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49. An Erwin Rohde.

Basel, 25. Oktober 1872.

Endlich, liebster Freund, »Endlich, liebster Freund« usw. Der Brief ist die Antwort auf Rohdes Gegenschrift gegen die Broschüre von Wilamowitz, die betitelt war: »Afterphilologie. Zur Beleuchtung des von dem Dr. phil. Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf herausgegebenen Pamphlets: ›Zukunftsphilologie!‹ Sendschreiben eines Philologen an Richard Wagner.«ist die erste Erregung überwunden, die mir beinahe eine Unverdaulichkeit zugezogen hätte – es wäre doch schade gewesen, wenn ich an dieser herrlichen Weinbeere erstickt Die Anspielung »an dieser herrlichen Weinbeere erstickt« bezieht sich auf eine Anekdote über den Tod des Sophokles. wäre, nicht wahr? Nun sitze ich recht behaglich-nachmittaglich in meinem warmen Zimmer und freue mich wie ein Kind über die Bescherung, immer von neuem wieder an ihr herumschnuppernd und -knuppernd. Was Du mir heute erwiesen hast, weiß ich nicht in Worten zu schildern: ich wäre so völlig unfähig gewesen, es mir selbst zu erweisen, und weiß, daß es keinen zweiten Menschen gibt, von dem ich ein solches Freundschaftsgeschenk erhoffen könnte.

Was hast Du Dich überwinden müssen, armer, lieber Freund, mit jenem Menschen so lange umzugehen! Ich begreife nachträglich das Ekelhafte und Peinliche jenes Angriffs am stärksten, indem ich fühle, was Du unter ihm gelitten hast. Nun aber strömt Deine Schrift ins Weite und schleppt den [–] Burschen hinter sich drein in das Weite. Welche Wirkungen Du davon erwarten kannst, entnimm aus folgenden Mitteilungen, die an mich gekommen sind, ohne daß ich, wahrhaftig!, nach ihnen gesucht hätte. In Leipzig ist eine Stimme über meine Schrift: wie sie lautet, hat der brave und von mir sehr geachtete Usener in Bonn, vor seinen Studenten, die ihn gefragt haben, verraten, »es sei der bare Unsinn, mit dem rein gar nichts anzufangen sei: jemand, der so etwas geschrieben habe, sei wissenschaftlich tot«. Es ist, als ob ich ein Verbrechen begangen hätte; man hat zehn Monate jetzt geschwiegen, weil wirklich alles glaubt, so gänzlich über meine Schrift hinaus zu sein, daß kein Wort darüber zu verlieren sei. So schildert mir Overbeck den Eindruck aus Leipzig. Alle Parteien sind darin eins: damit aber die barocke Ausnahme nicht fehlt, erschien vorgestern ein Brief von E. Leutsch im »Altweiberton« und verrät Neigungen! Die ganze Erfahrung hat etwas Blödsinniges! (Beiläufig, der alte Knabe schickte ein dickes Volumen, vielleicht 10-15 Abhandlungen, Programme usw., und zwar seine Theognisberichte altmodisch-zierlich eingebunden! Es ist zum Totlachen!) Halb und halb hält man mich wohl sogar für übergeschnappt: denn diesen Trost haben unsre »Gesunden«, wenn sonst kein Trost verfangen will.

Nun Deine Schrift, in ihrer Großherzigkeit und kühnen Kriegsgenossenschaft, mitten in das gackernde Völkchen hineinfallend – welches Schauspiel! Romundt und Overbeck, die einzigen, denen ich bis jetzt sie vorlesen konnte, sind außer sich vor Freude über Dein glücklichstes Gelingen! – sie werden nicht müde, einzelnes und allgemeines preisend hervorzuheben, sie nennen die Polemik »Lessingisch« – nun, Du weißt, was gute Deutsche mit diesem Prädikate wollen. Mir gefällt vor allem, immer den tiefen dröhnenden Grundton, wie bei einem starken Wasserfall, mitzuhören, durch den eine jede Polemik erst geweiht wird und den Eindruck der Größe macht, jener Grundton, in dem Liebe, Vertrauen, Mut, Kraft, Schmerz, Sieg und Hoffnung zusammenklingen. Lieber Freund, ich war ganz erschüttert – und als Du von den »Freunden« sprachst, vermochte ich lange nicht weiterzulesen. Welche herrlichen Erfahrungen habe ich doch in diesem Jahre gemacht! Und wie zerstiebt an ihnen alles etwa von anderswoher auf mich losstürzende Ungemach! Auch aus Wagners Seele heraus bin ich stolz und glücklich, – denn Deine Schrift bezeichnet einen merkwürdigen Wendepunkt in seiner Stellung zu den wissenschaftlichen Kreisen Deutschlands. Kürzlich soll die »Nationalzeitung« so frech gewesen sein, mich unter die »literarischen Lakaien Wagners« einzurechnen; welches Erstaunen, wenn auch Du Dich zu ihm bekennst! Das ist wohl etwas wichtiger noch, als daß Du an meine Seite trittst? Nicht wahr, alter Freund? Und das, gerade das, macht den heutigen Tag mir zu dem glücklichsten, den ich lange erlebt: ich sehe, was Du in Deiner Freundestat für mich, für Wagner getan hast!

Wenn Gersdorff Deine Schrift liest, so bin ich überzeugt, daß er zwei- bis dreimal sich auf den Kopf stellen wird, aus Freude und Glück! Und wie schön und »fürnehm« hat wieder der brave Fritzschius seine Sache gemacht! Wenn er nur nun auch den Vertrieb ebenso gut besorgt – und etwas schneller, als das Erscheinen; ich wußte in der letzten Zeit gar nicht mehr, was ich denken sollte, und war fast willens, an ihn zu schreiben. Du kennst doch Wagners neueste Schrift »über Schauspieler und Sänger«? Ein ganz neu entdecktes Bereich der Ästhetik! Und wie fruchtbar gewendet erscheint mancher Gedanke aus der »Geburt der Tragödie«. Ich unterhalte mich mit dieser neuen Schrift, als ob ich mit Wagner zusammen wäre, dessen Nähe ich jetzt nun, so lange schon, entbehre.

Wir wollen mutig sein, mein lieber, lieber Freund! Ich glaube jetzt immer nur an das Besserwerden, an unser Besserwerden, an unser Wachsen in guten Absichten, guten Mitteln, an unser Wettlaufen nach immer edleren und ferneren Zielen! O wir erreichen sie, und nach jedem Siege ist uns das Ziel weiter gesteckt, und wir laufen mutiger vorwärts. Soll es uns sehr kümmern, daß es nicht viel, ja sehr wenige Zuschauer gibt, die Augen haben zu sehen, welchen Wettlauf wir laufen? Kümmert uns dies, wenn wir nur wissen, daß diese wenigen Zuschauer auch für uns die einzigen Kampfesrichter sind? Ich für mein Teil gebe für einen solchen Zuschauer, wie Wagner ist, alle Ehrenkränze, die die Gegenwart spenden könnte, preis; und ihn zu befriedigen, reizt mich mehr und höher als irgendeine andre Macht. Denn es ist schwer – und er sagt alles, ob es ihm gefällt oder nicht, und ist für mich wie ein gutes Gewissen, strafend und belohnend.

Nun mögen alle guten Geister mit uns sein, liebster Freund! Jetzt gehen wir miteinander, eines Glaubens und eines Hoffens! Was Du erlebst, erlebe ich, und es gibt nichts mehr, was einer von uns noch für sich wäre, nichts Gutes und Rechtes!

Ich danke Dir, mein Freund, ich danke Dir!

Dein
Friedrich.

Basel, den 25. Oktober 1872.


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