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Basel, 28. April 1874.
Ein längerer Brief, lieb und werter Herr Doktor, soll Ihnen ad oculos demonstrieren, wie es mir mit meinen oculis geht, nach deren Befinden Sie sich so teilnehmend erkundigen; und noch mehr scheint es mir endlich an der Zeit zu sein, Ihnen etwas ausführlicher und ausdrücklicher zu sagen, wie ich, in dem letzten Jahre, Ihrer sehr viel, mit manchem Wechsel der Empfindungen, mit Hoffnung und Bangen bisweilen, gedacht habe, immer aber getreu des guten Glaubens und Vertrauens, daß Sie die seltne Kraft besitzen, sich selbst zu helfen: womit freilich auch gesagt ist, daß solchen Naturen auch gar nicht anders geholfen werden kann. Erwarten Sie also auch von Freunden nichts als ein teilnahmevolles Zuschauen Ihres »Ausringens und Emporringens« (Straußisch zu reden), erwarten Sie ja nicht Ratschläge, Aufforderungen, Zurufe, mit denen Ihnen nicht genützt werden kann: so sehr man aus der Ferne einmal und öfter sich versucht fühlt, Ihnen die Hand recht herzlich hilfreich entgegenzustrecken. Neulich zum Beispiel fiel mir ein: warum rät denn niemand dem Dr. Fuchs, seine mannigfaltigen kleineren Abhandlungen, die bis jetzt getrennt und dazu in Fetzen publiziert und, weil in Musikblättern, nicht einmal recht publiziert wurden, schnellstens zusammen zu drucken? Ich dachte mir, es müßte Sie erheitern, den Leuten einmal eine vorläufige Probe Ihrer philosophischen, theologischen, musikalischen, schriftstellerischen Begabungs fülle zu geben: ganz vorläufig, ohne sich mit der Redaktion irgendwelche Mühe zu machen, ganz nebenbei, nur um einmal den Bann der Musikblätter zu durchbrechen und sich selbst eine kleine Ermutigung zu machen. Ich dachte an Ihren Aufsatz »Ich dachte an Ihren Aufsatz« usw. Die Titel der hier angedeuteten Aufsätze von Dr. Fuchs lauten: »Symptome« (gegen Lotze und Gervinus), »Betrachtungen mit und gegen Arthur Schopenhauer« (Neue Berliner Musikzeitung 1867), »Gedanken aus und zu Grillparzers ästhetischen Studien«, »Schatzgräber-Versuche eines Musikers auf dem Felde der Musik«; die meisten davon waren im Musikalischen Wochenblatt 1872-1874 erschienen. über Lotze, für und gegen Schopenhauer, über Renan, zu Grillparzer, »Schatzgräberversuche« und kenne wahrscheinlich nicht alles, was Sie bei dieser Gelegenheit mit in diese lanx satura aufnehmen können. Aber wie gesagt, was kann ich raten! Wenn Sie sich nicht schon selbst diesen kleinen Aderlaß verordnet haben und ich Sie vielleicht nur an einen eigenen Gedanken erinnere? Fast möchte ichs glauben.
Übrigens wäre ich für eine solche Sammlung Ihrer Arbeiten Ihnen sehr dankbar, denn ich lerne immer von Ihnen: während es mir Überwindung kostet, eine Musikzeitung wirklich zu lesen und ich immer mit Betrübnis Ihren Namen und Ihre Gedanken mitten unter den unbegreiflich ungeschickten und gedankenarmen Schriftgelehrten des »Musikalischen Wochenblatts« finde. Wir wollen schon später, nach ein paar Jahren, daran denken, wie wir uns für unsere Art »Kulturkampf« »für unsere Art ›Kulturkampf‹ ... ein öffentliches Theater gründen«, ist eine Andeutung von Nietzsches Plan, ein »Jahrbuch der Freunde« zu gründen, den er in einem späteren Brief an Dr. Fuchs (Ende Sommer 1878 S. 215) näher ausführt. (wie der verfluchte Ausdruck lautet) ein öffentliches Theater gründen – später, wenn wir ein paar Namen mehr haben und nicht mehr so blutwenige sind wie gegenwärtig. Bis dahin muß jeder von uns kräftiglich allein kämpfen: ich habe mir durch meine dreizehn Unzeitgemäßen, die ich hintereinander herausgebe, eine gute Waffe geschmiedet, die ich den Leuten um die Köpfe schlage, bis dabei etwas herauskommt. Ich wollte, Sie machten es ebenso und schafften alles, was von Negativem, Polemischem, Hassendem in Ihrer Natur ist, auf diesem Wege aus sich heraus, um dann später Ruhe zu haben und sich durch gar nichts mehr »zum Widerspruch verleiten zu lassen«. So rechne ich und getröste mich einer Zeit, wo alles Kämpfen, Ächzen und Krächzen abgetan sein wird; inzwischen aber »vorwärts mit strengem Fechten«, wie irgendein alter Brandenburger Markgraf in der Reformationszeit gesagt hat. Denn zuletzt leiden wir alle so tief und schmerzlich, daß man es eben nur im rüstigsten Kämpfen aushält, das Schwert in der Hand. Und da wir nichts für uns wollen und mit einem freudigen und guten Gewissen uns in den härtesten Strauß begeben können, so wollen wir uns zurufen: »der Soldat allein ist der freie Mann«, und wer ein freier Mann sein, bleiben oder werden will, hat gar keine Wahl: »vorwärts mit strengem Fechten«.
Und so leben Sie wohl und mutig, als Waffen-, Kriegs- und Siegsgenosse, und denken Sie gerne
Ihres getreuen
Friedrich Nietzsche.
Basel, 28. April 1874.