Wilhelm Jordan
Strophen und Stäbe
Wilhelm Jordan

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Glückwunsch.

                      Der zweite Winter schon beginnt
Seitdem wir gute Freunde sind.
Nun frag' ich, flunkert mein Gewissen
Ein wenig, oder spricht es wahr,
Wenn's meint du würdest mich vermissen
Wenn ich zum neuen Lebensjahr
Nicht auch in freundlichem Gedenken
Bei dir erschien' als Gratulant?

Natürlich halt ich in der Hand
Ein Buch – was könnt ich Dir sonst schenken? –
Versteht sich, eigenes Gewächs
Davon du fünf schon oder sechs
In Vorrath hast in deinem Schranke.

Ich muß gestehen, fast in Sorgen
Versetzt dabei mich der Gedanke:
Ich müßte fremde Federn borgen
Um auch in künft'gen Januaren
Mit gleicher Gabe fortzufahren.

Zwar Manches hab ich noch gedichtet;
Allein ich fühle mich verpflichtet
Als guter Freund dich zu behüten
Selbst vor den eignen Dichtungsblüthen,
Die deinen Sinn noch überbürden
Mit allzustarkem Dufte würden,
Und manches Kraut aus meinem Garten
Muß deine Mündigkeit erwarten.

Inzwischen aber ist im Keimen
Ein neues Blumenbeet von Reimen.
Sie stockten eine zeitlang gänzlich;
Mir war, als käme schon das Alter.
Nun aber fühl' ich wieder lenzlich
Und während rings ein grimmig kalter
Sibirischer Winter Flur und Feld
Fußtief im Schnee begraben hält,
Ist mir's im Herzen sonnenwarm
Und manche Liederknospen treiben;
Verbannt ist aller finstre Harm:
Ich fand ein Mittel, jung zu bleiben.

Im Kreis der Jugend muß man weilen,
Der Jugend Lust und Freuden theilen;
Wer das vermag, der wird bewahren
Ein junges Herz bei grauen Haaren.
Die hast Du neulich schon entdeckt –
Beim Fernrohr war's – auf meinem Scheitel.
Das Wort verschlucktest du erschreckt
Als wär' ich so empfindlich eitel,
Daß ich dies Visa keck bestritte
In meinem Lebens-Reisepasse
Das deutlich sagt, daß ich die Mitte
Der Fahrt nun hinter mir schon lasse.

Das thut mir freilich selber leid –
Was hilft es! Nimmer aufzuhalten
Noch zu verwischen ist die Zeit
Und ihre Schrift, der Stirne Falten.

Es muß so sein. Sie schreibe weiter;
Ich will dafür sie selbst verbrauchen,
Will meine Seele jugendheiter
Und munter wie im Bach die Schmerle,
Tief in die Fluth des Lebens tauchen,
Nicht wie die weinerlichen Kerle
Das allgemeine Loos bewimmern
Zu sinken einst gleich allen Schwimmern.
Doch seh ich auf dem Grunde schimmern
Die Poesie, die schöne Perle,
Dann hol' ich sie heraus und lege
Die Muschel deinen Blicken offen.
Daß dann dein Herz sich freudig rege,
Das laß mich nie vergebens hoffen,
Wie weit auch unsre Lebenswege
Die jetzt noch nah beisammen liegen
In Zukunft auseinander biegen.

So soll es sein; das muß uns glücken.
Es bleibe zwischen uns beim Alten:
Ich helfe deine Seele schmücken
Und Du die meine jung erhalten.


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