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109. An Peter Gast.

Genua, 6. April 1883.

Lieber Freund,

beim Lesen Ihres letzten Briefes »beim Lesen Ihres letzten Briefes«, Gast hatte sich im höchsten Maße bewundernd über den ersten Teil von »Also sprach Zarathustra« geäußert, u. a. in seinem Brief gesagt: »Unter welche Rubrik Ihr neues Buch gehört? – Ich glaube fast unter die ›heiligen Schriften‹«. überlief mich ein Schauder. Gesetzt, Sie haben recht – so wäre also mein Leben doch nicht mißraten? Und gerade jetzt am wenigsten, wo ich es am meisten geglaubt habe?

Andererseits gab mir Ihr Brief das Gefühl, daß ich nun nicht mehr lange zu leben habe – und es soll so gut sein! Sie glauben, lieber Freund, es nicht, was für einen Überschuß von Leiden mir das Leben abgeworfen hat, in allen Zeiten, von früher Kindheit an. Aber ich bin ein Soldat: und dieser Soldat ist zu guter Letzt noch der Vater Zarathustras geworden! Diese Vaterschaft war seine Hoffnung; ich denke, Sie empfinden jetzt den Sinn des Verses an den Sanctus Januarius: »der du mit dem Flammenspeere »der du mit dem Flammenspeere« usw., Motto zu »Fröhliche Wissenschaft« Buch IV. meiner Seele Eis zerteilt, daß sie brausend nun zum Meere ihrer höchsten Hoffnung eilt« – –

Und auch den Sinn der Überschrift »incipit tragoedia«. »incipit tragoedia«, vgl. »Fröhliche Wissenschaft« Aph. 342.

Genug davon. Ich habe vielleicht keine größere Freude in meinem Leben gehabt als Ihren Brief. –

Nun geben Sie mir einen Rat. Overbeck besorgt sich um mich (geben Sie ihm doch etwas Vertrauen auch in bezug auf Zarathustra) und hat mir jüngst den Vorschlag gemacht, ich möchte wieder nach Basel zurückkehren, und zwar nicht an die Universität; aber etwa als Lehrer am Pädagogium weiterwirken (er schlägt mir vor, »als Lehrer des Deutschen«). Dies ist sehr gut und fein empfunden, ja es hat mich beinahe schon verführt: meine Gegengründe sind Gründe von Wetter und Wind usw. Overbeck meint, daß es schon »Anknüpfungspunkte« geben würde, falls ich dieses Willens sei; man hat mich gut im Gedächtnis, und, die Wahrheit zu sagen, ich bin nicht der schlechteste Lehrer gewesen. Meine Augen und die geringe Arbeitskraft meines Kopfes in Hinsicht auf Dauer wollen in Rechnung gebracht sein: ebenso die Nähe Jakob Burckhardts, eines der wenigen Menschen, mit dem zusammen ich mich wirklich wohl fühle. In diesem Sommer will ich einige Vorreden zu neuen Auflagen meiner früheren Schriften »Vorreden zu neuen Auflagen meiner früheren Schriften«, sie wurden erst 1886 geschrieben, als Nietzsches Schriften in den Verlag E. W. Fritzsch übergingen.machen: nicht als ob neue Auflagen bevorstünden, sondern damit ich noch zur rechten Zeit besorge, was zu besorgen ist. Gar zu gerne möchte ich auch noch den Stil meiner älteren Schriften reinigen und klären; aber das ist nur bis zu einer gewissen Grenze möglich. –

Was macht der »Apulische Hirtenreigen«? – »der Apulische Hirtenreigen« ist eine von Gast beabsichtigte Komposition.

Mich ekelt davor, daß »Zarathustra« als Unterhaltungsbuch in die Welt tritt; wer ist ernst genug dafür! Hätte ich die Autorität des »letzten Wagner«, so stünde es besser. Aber jetzt kann mich niemand davon erlösen, zu den »Belletristen« geworfen zu werden. Pfui Teufel! –

Treulich und dankbar
Ihr Freund Nietzsche.


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