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60. An Freiherrn von Gersdorff.

Basel, 1. April 1874.

Lieber getreuer Freund, wenn Du nur nicht eine viel zu gute Meinung von mir hättest! Ich glaube fast, daß Du Dich einmal über mich etwas enttäuschen wirst; und will selbst anfangen, dies zu tun, damit daß ich Dir aus meiner besten Selbsterkenntnis heraus erkläre, daß ich von Deinen Lobsprüchen nichts verdiene. Könntest Du wissen, wie verzagt und melancholisch ich im Grunde von mir selbst, als produzierendem Wesen, denke! Ich suche weiter nichts als etwas Freiheit, etwas wirkliche Luft des Lebens und wehre mich, empöre mich gegen das viele, unsäglich viele Unfreie, das mir anhaftet. Von einem wirklichen Produzieren kann aber gar nicht geredet werden, solange man noch so wenig aus der Unfreiheit, aus dem Leiden und Lastgefühl des Befangenseins heraus ist: werde ichs je erreichen? Zweifel über Zweifel. Das Ziel ist zu weit, und hat mans leidlich erreicht, so hat man meistens auch seine Kräfte im langen Suchen und Kämpfen verzehrt: man kommt zur Freiheit und ist matt wie eine Eintagsfliege am Abend. Das fürchte ich so sehr. Es ist ein Unglück, sich seines Kampfes so bewußt zu werden, so zeitig! Ich kann ja nichts von Taten entgegenstellen, wie es der Künstler oder der Asket vermag. Nie elend und ekelhaft ist mir oft das rohrdommelhafte Klagen! – Ich habs augenblicklich etwas sehr satt und über.

Meine Gesundheit ist übrigens ausgezeichnet: sei ganz unbesorgt. Aber ich bin mit der Natur recht unzufrieden, die mir etwas mehr Verstand, nebst einem volleren Herzen, hätte geben sollen – es fehlt mir immer am Besten. Das zu wissen ist die größte Menschenquälerei.

Die regelmäßige Arbeit in einem Amte ist so gut, weil sie eine gewisse Dumpfheit mit sich bringt: man leidet so weniger.

Im Herbst also – ach Du verstehst das »Also« doch? – müssen wir uns sehen, beim concilium subalpinum sive Rhaeticum. »concilium subalpinum sive Rhaeticum« wurde eine für den Herbst 1874 geplante Zusammenkunft der Freunde in Flims genannt, die sich aber nicht verwirklichte. Wenn wir alle zusammen sind, kommt ein ganzer Kerl heraus, der keinen Grund hat, sich zu betrüben. Gemeinsam und zusammen sind wir ein Wesen, welches »Freude trinken« darf – an den Brüsten der Natur. Sage mir doch ganz genau, wann es Dir erlaubt ist, hierher zu kommen! Rohde hat im letzten Briefe definitiv zugesagt. Overbeck auch, Romundt (seit gestern unser Hausgenosse) auch. Ich, der ich die wenigsten Ferien habe, denke doch die erste Hälfte des Oktober zur Disposition zu sein. Kannst Du diese Zeit uns schenken? – Lieber, teurer Freund! –

Hast Du zufällig gehört, daß Professor Plüß in Schulpforte, Nachfolger Volkmanns, in der Naumburger Litteraria einen »begeisterten« Vortrag über die »Geburt der Tragödie« und die Straußiade gehalten hat? Sehr scherzhaft und unglaublich, nicht wahr? – [– –]

Die gute Meysenbug schickte mir schöne frische Blumen, Frühlingsboten vom Mittelländischen Meere.

Ich lege einen schönen und auch für Dich lehrreichen Brief Rohdes »lehrreicher Brief Rohdes«, er enthielt eine Kritik der 2. Unzeitgemäßen. bei; gelegentlich wieder zurückzugeben!

Herrliche Briefe der Bayreuther.

Dank für die Druckfehler: aber der wichtigste fehlt, Höderlin für Hölderlin. Aber nicht wahr, es sieht wunderschön aus? Aber es verstehts kein Schwein.

Meine Schriften sollen so dunkel und unverständlich sein! Ich dachte, wenn man von der Not redet, daß solche, die in der Not sind, einen verstehen werden. Das ist auch gewiß wahr: aber wo sind die, welche »in der Not« sind?

Erwarte jetzt nichts Literarisches von mir. Ich habe für mein Sommerkolleg viel vorzubereiten und tue es gern (über Rhetorik).

Übrigens ist viel seit Weihnachten durchdacht und ausgedacht worden.

Sei herzlich gegrüßt und grüße Deine verehrten Eltern.

Ja wenn man keinen Freund hätte! Ob mans noch aushielte? ausgehalten hätte? Dubito.

Fridericus.

Basel, 1. April 1874.


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