|
Nein, theuerster Freund, mir schmeichelst auch Du nicht ab was ich ernstlich verschworen,
Seitdem ich beschloß, den Poetenberuf nur zu üben für lauschende Ohren.
Ja, die segenverbreitende Zaubergewalt der Letterschrift und des Buches
Hat in Schranken gebannt und niedergesiegt schon so manche Dämonen des Fluches,
Doch auch leider der Kunst, die vom Leben der Welt das Schöne und Ewige spiegelt,
Die weiland so laut von süßem Gesang ertönenden Lippen versiegelt.
Auch sie war erfreut und fand es bequem, zu wirken in jegliche Ferne
Durch Zeichen allein, unberührt von der Furcht, daß sie Singen und Sagen verlerne;
Doch, Alter hindurch mit der Feder bemüht, für das Auge die Sylben zu messen,
Entwöhnte sie sich des lebendigen Lauts, um es endlich fast ganz zu vergessen
Was sie soll, was sie sei. So ward sie umstrickt von des Schriftwalds geilenden Ranken,
Entbehrte der Luft, des belebenden Lichts – und ihr schwanden die wachen Gedanken.
Wie sollte nun Ich mit neuem Gestrüpp die so schwer durchdringlichen Hecken
Noch verdichten bevor mir das Wagniß gelang, die schlafende Brunhild zu wecken?
Ich sah sie von fern, ich weiß daß sie lebt, ich höre sie flüstern im Traume,
Doch glaubt man mir nicht, und ihr anderen steht noch spöttelnd da draußen am Saume.
So laßt mich allein bis mein Siegesgesang euch erregend wie Oberons Horn schallt
Und mit klingendem Spiel ihr alle mir folgt in den sonnig gelichteten Dornwald. –
Ich denke wie Du mit Vergnügen zurück an die Tage, mein theuerster Siebel,
Die wir lustig bei Dir in Barmen verlebt, doch zumal in dem Stübchen am Giebel
In Himmelmanns Haus zu Elberfeld, wo mit körnigem Zeichenpapiere
Der pfiffige Wirth die Wände beklebt daß der Gäste Hand sie verziere,
Wo der durstige S . . ., das faule Genie, so launig im Antlitz der Schätzer
Die Stufen des Weins den sie proben gemalt, vom Ausbruch zum schändlichsten Krätzer,
Wo wir Beide dazu manch Sprüchlein gesetzt und Schnurren aus allen Humoren.
Da versammelte sich was die doppelte Stadt zu Poeten und Künstlern gegohren
Zum Abschiedstrunk und festlichen Mahl um den fahrenden Sigfridsrhapsoden,
Und wir spürten es bald wie die Andacht gedeiht auf des Wupperthals heiligem Boden.
Da würzten wir uns mit Versen den Wein, da ging in begeisterter Stunde
Mit dem Römerpokal voll anderthalb Maaß die Vortragspflicht in die Runde.
So kam's an den Tag, daß auch ich meine Kunst, ein Weltbild zu schaffen mit Lauten,
Zuweilen bemüht mit dem niedrigern Amt der eigenen Herzensvertrauten,
Daß mitunter auch mich ein erlebtes Gefühl gestochen mit lyrischem Kitzel, –
Und über Gebühr gefielen euch wohl die Späne, das kleine Geschnitzel.
Als ich, eifrig befragt, zur Antwort gab, solch Kleinzeug ließ' ich nicht drucken,
Da lachtet ihr baß und höhntet mich aus als besessen von Schrullen und Mucken.
Du denkst, mich bestach dies scheltende Lob von dir selbst und deinen Gefährten
Und verlangst auch von mir jetzt Blumen zum Kranz aus des Rheinlands lyrischen Gärten.
Doch das Viertel hindurch eines Säculums schon verweiger' ich's mehrmals im Jahrgang
Ein Partner zu sein bei der Schaupoesie, beim gedruckten lyrischen Schaarfang;
Drum werd' ich auch nun dem erkannten Gesetz, der guten Gewohnheit nicht treulos;
Doch Du bist mein Freund, und was mich bewiegt, Dir sag' ich es offen und scheulos.
So erfülle Dir denn den verweigerten Wunsch diese Weigerung selbst als Epistel;
Du findest vielleicht zu dem duftigen Strauß nicht so übel passend die Distel.
Wann das Rieseln im Born, der Nachtigal Schlag, das Flüstern des Windes im Rohre,
Des Donners Geroll, die Brandung der Fluth mit göttlich gesteigertem Ohre
Deine Seele vernimmt; wann der Laut der Natur dir ein Offenbarungsgetön ist,
Ein Erlebniß, ein Bild begleitet, das neu, das tief bedeutsam und schön ist;
Wann ein blitzender Stern, wann der schwindende Mond, wann des Sonnenballs Untergangsstrahlen
Dir ein Bühnenlicht sind und der Handlung gemäß auch den Hintergrund stimmungsreich malen;
Wann die finstere Schlucht, die schauerlich eng der Granit bis zum Himmel umthürmet
Und als schneeiger Gischt im schwärzesten Spalt ein gurgelnder Bergstrom durchstürmet,
Auf dem Lebensweg dir zum Himmel empor, zur Hölle hinunter ein Paß ward
Und ein Rahmen für dich zum Gemälde des Kampfs, den die Liebe ficht mit dem Haß, ward:
Dann reifte die Saat für die Sichel der Kunst, dann binde mit Worten zur Garbe
Die Musik der Natur, das Spiel ihres Lichts, die Form, die Gestalt und die Farbe.
Dann dichte getrost. Ob Tausende auch tagtäglich das Nämliche schauen,
Sei völlig gewiß, ob nun bald oder spät, dann wirst du bewegen, erbauen.
Was Niemand vorher zu sagen gewußt, kaum als dunkles Geheimniß geahnt hat,
Bis mit richtigem Spruch dein Zauberstab ihm ein Sesampförtchen gebahnt hat,
Das hat Jeder alsbald dann genau so gefühlt und es ruft auch der grünlichste Junge:
»Ich wußte das längst, nur behielt ich's für mich, Mir nimmt er das Wort von der Zunge!«
Sie bilden sich ein daß bereits Poesie des herbstlichen Himmels Azur sei
Und der Faden der weiß die Bläue durchschwebt ein fertig Gedicht der Natur sei.
Doch er ist nur die Knosp' aus der es erblüht, und die Knospe war erst gesprungen
Als ihn Feeen als Band um ein liebendes Paar vor Uhlands Augen geschlungen.
Doch ich bin kein Zelot. Habt ihr Muße genug und versäumet nicht heilige Pflichten,
So möget ihr euch ein Leid, eine Lust zur Erinnrung in Verse verdichten,
Wie man gern unter Glas eine Locke bewahrt, vom Brautkleid der Liebsten ein Streifchen,
Eine Edelweißblüthe der Alpenfahrt, ein seidenes Cotillonschleifchen,
Und wehmuthbeglückt der Freude gedenkt wann vorüber die glückliche Zeit ist.
Nur stellet nicht aus zum Reliquiendienst was häuslicher Andacht geweiht ist!
Reliquien Euch, sind sie Kehricht der Welt, verwesende Fetzen und Knochen,
So lange noch nicht für bedeutsame That euer Volk euch seelig gesprochen.
Beim Freundesgelag, wie beim Himmelmann jüngst, da habt im Gedächtniß zur Stelle
Was gelungen euch dünkt; da sprudle der Wein als die wahre castalische Quelle.
Auch ein mäßig Gedicht, wenn es redlich und schlicht erzählt was du wirklich empfunden,
Entzückt da den Freund, denn Du, den er liebt, bist da leibhaft dem Liede verbunden,
Das nicht Augen erbuhlt durch den scharlachnen Band bepreßt mit goldenen Lyren,
Das vom Herzen gelernt, vom Munde zum Ohr die Herzen zu finden und rühren.
Da trifft es sich wohl daß du vorgefühlt hast, prophetisch in glücklicher Stunde,
Was schon Mancher geahnt und noch Niemand gesagt. Dein Vers geht voll Munde zu Munde;
So schleift er sich glatt zu schlichterem Ton; nur die markigsten Strophen behält man;
Man modelt sich bald eine Weise dazu; dein Gesang tritt den Lauf durch die Welt an,
Das Erinnerungsmal das du deinem Gefühl in erleuchteten Tagen errichtet, –
Der Bruder Student und der Wanderbursch singt's und ein Volkslied hast du gedichtet.
Doch der Züchtigung längst mit eisernem Stab eracht' ich den lyrischen Quark werth
Der, unendliche Kraft vergeudend, als Krebs an Deutschlands edelstem Mark zehrt.
Denn ich wette darauf, zehn Meilen gewiß erbauten wir Straßen mit Schienen
In mäßiger Frist mit den Summen allein die wir deshalb nur nicht verdienen,
Weil Tausende stets, wohlbegabt, wohlgeschult, den Heerbau des Friedens zu leiten
Um reicheren Segen dem Erdenschooß, der beherrschten Natur zu entstreiten,
Statt dessen, gezwängt in ein kümmerlich Loos, in der Klause sitzen und brüten
Um zu mehren den Berg versauernden Heu's von tauben lyrischen Blüthen.
Weil der säuselnde Wald, die Untergangsgluth, das zum Bade lockende Lachen
Der Wellen im See wann der Morgen sie küßt, weil des Lenzes, der Liebe Erwachen
Nun auch ihnen das Herz mit Empfindungen schwellt von des menschlichen Wesens Verwandtschaft
Mit dem Vogel der Lust, der Pflanze, dem Stein, der im Wasser gespiegelten Landschaft,
So wähnen sie flugs daß durch solches Gefühl der es habe zum Dichter verklärt sei,
Daß der Augenblick selbst und mit ihm die Person der Liedesverewigung werth sei.
Auch gelingt ihnen wohl ein artiges Lied; denn fast Jedem geläufig geworden
Ist der Meister Gebrauch, eine Fülle zumal von schon fertigen Reimesakkorden,
Die, von hinten zurück nach vorn, die Geburt der Verse so glättlich verrichten,
Daß wir manchen als ächt begrüßten, wofern er stünde in Goethes Gedichten.
Da verklagen sie dann den Stumpfsinn der Welt, die auf Lieder, so goethisch vollendet,
Kein Tüttelchen Lob, keinen Augenblick Zeit, keinen Heller an Kaufgeld verwendet,
Und merken es nicht daß eben deshalb gegen sie die Gemüther vereis't sind
Weil sie Wiederhall nur von goethischem Ton und Abglanz von goethischem Geist sind.
Entzückend ergreift noch heute sein Lied wenn er singt, wie beim ruhigen Glanze
Des Mondes in ihm ein Sehnen sich regt, erlöst zu zerfließen in's Ganze;
Weil Er uns erlöst aus dem gräulichen Zwist zurück zum Naturdienst der Ahnen,
Webt Uns da der Mond den Glorienschein um die Locken des jungen Titanen.
Doch beleuchtet sich selbst mit Mondesgestrahl in den niedlichsten Verschen ein Däumling,
Das ist kein prophetisches Traumgesicht, da drängt sich in Sicht nur ein Träumling.
Was die goethische Lyra empfindsam durchrauscht, es zeigt uns den großen Befreier,
Als Geleyer mit Stiften auf Walzen gesetzt – Schmidts Schulzen und Müller und Meier.
Als ein seltnes Geschenk wird des Liedes Gewalt erkorenen Führern geboten,
Wann im Völkergeschick sich Tod und Geburt von zwei Weltenaltern verknoten.
Des Liedes Besuch ist Segen – ein Fluch das Liedergesuch, weil vergeblich;
Auch Talent und Genie erfinden es nie; selbst Propheten ist's nur erleblich.
Du siehst nun, o Freund, wenn ihr schmollend gemeint, ich achte die Lyrik geringe,
So schosset ihr weit mit dem Vorwurfspfeil vorüber am äußersten Ringe.
Ich bewundere sie als ein Göttergeschenk, dem Willen, dem Fleiß unerschwingbar,
Und eben deshalb ist die heilige Scheu, die du Eigensinn schiltst, unbezwingbar.
Aus Irrthum vielleicht nenn' ich Eitelkeit nur was heut als Lyrik sich brüstet;
Doch das weiß ich gewiß daß mich die Natur nicht zu lyrischen Thaten gerüstet.
Auch die Dichtung ist mir eine bildende Kunst, die, anstatt mit Farben und Steinen,
Mit der Verse Musik zwar Stimmungen weckt, doch mit dem was sie sagen und meinen,
Den Hörenden zwingt mit Erinnerungskraft sich die Zauberbühne zu bauen,
Um wechselnde Scenen, Geräthe und Tracht und bewegte Gestalten zu schauen,
Zu Hoffnung und Furcht, zu Mitleid und Haß verstrickt, ihr Lieben und Streiten
Als ob ihr Geschick sein eigenes sei bis zum Sieg oder Sturz zu begleiten.
Es begegnet mir oft daß ein Bild der Natur mir die Seele durchzittert mit Rührung,
Ein Mann mich ergreift, eine Frau mich entzückt, und schon geb ich mich hin der Verführung
Den schönen Moment, die Menschengestalt in ein Einzelgedichtchen zu fassen –
»Verschwende nicht!« ruft mein führender Gott, »auf Gelegenheit warte gelassen!
Den Etzel gestalte so schmucklos und rauh so gluthvoll und doch so besonnen;
Krimhilden im Bad' umwalle dies Haar wie von lauterstem Golde gesponnen;
Mit dem Nordlicht laß die runische Kunst Brunhildens das Himmelszelt färben;
Die Corona bestrahle schauerlich schön den Wettlauf Sigfrids zum Sterben.«
So ließ ich nur selten als einzelnen Quell aussprudeln ein Liedesgelüste,
Als Börnchen, umrahmt mit Vergißmeinnicht, als ein kurzes Bächlein der Küste;
Ich fange die lyrischen Wässerlein zum See mit stauenden Wuhren,
Daß tiefer und breiter der epische Strom durchrausche unendliche Fluren.
Ich erhoffe die Zeit und weiß daß sie kommt, auch wenn ich sie selbst nicht erlebe,
Wo man gern auch vernimmt, wie gelacht und geweint, wie geschwärmt beim Safte der Rebe,
Wie voll Liebe geglüht, wie mit Leidenschaft einst, bald erliegend bald siegend, gerungen,
Der das ewige Lied, das gewaltige Lied unsrer Ahnen erneuert gesungen,
Der die dichtende Kunst vom Schweigen erlöst, vom Banne der stummen Betrachtung,
Den die Sage gewählt ihr Mund zu sein um zu schlagen mit tiefster Verachtung
Die Lüge der äußersten Niedertracht die man jemals auf Erden gelogen,
Mit welcher man Uns ein Jahrtausend hindurch um der Almen Verehrung betrogen,
Uns Rombesiegern die Heldenkraft vergiftet mit römischen Tücken
Und dem edelsten Volk die Glieder gelähmt daß es demuthsvoll schwärme für Krücken.
Nun regt sich bereits das Genesungsgefühl im erneuerten hünischen Marke
Und in Kurzem erlegt zum anderen Mal den Giftwurm Sigfrid der Starke.
Wann das flammende Schwert nach gewonnenem Sieg zurückkehren darf in die Scheide
Das Luther zuerst so gewaltig gezückt, dann Goethe, der gottvolle Heide,
Unter Blumen versteckt, die Dämonen der Nacht durch bloße Berührung zu tödten;
Wann das heitere Lächeln des Stolzes geziemt nach ganz überstandenen Nöthen:
Dann findet man, frei an der Brust der Natur, vielleicht auch die Frage nicht müßig:
Wie wurde das Herzblut heroischer Zeit noch einmal so lebensvoll flüssig?
Wie tranken sich Form und Farben und Laut zum Zorn, zum Jubel, zur Klage,
Den Augenglanz, dies Wangenroth die Schattengestalten der Sage?
Wie wurde die reizende Krimhild erlebt, wie die heilige hehre Brunhilde,
Der höllische Hagen und Mime der Schmidt und der Held der Stärke und Milde?
So fragen sie dann und lösen den Bann; dann ist es kein eitles Gebuhle
Zu stellen in Sicht auch das kleine Gedicht und das Lied wie es geht in die Schule.
Dann ist man vielleicht zu lauschen geneigt dem Geklimper von Stäben und Strophen;
Denn man findet dabei die Schaalen vom Ei aus welchem der Sigfrid geschlofen.
Doch eben die Zeit ist heute noch weit; so zürne nicht, theuerster Siebel,
Wenn ich ferner im Pult mit zäher Geduld die Verse von Wein und Geliebel
Verschließe der Welt. Wann es ihr einst gefällt, dann will ich den Schauder verwinden
Zum Drucke verdammt zu sehn was entstammt meinem eigenen tiefsten Empfinden. |