Wilhelm Jordan
Strophen und Stäbe
Wilhelm Jordan

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Räthsel und Charaden.

1.

                Ich habe noch nie die Pfade der Nacht
Vertauscht mit den Pfaden des Tages
Bevor man mich weckte zur neuen Schlacht
Aus dem Banne des Heersarkophages
Wo keinem von uns Einheriern murrt
Ueber stündlichen Tod und Wiedergeburt.

Ihr nennet die Bahn des Lebens bunt,
Ich aber die meinige scheckig,
Und wenn ihr behauptet, die Welt sei rund,
Ich finde sie platt nur und eckig
Und so klein daß ein Schritt die Entfernung umspannt
Vom südöstlichen bis zum nordwestlichen Rand.

Südnordwärts hätt ich's noch näher zwar,
Doch mein Weg ist immer ein schräger.
Deinem Nachbarn bin ich deswegen ein Narr,
Deinem Vetter ein Würdenträger.
Drum hab' ich als Fremdling im Kopf einen Spalt,
Eine Feder am Hut in der Landesgestalt.

 
2.

            Wann aus langem Tschibuk, mit Bernstein besetzt,
Behaglich den Rauch trinkt ein Türke
Und die Lippen dazu mit dem Labsal benetzt
Aus Arabiens heißem Bezirke,
Dann, während ihn Sklaven bedienen,
Ruht er auf ihnen.

Ein Heer das viele Millionen zählt
Macht immer nur nächtliche Märsche
Und hat sich den Trägsten zum Führer gewählt
Daß dieser sie lenkend beherrsche.
So steht er still und die anderen ziehn
Kreisend um ihn.

 
3.

            Drei Sylben bilden ein Doppelwort,
Sehr selten zusammen vernommen.
Wie weit er auch reise nach Süd oder Nord
Den ersten wird Niemand entkommen;
Und flög' er auf Schwingen des Lichtes empor,
Sie bleiben so nah und so fern wie zuvor.

Lebendig verlassen die Letzte wir nicht
Und äußerst selten im Tode;
Wie häufig davon der Aerger spricht,
Die Erfüllung ist längst aus der Mode;
Doch that es freilich ein Jünger des Huß
Und thut es der Zobel und Bär wann er muß.

Es liegt, gewöhnlich in Finsterniß,
In gewölbtem Verließe gefangen
Ein Wesen, gelenkiger und im Biß
Gefährlicher oft als die Schlangen.
Ihm öffne die Pforte des engen Gemachs
Und nenne die Binnentapete des Dachs.

 
4.

          Was ist selten ein Mensch ohne Furcht und Zwang
Doch meistens der Kies im Gartengang?
Was wird der Mord
Durch Beil oder Strang?
Beachtest du minder die Schrift als den Klang,
So erräthst du das Wort.

 
5.

    Die erste schwebt, dem Adler gleich,
Der letzten Bild, im Reich der Luft
Und braust auch wieder sprudelreich
Von Felsenkluft zu Felsenkluft.
Die Zweite heißt im Schlachtgewühl
Dem Tode trotzend Alles wagen
Und weicht das strohgestopfte Pfühl
Des Ganzen, das Millionen tragen.

 
6.

        Einander so spricht ein liebendes Paar
Nachdem sich's mit Ringen beschenkte.
Gewesen war es die Jüngerschaar
Bevor sich der Judas erhenkte.

 
7.

          Es lehren uns die Umgestalter
Daß im Verlauf der Weltenalter
Allmälig mit der Lebensweise,
Im Kampf um Dasein, Trank und Speise,
Der Wanderung nach kalten Ländern
Die Thiergestalten sich verändern;
Daß Wir, von ganz denselben Ahnen
Mit Orangutangs, Pavianen,
Zu Menschen endlich uns verfeinert,
Zu Kätzchen Tiger sich verkleinert,
Ja, daß die Maus als Urverwandten
Begrüßen darf den Elephanten.

Bezweifle nicht dies Werk der Zucht
In ungeheurer Zeitenflucht.
Weit plötzlicher geschieht jetzunder
Ein größeres Verwandlungswunder.

Es wirkt dabei nicht Gluth noch Frost;
Nur des Geschöpfs gewohnte Kost
Macht's viele hundert Pfund verlieren.
Es zählt schon zu den großen Thieren;
Doch setz' ihm vor sein Alltagsfutter,
So wird es flugs zum Liliputter.

 
8.

        Als Fessel ist sie stärker
Für Jeden der es ist,
Denn Ketten, Schloß und Kerker,
Gewalt und Wächterlist.

Du kannst, in ihr gefangen,
Dich mühelos befrei'n,
Und hörest, ihr entgangen,
Schon auf, es selbst zu sein.

 
9.

          Die erste gilt als Gegentheil
Und, gut, als gleich der zweiten.
Als Schmuck und Schminke ist sie feil
Für hundert Eitelkeiten.

Frei – ruht die zweite eingesackt
In feuerfesten Spinten,
Doch hörig – ist sie vorne nackt,
Erlaubt und möglich hinten.

Wovon du meinst, es heuchle nur
Zu sein mit falschem Glanze
Und sei das schwerlich von Natur.
Das nennest du das Ganze.

 
10.

          Ein herrliches Wunder im Frühlingsglanz
Mit Wehmuth belächelt im Winter, –
Sein Geheimniß erforschte noch Niemand ganz
Doch kommt man allmälig dahinter.
Nur das Eine dünkt mir unzweifelhaft
Daß Die sich am schwersten betrügen,
Die da glaubenlos glauben daß Stoff und Kraft
Zur Lösung des Räthsels genügen.

 
11.

        Ich bin der sichre Schuldbeweis
Obwohl Betrug mein Amt ist
Und fluchtlos fest in meinen Kreis
Dein Sinn hinein verdammt ist.

Der Regenbogen ist mein Sohn,
Die Welle meine Buhle,
Die Kunst mein würdevoller Thron,
Der Hofhalt meine Schule.

 
12.

            Wer hofft von sich durch den Beweis
Fünf Sechstel zu gewinnen?
Was melden Müssiggang und Fleiß
Der Luftreichsfischerinnen?

Was, als er wurde was er heißt,
Ward immer auch ein Zweiter?
Was drückt mit Mißmuth Herz und Geist
Und stimmt die Seele heiter?

Von wem wird oft des Laufes Eil'
Am höchsten ausgebeutet?
Was ist's, wovon das Gegentheil
Das Nämliche bedeutet?

 
13.

      Was wird im Glück die Frau fast immer
Und war noch nie ein Frauenzimmer?

 
14.

          Sprich, welche Zwillingsschwestern
Hat stets wie heut und gestern
Die Mutter umgebracht,
Die eine durch Enteilen,
Die andere mit Pfeilen
Von unbesiegter Macht?

Sie schmücken die Portale
Im hochgewölbten Saale
Mit purpurnem Behang
Und leihen, frei vom Neide,
Ihr köstlichstes Geschmeide
Einander wochenlang.

Auch melden alte Mären
Wie sehnlich sie begehren
Nach trautem Stelldichein.
Doch selbst den Gruß der Blicke
Versagen die Geschicke
Fast immer diesen Zwei'n.

Nur wo nach langem Streiten
Der Mutter ganz zu Zeiten
Die Feindin weichen muß,
Da kommen sie zusammen
Und Erd' und Himmel flammen
Von beider Schwestern Kuß.


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