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66. An Paul Deussen.

Basel, Mitte Januar 1875.

Du hast mir wirklich, lieber Freund, eine recht große Freude mit Deinem Briefe gemacht. Wenn sich alles so verhält, wie Du es schilderst, und Du die entsprechende Energie, um solche Pläne durchzuführen, hast – oder bewahrst, wie ich sagen könnte, so bekommt wirklich Dein Leben in seltnem Grade den Charakter des Vernünftigen und Gemeinnützlichen. Ich lobe sehr Deine Absicht, Dich durch einige Jahre strengeren Frondienstes für alle übrigen Jahre des Lebens ganz und gar unabhängig zu machen; werde in der Durchführung dieses Planes ja nicht unsicher! Es ist kaum auszudrücken, was Du damit Dir gewinnst und welcherlei Gefahren Du damit den Weg verlegst. Und noch höher erscheint dieser Plan, wenn Du für die zukünftige, so schwer errungene Mußezeit ein so edles Lebenswerk Dir vorgesetzt hast, wie es das ist, die indische Philosophie durch gute Übersetzungen uns zugänglich zu machen. Wüßte ich nur Mittel, um Dich zu einer solchen Lebensrichtung zu ermutigen, wie gern wollte ich Dich ermutigen! Mein Lob kann Dir nicht genügen, vielleicht schon eher meine Begierde, selber aus jener Quelle zu trinken, welche Du uns allen einmal öffnen willst.

Wenn Du wüßtest, mit welchem Mißmute ich gerade immer an die indischen Philosophen gedacht habe! Was ich empfinden mußte, als Prof. X. (der sich mit den philosophischen Texten sehr befaßt hat, in London einen Katalog von ca. 300 philosophischen Schriften verfaßt hat!) mir sagen konnte, als er mir eine Sankhya-Schrift im Manuskript zeigte: »Sonderbar, diese Inder haben immerfort philosophiert, und immer in die Quere!« Dieses »immer in die Quere« ist bei mir sprichwörtlich geworden [– –].

Der alte Brockhaus hielt vor ein paar Jahren in Leipzig eine Rektoratsrede mit einem Überblick über die Resultate der indischen Philologie, – aber von Philosophie war alles stumm, ich glaube, er hatte sie zufällig vergessen.

Also: Du sollst gepriesen sein, daß Du sie nicht auch zufällig vergessen hast.

Wie glücklich erscheint jetzt Deine vorausgegangne Beschäftigung mit Kant und Schopenhauer! Du hast eine schöne Art entdeckt, diesen Lehrmeistern Deine Dankbarkeit auszudrücken.

Overbeck und Romundt sind, ebenso wie ich, voll Deines Lobes; und letzterem bist Du bereits mit einem so vernunftvollen Lebensplane vorbildlich und ermutigend erschienen. Er verläßt Ostern die Universität und überhaupt das akademische Philosophentum und sucht eine Lehrerstelle. –

Beiläufig: Du hast mir vor einiger Zeit einmal gemeldet, daß Du durch Basel mit einem bestimmten Zuge durchkommen würdest. Natürlich war ich auf dem Bahnhofe, zog aber schließlich traurig ab, nachdem ich alle Menschen, welche der Genfer Zug brachte, gemustert hatte und Dich nicht darunter fand.

Das mußt Du also irgendwann einmal wieder durch die Tat gutmachen, nicht wahr, lieber Freund?

Und nun lebe wohl! Meine Segenswünsche sollen mit Dir sein.

Dein Friedrich Nietzsche.

Basel, Mitte Januar 1875.


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