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8. An Mutter und Schwester.

Leipzig, zweite Hälfte Juni 1866.

Liebe Mama und Lisbeth,

ich hoffe, daß Ihr Euch eine Zeitung haltet, so daß Ihr mit Eifer verfolgt habt, was die letzten Wochen für entscheidende Ereignisse gebracht haben. Die Gefahr, in der Preußen steckt, ist ungeheuer groß: daß es gar durch einen vollkommenen Sieg imstande wäre, sein Programm durchzusetzen, ist ganz unmöglich. Auf diese revolutionäre Weise den deutschen Einheitsstaat zu gründen, ist ein starkes Stück Bismarcks: Mut und rücksichtslose Konsequenz besitzt er, aber er unterschätzt die moralischen Kräfte im Volke. Immerhin sind aber die letzten Schachzüge vorzüglich: vor allem hat er es verstanden, auf Östreich einen gewaltigen, wenn nicht den größten Teil der Schuld zu wälzen.

Unsre Lage ist sehr einfach. Wenn ein Haus brennt, fragt man nicht zuerst, wer den Brand verschuldet hat, sondern löscht. Preußen steht in Brand. Jetzt gilt es zu retten. Das ist das allgemeine Gefühl.

Mit dem Moment, wo der Krieg begann, traten alle nebensächlichen Rücksichten zurück. Ich bin ein ebenso enragierter Preuße, wie z. B. der Vetter ein Sachse ist. Für alle Sachsen ist es aber eine besonders schwere Zeit. Ihr Land vollkommen in Feindesland. Ihre Armee ruhig und untätig. Ihr König fern von den Seinen. Einem andern König und einem Kurfürsten hat man einfach das Garaus gemacht. Das ist die neueste Erklärung des Fürstentums »von Gottes Gnaden«. Da begreift man es, wenn der alte Gerlach mit einigen westfälischen Borneos gegen den Bund mit der gekrönten (Victor Eman.) und nicht gekrönten Demokratie schimpft.

Am Ende ist diese preußische Art, die Fürsten loszuwerden, die bequemste von der Welt. Es ist geradezu ein Glück, daß sich Hannover und Kurhessen nicht an Preußen anschlossen: sonst wären wir in Ewigkeit nicht von diesen Herren losgekommen.

Wir leben also in der preußischen Stadt Leipzig. Heute ist der Kriegsstand für ganz Sachsen erklärt worden. Allmählich lebt man wie auf einer Insel, weil die telegraphischen Nachrichten und die Postverbindung und die Eisenbahnen in fortwährender Störung sind. Nach Naumburg natürlich, wie überhaupt nach Preußen, geht alles wie sonst. Aber z. B. einen Brief an Deussen nach Tübingen zu befördern, ist kaum eine Möglichkeit.

Dabei dauern die Vorlesungen ungestört fort. Wie ich neulich von Naumburg zurückkam, fand ich einen Brief von Ritschl vor, worin er mir die Ankunft der römischen Collation anzeigt. Die Pariser kommt Ende dieser Woche.

Trotzdem bin ich mir immer bewußt, daß der Tag sehr nahe ist, wo ich einberufen werde. Dazu ist es nachgerade unehrenhaft, zu Hause zu sitzen, wo das Vaterland einen Kampf um Leben oder Tod beginnt.

Erkundigt Euch einmal ganz genau auf dem Land[rats]amte, wann die Einberufung der Einjährig-Freiwilligen stattfindet und gebt mir in Kürze Nachricht.

Das Erfreulichste, was noch Leipzig bietet, ist die Hedwig Raabe, als welche fortfährt, vor ausverkauften Häusern zu spielen, in einer Zeit, wo das Dresdener Theater z. B. eines Tages 6 Taler einnahm.

Lebt heute recht wohl und laßt mir bald wieder Wäsche und Nachrichten zuteil werden. Ich grüße Euch herzlich

F. W. N.

Fortsetzung.

Da der Brief liegengeblieben ist, so wird es Euch schwerlich wütend stimmen, wenn Ihr noch einen Nachtrag bekommt. Ich bin 3 Tage krank gewesen, aber heute geht es wieder. Die Hitze muß mir geschadet haben. Das ist aber gleichgültig. Wichtig ist aber, daß unsre Soldaten ihren ersten größern Sieg erfochten haben. Vorgestern abend wurde es durch unsern Stadtkommandanten bekanntgemacht, der sogleich eine immense schwarzweiße Flagge an seinem Hotel aufhissen ließ. Die Stimmung der Bevölkerung ist sehr geteilt. Man glaubt den armseligen Wiener Lügen, nach denen alle diese letzten Treffen ebenso viele Verluste für die Preußen sind, man erzählt sich von einer Gefangennahme von 15 000 Mann Preußen. Das glaube der Teufel. In Wien werden ja zur Ermutigung der Massen alle Depeschen gefälscht und umgedreht.

Ich bin beiläufig äußerst ergötzt über den glänzenden Durchfall (ðáððÜî) der Naumburg-Zeitzer Konservativen bei den letzten Wahlen. Wir wünschen keine Egoisten in der Kammer, die, um sich zu fördern, schön tun, nach dem Mund reden, sklavisch wedeln und vor lauter Ergebenheit platzen wie die Boviste. Und es gab einen großen Gestank.

Euren Brief mit dem Gersdorffs bekam ich und kann Euch der Angst entledigen. Als ob Ihr so viel sicherer wäret als ich in Leipzig. Jetzt bleibe ich hier und möchte in diesen Zeiten wirklich nicht gern in einem etwas schläfrigen, zeitungslosen und kreuzzeitungsdunstaushauchenden Neste stecken.

Ich habe für Gersdorffs ersten Bruder rechte Besorgnisse. Die Ziethenschen Husaren waren die ersten im Feuer und sollen stark gelitten haben. Unser Gersdorff hofft in frühstens 3 Monaten Offizier zu werden, wenn nicht etwa alberne Kadetten ihm vorgezogen werden.

Hiermit gehabt Euch wohl; wenn das Lama Geburtstag feiert, dürfte ich nach Naumburg kommen. Ich bitte aber vorher um einen Brief wegen der Aushebungsgeschichte.

F. W. N.


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