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Sils-Maria, 26. August 1883.
Wie gut tat mir wieder Ihr Brief, Freund Venezianer! – das heiße ich »Vorlesungen über griechische Kultur« vor einem, der sie nötig hat – und nicht vor Leipziger Studenten et hoc genus omne!
Man hat mich ein Jahr lang zu einer Gattung von Gefühlen gehetzt, »Man hat mich ein Jahr lang zu einer Gattung von Gefühlen gehetzt«, betrifft die Affäre Lou Salomé-Rée. Vgl. Biogr. II S. 418 f. denen ich mit allerbestem Willen abgeschworen habe und über die ich in der gröberen Form wirklich glaubte Herr geworden zu sein: Rachegefühle und »Ressentiments«.
Der Gedanke der Vorlesungen in Leipzig war ein Gedanke der Verzweiflung, – ich wollte eine Distraktion durch stärkste tägliche Arbeit, ohne eigentlich auf meine letzten Aufgaben zurückgeworfen zu sein. Aber der Gedanke ist bereits wieder beiseite getan: und Heinze, der jetzige Rektor der Universität, hat mir klaren Wein darüber eingeschenkt, daß mein Gesuch in Leipzig scheitern werde (und wohl auch an allen deutschen Universitäten); die Fakultät werde es nicht wagen, mich dem Ministerium vorzuschlagen – von wegen meiner Stellung zum Christentum und den Gottesvorstellungen. Bravo! Dieser Gesichtspunkt gab mir meinen Mut wieder.
Auch die erste Besprechung des ersten Zarathustra, die mir zugesandt wird (von einem Christen und Antisemiten, und, sonderbarerweise, im Gefängnisse entstanden), macht mir Mut, insofern auch da sofort die populäre Position, die einzig an mir begriffen werden kann, eben meine Stellung zum Christentum, gut und scharf begriffen ist. »Aut Christus, aut Zarathustra!« Oder auf deutsch: es handelt sich um den alten längstverheißenen Antichrist – so empfinden es die Leser. Da werden alle Verteidiger »unsrer Lehre vom Welt-Heilande« feierlich herbeigerufen (»umgürtet euch mit dem Schwerte des heiligen Geistes«!!) gegen Zarathustra: und dann heißt es: »Bezwingt ihr ihn, so wird er der Eure und wird treu sein, denn an ihm ist kein Falsch; bezwingt er euch, so habt ihr euren Glauben verwirkt: das ist die Buße, die ihr dem Sieger zahlen müßt!«
Hier, lieber Freund, so lächerlich es Ihnen vielleicht klingen mag, hörte ich zum ersten Male von außen her, was ich von innen her lange hörte und weiß: ich bin einer der furchtbarsten Gegner des Christentums und habe eine Angriffsart erfunden, von der auch Voltaire noch keine Ahnung hatte. – Aber das geht Sie »Gott sei Dank!« nichts an.
Worum ich Epikur beneide, das sind seine Schüler in seinem Garten; ja, da läßt sich schon das edle Griechenland, »Da läßt sich schon das edle Griechenland ... vergessen«, Gast hatte in seinem Brief folgende Stelle aus Epikur zitiert: »Es hat mir in der Fülle so vielen Glückes wenig geschadet, daß dies edle Griechenland mich kaum angehört, geschweige denn gewürdigt hat.« und da ließe sich gar das unedle Deutschland vergessen! Und daher meine Wut, seit ich im breitesten Sinne begriffen habe, was für erbärmliche Mittel (die Herabsetzung meines Rufs, meines Charakters, meiner Absichten) genügen, um mir das Vertrauen und damit die Möglichkeit von Schülern zu nehmen. »Um des Ruhmes willen« habe ich nicht eine Zeile geschrieben, das glauben Sie mir wohl: aber ich meinte, meine Schriften könnten ein guter Köder sein. Denn zuletzt: der Trieb des Lehrens ist stark in mir. Und insofern brauche ich sogar Ruhm, daß ich Schüler bekomme – zumal es mit einer Stellung an Universitäten nach der letzten Erfahrung unmöglich ist.
Ich war ein paar Tage mit Overbeck zusammen – ein paar reine, sonnenhelle Tage, an denen auch Ihrer viel gedacht wurde!
Ihr F. N.
Ihren Worten über Epikur, wie den früheren über Seneca, weiß ich nichts an die Seite zu stellen – an Sachkenntnis.