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Basel, 11. März 1870.
Mein lieber Feund,
längst hatte ich Dir geschrieben, wenn ich nicht in einem wunderlichen Glauben gelebt hätte: nämlich Deine Adresse, ja Deinen Wohnort nicht zu kennen. Ich bildete mir ein, daß Dein neuer juristischer Beruf in alle Verhältnisse eine Veränderung gebracht habe, und war schon im Begriff, mich an das Berliner Kobersteinkomitee »Das Kobersteinkomitee« wurde von ehemaligen Schülern der Landesschule Pforta gebildet, die eine Stiftung zu Ehren Prof. Kobersteins zu gründen beabsichtigten. zu wenden und um Auskunft über Dich zu bitten. So ist es denn gekommen, daß Du mir zwei Briefe hintereinander geschrieben hast: und beide haben auf mich einen starken Eindruck gemacht und den sehnlichen Wunsch erweckt, Dich einmal wiederzusehen. Was denkst Du über eine Schweizerreise in diesem Sommer, etwa im Monat Juli?
Daß wir nun auch über Richard Wagner einig sind, ist mir ein überaus schätzenswerter Beweis unseres Zusammengehörens. Denn es ist nicht leicht und erfordert einen tüchtigen Mannesmut, um hier nicht bei dem fürchterlichen Geschrei irrezuwerden. Auch trifft man mitunter sehr wackere und intelligente Leute in der Gegenpartei. Schopenhauer muß uns über diesen Konflikt theoretisch hinwegheben: wie es Wagner praktisch, als Künstler tut. Zweierlei halte ich mir immer vor: der unglaubliche Ernst und die deutsche Vertiefung in der Welt- und Kunstanschauung Wagners, wie sie aus jedem Tone quillt, ist den meisten Menschen unsrer »Jetztzeit« ein Greuel, wie Schopenhauers Askesis und Verneinung des Willens. Unsern »Juden« – und Du weißt, wie weit der Begriff reicht – ist vornehmlich verhaßt die idealistische Art Wagners, in der er mit Schiller am stärksten verwandt ist: dies glühende hochherzige Kämpfen, auf daß der »Tag der Edlen« endlich komme, kurz, das Ritterliche, was unserm plebejisch politischen Tageslärm möglichst widerstrebend ist. Schließlich finde ich auch bei vortrefflichen Naturen oftmals eine Anschauung der Indolenz, als ob eine eigne Bemühung, ein ernstes eingehendes Studium, um einen solchen Künstler und solche Kunstwerke zu verstehn, gar nicht nötig sei. Wie habe ich mich gefreut, daß du »Oper und Drama« so angelegentlich studierst! Ich habe es sogleich meinen Tribschener Freunden berichtet. Überhaupt sind ihnen meine Freunde keine Fremdlinge: und wenn Du etwa nach der ersten Meistersinger-Aufführung einen ausführlichen Brief an R. W. schreiben willst, so wird dies große Freude erregen, und man wird bereits des Genaueren wissen, wer der Schreiber des Briefes ist. Auch versteht es sich, daß wir, wenn Du mich einmal besuchst, nach Tribschen reisen. Es ist eine unendliche Bereicherung des Lebens, einen solchen Genius wirklich nahe kennen zu lernen. Für mich knüpft sich alles Beste und Schönste an die Namen Schopenhauer und Wagner, und ich bin stolz und glücklich, hierin mit meinen nächsten Freunden gleichgestimmt zu sein. – Kennst Du schon »Kunst und Politik«? Auch kündige ich Dir das Erscheinen einer kleinen Schrift von R. W. an »über das Dirigieren«, die am besten mit dem »Philosophieprofessoren«-Aufsatz Schopenhauers zu vergleichen ist.
Sehr betrübt hat mich das Schicksal Deines guten Bruders. »Das Schicksal deines guten Bruders«, Gersdorffs jüngerer Bruder Theodor erkrankte an einem Gehirnleiden und starb schließlich im Dezember 1872 daran. Wir haben in Leipzig auch nach Deinem Fortgange uns nicht selten getroffen, und ich habe ihn immer geschätzt. Hoffentlich wird hier noch alles gut werden. So elend ist aber unser Leben: von allen Seiten gähnt das Verderbliche und Schreckliche. Es gehört viel dazu, sich einen mutigen Sinn zu bewahren. – Ach und wie sehr braucht man das Bewußtsein wahrer Freunde! Die Einsamkeit ist mitunter gar zu trostlos.
Treulich Dein
F. N.
Adresse an R. W.: Hrn. Richard Wagner
in Tribschen bei Luzern.