Ludwig I. von Bayern
Gedichte
Ludwig I. von Bayern

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Ideal und Phantasie.

Wehemüthig lächelnd blickt herüber,
Was geschieden, und das Heut' wird trüber,
In das Düstre senket sich ein Strahl,
Und, befreyet von des Ird'schen Mangel,
Wird in der Vergangenheit zum Engel
Uns der Mensch, verklärt zum Ideal.

Seh'n die Züge der Triumphatoren
Mit den Schätzen, die der Feind verloren,
Stolz zum stolzen Capitole ziehn
Und die ernsten Siegsgesänge tönen,
Aber der zertretnen Völker Stöhnen
Ist für die Erinnerung dahin.

Seht! vom Berge kommen die Befreyer,
Da der Punier hält Poseidons Feyer,
Es beginnt bereits die Rettungsschlacht.
Wie es wühlt das kämpfende Gedränge!
Schmetternd stürzet Menge da auf Menge,
Es vertilgt die Feinde Gelon's Macht.

Zu dem Blütheleben der Hellenen
Senket sich das heiße, tiefe Sehnen,
Zu der Spiele Feyer Herrlichkeit,
Selig schauten wir die Kunstgebilde,
In Olympia's glänzendem Gefilde
Alle Kräfte in dem Kampf befreyt.

Ach! uns träumt von nie gewesnem Glücke,
Seh'n das Holde, nicht der Griechen Tücke
Und nicht die von Rom zerstörte Welt;
In Amerika das Land des Segens,
Neuen frohen herrlichen Erregens,
Das ein solches nirgendswo enthält.

Aus der Gegenwart geengten Schranken
Immer wieder treibt es die Gedanken
Zu des Ideales Seligkeit.
Im Gefühle, daß wir sie gefunden,
Ist die flüchtige Gestalt verschwunden,
Sie verweilet nicht in Raum noch Zeit.

Reizend vor uns liegt des Himmels Bläue.
Fern doch nur der Blick sich ihrer freue,
Niemals, niemals dringen wir zu ihr'.
Niemals dringen wir zum Ideale,
Wir erwärmen nur an seinem Strahle,
Ewig ferne weilt es von uns hier.

Wie sich's öde nur dem Blicke zeiget,
Wo's gehüllt in ew'ger Stille schweiget,
Wir ein wimmelndes Bewegen sehn,
Da entsteigen Tempel und Paläste,
Frohe Schaaren eilen zu dem Feste,
Schöne Hayne auf den Höh'n entstehn.

Auf des Meeres einsam stillen Fluthen,
Auf den Hügeln, die unfruchtbar ruhten
Seit dem langen Anfang schon der Welt,
Regt es lustig sich in buntem Leben,
sehen wir sich's heben, schwingen, schweben,
Und, was niemals war, vor uns gestellt.

Immer rastlos mit des Stromes hellen
Seellos weiterrinnend kalten Wellen
Fließt das Leben ohne Phantasie;
Wie die Fluthen an der Erde nieder
Hält's den Menschen, nicht zur Höhe wieder
Schwingt es ihn, er lebt im Staube hie.

Niemals war und niemals wird auf Erden
Das, wonach wir ringend sehnen, werden;
Seligkeit wird auf der Erde nie.
Auf Minuten, die dazu gegeben,
Soll, die Gunst benützend, sich erheben
Zu dem Ideal die Phantasie.

Doch nicht zieh' es aus dem Reich des Lebens,
In die leeren Träume eitlen Strebens,
Raube Gegenwart dem Menschen nicht;
Unser Daseyn adelnd zu verschönen,
Soll die Phantasie die Freude krönen,
Unsres Lebens warmes Sonnenlicht.


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