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Basel, 30. Jan. 1872.
Verehrtester Herr Geheimrat,
Sie werden mir mein Erstaunen nicht verargen, daß ich von Ihnen auch kein Wörtchen »von Ihnen auch kein Wörtchen«, auf diese Aufforderung hin gab Ritschl in einem Briefe vom 14. Februar 1872 sein Urteil über Nietzsches Buch ab, das im wesentlichen von der Grundstimmung getragen war: »ich bin zu alt, um mich noch nach ganz neuen Lebens- und Geisteswegen umzuschauen«. über mein jüngst erschienenes Buch zu hören bekomme, und hoffentlich auch meine Offenheit nicht, mit der ich Ihnen dies Erstaunen ausdrücke. Denn dieses Buch ist doch etwas von der Art eines Manifestes und fordert doch am wenigsten zum Schweigen auf. Vielleicht wundern Sie sich, wenn ich Ihnen sage, welchen Eindruck ich etwa bei Ihnen, mein verehrter Lehrer, voraussetzte: ich dachte, wenn Ihnen irgend etwas Hoffnungsvolles in Ihrem Leben begegnet sei, so möchte es dieses Buch sein, hoffnungsvoll für unsere Altertumswissenschaft, hoffnungsvoll für das deutsche Wesen, wenn auch eine Anzahl Individuen daran zugrunde gehen sollte. Denn die praktische Konsequenz meiner Ansichten werde ich wenigstens nicht schuldig bleiben, und Sie erraten etwas davon, wenn ich Ihnen mitteile, daß ich hier öffentliche Vorträge »über die Zukunft unserer Bildungsanstalten« halte. Von persönlichen Absichten und Vorsichten fühle ich mich – wie Sie mir glauben werden, so ziemlich frei, und weil ich nichts für mich suche, hoffe ich etwas für andere zu leisten. Mir liegt vor allem daran, mich der jüngeren Generation der Philologen zu bemächtigen, und ich hielte es für ein schmähliches Zeichen, wenn mir dies nicht gelänge. – Nun beunruhigt mich etwas Ihr Schweigen. Nicht als ob ich einen Augenblick an Ihrer Teilnahme für mich gezweifelt hätte; von der bin ich ein für allemal überzeugt – wohl aber könnte ich mir gerade von dieser Teilnahme aus eine gleichsam persönliche Besorgnis um mich erklären. Diese zu zerstreuen, schreibe ich Ihnen. –
Das Register zum ›Rhein. Mus.‹ habe ich bekommen. Haben Sie vielleicht meiner Schwester ein Exemplar geschickt?
Eine Anfrage, ob ich einen ev. Ruf nach Greifswald annehmen würde, habe ich ohne einen Augenblick des Zögerns verneinend beantwortet.
Bleiben Sie mir, mein verehrter Herr Geheimrat, zusammen mit Ihrer Frau Gemahlin gewogen und seien Sie herzlich gegrüßt von
Ihrem
Friedr. Nietzsche.