu den verschiedenen Druckkosten Nietzsches gemeint war, an diesen übermittelt. die mir dieser an Überraschungen reiche Sommer gebracht hat. Auch darf ich jetzt wieder mutiger reden als damals, wo ich Dir zu antworten hatte: die Gesundheit ist seitdem wieder gekommen mit dem »besseren« Wetter (denn der Begriff »gut« ist für Meteorologen und Philosophen impraktikabel). Zwar hatten wir die allerletzte Woche noch den eigentlichen Exzeß des ganzen Jahrs – eine wahre Sündflut, die die ernstesten Überschwemmungsnotstände im Ober- und Unterengadin hervorrief. Es fiel in 4 Tagen 220 Millim. Niederschlag, während das Normalquantum eines ganzen Monats hier 80 Millim. ist. – Du wirst noch in diesem Monate eine Zusendung erhalten: eine kleine ästhetische Streitschrift, in der ich, zum ersten Male und auf die unbedingteste Weise, das psychologische Problem Wagner ans Licht stelle. Es ist eine Kriegserklärung ohne pardon an diese ganze Bewegung: zuletzt bin ich der einzige, der Umfang und Tiefe genug hat, um hier nicht unsicher zu sein. – Daß eine Schrift von mir, ein Pamphlet, wenn man will, gegen Wagner, eine gewisse Aufregung mit sich bringt, gibt mir schon der letzte Bericht meines Verlegers zu verstehn. Bloß auf die vorläufige Ankündigung im Buchhändler-Börsenblatt hin sind so viel Bestellungen eingelaufen, daß die Auflage von 1000 Ex. als erschöpft betrachtet werden kann (d. h. wenn die Exemplare, die verlangt sind, später nicht den Krebsgang gehn ...). Lies die Schrift einmal auch vom Standpunkt des Geschmacks und Stils: so schreibt heute kein Mensch in Deutschland. Es würde ebenso leicht sein, die Schrift ins Französische zu übersetzen, als schwer, fast unmöglich, sie ins Deutsche zu übersetzen ...

– Es ist bereits ein andres Manuskript bei meinem Verleger, das einen sehr strengen und feinen Ausdruck meiner ganzen philosophischen Heterodoxie gibt – unter vieler Anmut und Bosheit versteckt. Es heißt: » Müßiggang eines Psychologen«. »Müßiggang eines »Psychologen«, dies der ursprüngliche Titel der »Götzendämmerung«. – Zuletzt sind diese beiden Schriften nur wirkliche Erholungen inmitten einer unermeßlich schweren und entscheidenden Aufgabe, welche, wenn sie verstanden wird, die Geschichte der Menschheit in zwei Hälften spaltet. Der Sinn derselben heißt in drei Worten: Umwertung aller Werte. Es steht vieles hinterdrein nicht mehr frei, was bis jetzt frei stand: das Reich der Toleranz ist durch Wertentscheidungen ersten Rangs zu einer bloßen Feigheit und Charakterschwäche heruntergesetzt. Christ sein – um nur eine Konsequenz zu nennen – wird von da an unanständig. – Auch von dieser radikalsten Umwälzung, von der die Menschheit weiß, ist vieles bei mir schon in Fluß und Gang. Nur, nochmals gesagt, habe ich jede Art Erholung und Seitensprung nötig, um das Werk ohne jedwede Mühe, wie ein Spiel, wie eine »Freiheit des Willens« hinzustellen. Das erste Buch davon ist zur Hälfte vollendet. – Mein alter Freund, Du errätst, daß es etwas in diesem und in den nächsten Jahren zu drucken gibt – und daß wirklich jene seltsame Geldgroßmut in einem entscheidend guten Augenblick an meine Tür klopfte. Man muß zu allem Glück haben, selbst noch zum Gutestun ... Ein paar Jahre früher – wer weiß, was ich Dir geantwortet hätte! – Mit dem herzlichsten Gruße Dein Freund

Nietzsche.

– Ich sende auch ein Exemplar an Herrn Rechtsanwalt Volkmar. –


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