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1. An Mutter und Schwester.

Pforta, September 1863.
(am Tage nach dem Examen befreundeter Abiturienten.)

Meine Lieben!

Nicht wahr, ein paar Zeilen von mir kommen Euch jetzt recht erwartet, da ich heute selbst doch nicht kommen konnte. Ob ich zwar gleich selbst nichts erlebt habe; hingegen dachte ich im Fluß voriger Woche einen Bogen voll der buntesten, niedlichsten Erlebnisse zu bekommen; aber die Woche ist vorübergehinkt und hat mir nur einen Zettel gebracht, aus dem ich erfuhr, daß Ihr meiner noch gedächtet und daß meine Wäsche schmutzig sein müsse, was wirklich seltsamerweise auch wahr war.

Also heute einige Zeilen, damit Ihr erfahrt, daß ich noch lebe, Bücher um mich gewälzt habe und bis nächsten Sonnabend nicht daran denken kann, aus dieser Verschanzung herauszukommen. Dabei bin ich heiter, mitunter verstimmt, erlebe bald gute und lustige, bald verdrießliche Dinge, aber das Uhrwerk ist im Gang und schnurrt fort, ob eine Fliege sich auch darauf setzt oder eine Nachtigall dabei singt.

Allerdings der Herbst und seine gereifte Luft hat die Nachtigallen vertrieben, und die Fliegen haben sich dabei eine Erkältung zugezogen. Und ich liebe den Herbst sehr, ob ich ihn gleich mehr durch meine Erinnerung und durch meine Gedichte kenne.

Aber die Luft ist so kristallklar, und man sieht so scharf von Erde nach Himmel, die Welt liegt wie nackt vor den Augen.

Wenn ich minutenlang denken darf, was ich will, da suche ich Worte zu einer Melodie, die ich habe, und eine Melodie zu Worten, die ich habe, und beides zusammen, was ich habe, stimmt nicht, ob es gleich aus einer Seele kam. Aber das ist mein Los!

Nun gehen sie wieder ab, die Schwalben, die nach dem Süden zu die Segel richten, und wir singen wieder sentimental hinterdrein und schwenken die Seidel, und mancher wischt sich die Nase vor Rührung, denn der Postillion bläst: Schier dreißig Jahre bist du alt!

Das nennt man heutzutage einen Lebensabschnitt, und mancher Abiturient stellt sich jetzt das Leben wie einen Kuchen vor, von dem er das kleinere, etwas verbrannte Stück vertilgt hat, und nun geht er mit Energie und würdiger Vorbereitung daran, das größere süßere Schnittchen zu beseitigen.

Und siehe, es bleibt ein schäbiger Rest, den nennt man Lebenserfahrung, und geniert sich, ihn den Hunden vorzuwerfen. Aus Pietät vielleicht. Denn er hat einem viel Zähne gekostet. –

Bis hierher die wahrheits- und dichtungsvolle Einleitung meines Briefes. Jetzt kommt die Hauptsache, bestehend in dem Tatbestand, daß ich Euer oft gedenke, zweitens, daß ich weiße Taschentücher brauche, da ich vor lauter Schnupfen blühe, und drittens, daß ich folgende Noten brauche als Leibesnotdurft.

Schumann, Phantasien, 2 Hefte, »Abends« usw.

Schumann, Kinderszenen, 1. Heft.

Volkmann, Visegrad.

Lisbeth, bitte, besorge mir beides ja recht hübsch von Domrich und schicke es mir ja Dienstag heraus. Es ist für Fräulein Anna Redtel. Ich habs versprochen. Bitte!

Fritz,

der Euch Mittwoch in Almrich zu sehen hofft; es ist Abiturientenabgang. Lebt recht wohl!


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