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Genua, 16. November 1880.
Hier in Genua, mein lieber Gustav, finde ich Deine Trauerkunde, ich schreibe schnell ein paar Zeilen, unvorbereitet, wie es auf der Reise zugeht, und mehr ein Zeichen meines Mitgefühls als ein Ausdruck desselben. Dazu ist es, wie mich eben der Kalender belehrt, Dein Geburtstag – Du wirst mit einer besondren Wehmut heute auf Dein Leben zurückblicken! Wir werden älter und damit einsamer: gerade jene Liebe verläßt uns, die uns wie eine unbewußte Notwendigkeit liebte, nicht wegen unsrer besondren Eigenschaften, sondern oft trotz derselben. Unsere Vergangenheit zieht sich zu, wenn die Mutter stirbt: da erst wird unsere Kindheit und Jugend ganz Erinnerung: Und dann geht es weiter, es sterben die Jugendfreunde, die Lehrer, die Ideale jener Zeiten – immer mehr Einsamkeit, immer kältere Winde umblasen uns. Du hast gut getan, einen Garten der Liebe wieder um Dich zu pflanzen, lieber Freund! Ich glaube, daß Du heute Deinem Schicksal besonders dankbar sein wirst. Sodann bist Du Deiner Kunst treu geblieben: ich höre alles, was Du davon mir meldest, mit einer innigen Befriedigung, und vielleicht kommt ein Alter, meinem Leibe günstiger als die jetzigen Zeitläufte, wo wir wieder zusammensitzen und Vergangenes aus Deinen Tönen heraus wieder auferstehen sehen, so wie wir wohl in unserer jugendlichen Musik beide zusammen von unsrer Zukunft geträumt haben.
Mehr darf ich nicht sagen, mein Leiden (das immer noch, nach wie vor, jeden Tag seine eigne Geschichte hat) legt seine gebieterische Hand auf mich. Du darfst glauben, wenn Du an mich denkst (wie Du es zu meinem Geburtstag getan hast, den ich selber diesmal vergessen hatte), daß ich nicht des Mutes und der Geduld ermangele und hohen, sehr hohen Zielen auch so, wie es nun einmal steht und geht, nachstrebe – Du darfst ebenso bestimmt glauben, daß ich Dein Freund bin und bleibe.
In herzlicher Liebe mit Dir verbunden
Friedrich Nietzsche.
Genua.