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Basel, 1. Juni 1874.
Liebster Freund,
ich erfahre soeben wieder durch Gersdorff und die Bayreuther, daß man sich sehr wieder um mich sorgt, daß man meine Stimmung gefährlich und galgenhumoral findet usw. Nun, ich kann mir nicht helfen, einige Menschen sehen aus der Ferne besser als ich aus der nächsten Nähe – und so mag wohl etwas an der Besorgnis daran sein. Nur daß mein Befinden, leiblich gesprochen, gut ist: Magen, Stuhlgang, Gesichtsfarbe, alles gesund; dazu bin ich wieder in leidlich produktiver Seelenverfassung, also heiter, habe meine Schwester bei mir, kurz, ich sehe einem Glücklichen so ähnlich, als ich überhaupt weiß, was Glück ist – nämlich daß es etwas dergleichen gibt, ist kein Zweifel.
Nun lies den Gersdorffschen Brief und denke Dir Dein Teil dabei. – Wüßte ich nur, daß es Dir nicht schlimmer ginge als mir! Ich seufze, wenn ich an Dich denke.
Sage einmal, liebster Freund, willst Du nicht auch das Mittelchen gebrauchen, das ich selbst, ebenso Overbeck, gebrauchen? Man ritzt sich die Adern und läßt etwas Blut fließen – unzeitgemäß, wie die andern schreien, die den Aderlaß als ein überwundenes und antiquiertes Heilmittel betrachten. Ich meine: willst Du nicht auch einmal Dein und unser Elend etwas ausschütten und sagen, was Du leidest? Es liegt ganz gewiß etwas Befreiendes darin, den Leuten grob zu sagen, wie unsereiner sich eigentlich unter ihnen befindet. Beseitigen wir den Bandwurm der Melancholie schriftlich – indem wir die andern zwingen, unsre Schriften zu verschlucken.
Habt Ihr auch so herrliche Mondabende? Man mag gar nicht in die Häuser zurück und mitunter glaube ich wirklich, daß die Luft singt. – Ich habe eben die Vorrede zu meiner dritten Unzeitgemäßen geschrieben.
Einen schönen, allerherzlichsten Sonntagsgruß!
Dein Friedrich N.
1. Juni 1874. Basel.