Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vorrede zur zweiten Auflage

Noch hab' ich von dieser Vorrede weiter nichts zustande gebracht als einen leidlichen Entwurf, den hier der Leser ungeschminkt bekommen soll. Vielleicht heb' ich durch das Geschenk dieses Entwurfs auch den Vorhang auf, der noch immer an meiner literarischen Arbeitloge herunterhängt, und ders der Nachwelt versteckt, wie ich darin arbeite als mein eigner dienender Bruder und als Meister vom schottischen Stuhl. Ein Entwurf ist aber bei mir kein Predigtentwurf in Hamburg, den der Hauptpastor am Sonnabend ausgibt und am Sonntag ausführt – er ist kein Gliedermann, keine Akademie, kein Kanon, wornach ich schaffe – er ist kein Knochenskelett für künftiges Fleisch; – sondern ein Entwurf ist ein Blatt oder ein Bogen, auf welchem ich mirs bequemer mache und mich gehen lasse, indem ich darauf meinen ganzen Kopf ausschüttele, um nachher das Fallobst zu sichten und zu säen, und das Papier mit organischen Kügelchen und mit Lagen von Phönixasche bedecke, damit ganze schimmernde Fasanereien daraus aufsteigen. In einem solchen Entwurfe halt' ich die unähnlichsten und feindlichsten Dinge bloß durch Gedankenstriche auseinander. Ich rede mich in dergleichen Entwürfen selber an und duze mich wie ein Quäker und befehle mir viel; ja ich bringe darin häufig Einfälle vor, die ich gar nicht drucken lasse, weil entweder kein Zusammenhang für sie auszumitteln ist, oder weil sie an sich nichts taugen.

Und nun wird es Zeit sein, daß ich dem Leser einen solchen Entwurf wirklich darbiete, welches diesesmal der Entwurf der gegenwärtigen Vorrede selber ist. Er ist überschrieben:

Architektonik und Bauholz für die Vorrede
zur zweiten Auflage des Hesperus

»Mache sie aber kurz, da der Welt der Gang durch zwei Vorzimmer in die Passagierstube des Buchs ohnehin lang wird – Scherz' anfangs – Selten schiebt einer auf der literarischen Kegelbahn alle neun Musen – Der Schluß aus der Reflexion – Bringe viele Ähnlichkeiten zwischen dem Titel Hesperus und dem Abendsterne oder der Venus heraus, dergleichen etwa sein müssen, daß meiner wie diese voll spitzer hoher Berge ist, und daß beide ihrer Unebenheit ihren größern Glanz verdanken, ferner daß der eine wie die andere im Durchgang durch die Sonne (des Apollo) nur wie schwarze Flecke erscheinen – (In deinem Briefkopierbuch mußt du mehre solche Anspielungen gemacht haben) – Die Welt erwartet, daß der Abendstern bei der zweiten Auflage unten als Luzifer oder Morgenstern heraufkomme, und daß der verklärte Leib des Papiers eine verklärte Seele behause; laß es passieren und orientiere die Welt. – Finde Pedanten, die sich von Worten, nicht von Sachen erhalten und füttern, den Aftermotten ähnlich, die Wachskuchen fressen und verdauen, aber keine Honigfladen. – Niemand gleicht so sehr als die Pedanten den Dohlen, die zugleich diebisch und geschwätzig sind; sie verwässern und kapern. – In die kritische Hölle werden gerade Leute nicht geworfen, die der Talmud auch von der jüdischen losspricht, nämlich die Armen, die Zahlunfähigen und die, welche am Durchfalle umkommen. – Sei ein Fuchs und streichle die kritischen Billard-Markörs, welche Verlust und Gewinn ansagen.« – –

Letztes versteh' ich selber nicht, weil der Entwurf schon im Winter geschrieben wurde. Ich kann vielmehr ohne Ironie bekennen, daß mich die kritischen Quartal- oder Landrichter beim Leben gelassen und mir weder einen spanischen Mantel, noch ein Demutkleid, noch ein Blut- und Härenhemd umgeworfen haben. Diese Nachsicht der Kritiker für einen Bücherschreiber, der wie ein Katholik mehr gute Werke verübt, als er zur Seligkeit braucht, ist gewiß nicht ihre schlechteste Eigenschaft, da sie damit so wohltätig auf unsere leeren Tage wirken. Denn man muß jetzt froh sein, wenn nur vier oder fünf neue Gleichnisse auf die Ostermesse abfahren, und wenn zur Michaelismesse nur einige Blumen, welche Novitäten sind, feil stehen. Unser literarisches Küchenpersonale weiß uns dasselbe goutée unter dem Scheine sechs verschiedner Schüsseln auf das Tischtuch und in den Mund zu spielen und belustigt uns zweimal im Jahr mit einer Nachahmung des berühmten Kartoffel-Gastmahls in Paris: anfangs kam bloß eine Kartoffelsuppe – dann schon mit anderer Zubereitung wieder Kartoffeln – das dritte Gericht hingegen bestand aus umgearbeiteten Kartoffeln – auch das vierte – als fünftes konnte man nun wieder Kartoffeln servieren, sobald man nur zum sechsten neu brillantierte Kartoffeln bestimmte – und so ging es durch 14 Gerichte hindurch, wobei man noch von Glück zu sagen hatte, daß wenigstens Brot, Konfekt und Likör den Magen aufrichteten und aus Kartoffeln bestanden. – –

Tadel ist eine angenehme Zitronensäure am Lob; daher werden beide von der Welt nur miteinander gleichsam in einem Sauerhonig verteilt; so wie nach dem Talmud auf den Räuchopferaltar einige Finger voll Teufelsdreck mit geworfen wurden. Das einzige folglich, was ich an den Rezensenten nach dem vorigen Lobe aussetzen will, und womit sie wirklich anstoßen, ist dieses, daß sie selten (ihr Herz ist gut) viel von der Sache oder Schrift verstehen, worüber sie richten; und selbst dieser Tadel passet nur auf den größern Teil. – –

»Web es ein,« (fährt der Entwurf fort) »daß du nicht daraus kommen kannst, was die jetzige Enthüllung und Enthülsung der weiblichen ArmeEin Jude schied sich sonst von seiner Frau, wenn sie mit nackten Armen erschien; es ist aber schwer, die jetzigen häufigen Ehescheidungen in Paris daraus herzuleiten. , Busen und Rücken bedeuten soll, so wie sonst die Pfauen gerade mit ähnlichen glänzenden Teilen, mit Hälsen, Flügeln und Köpfen, die nicht abgerupfet waren, in der Bratenschüssel auftraten. – Es wird daher gut sein, wenn du vermutest, daß die schalenlosen Damen heimliche Jesuitinnen und Freimäurerinnen sind, weil in beiden Orden die Mysterien und Verhüllungen mit Entblößung anfangen; oder gib auch diese unbefiederten Glieder irgendeinem Darben schuld, wie ein Küchlein aus einem Ei, woraus man nur einige Tropfen Eiweiß wegschöpfte, mit federlosen Stellen auskriecht – Drohe wenigstens, daß Damen und Krebse am liebsten in der Mause gefangen und gesotten werden.« – –

– Das ist einer von den Fällen, wovon ich oben sagte, daß ich darin Einfälle des Entwurfs, aus Mangel an Zusammenhang mit der ganzen Sache, aufgeben und wegwerfen müßte; denn wirklich hat die ganze Gliedermause nichts mit der Vorrede gemein als das Jahr der Geburt.

»Von andern Autoren« (fährt deren Entwurf fort) »muß abgegangen und über den Beifall, den du erbeutet, nur stumm weggeschlichen werden, damit die Welt sieht, wie du bist. – Man erwartet von einer Vorrede zur zweiten Auflage eine kleine Produktenkarte oder ein Ernteregister alles des Nachflors, der die zweite über die erste erhebt: gib ihnen das Register!« –

Gern! – Erstlich hab' ich verbessert alle Druckfehler – dann alle Schreibfehler – dann viele Dissonanzen der Sprache – auch Wort- und Sachschnitzer genug; die Einfälle aber und die poetischen Tulpen hab' ich selten ausgerissen. Ich sah, wenn ichs täte, so bliebe vom Buche (weil ich die ganze Manier ausstriche) nicht viel mehr in der Welt als der Einband und das Druckfehler-Verzeichnis. Der Theolog hasset juristische Anspielungen – der Jurist theologische – der Arzt beide – der Mathematiker alle vorigen – ich liebe sie alle; was soll man da lassen oder nehmen? – Der Frau mißfällt Satire, dem Manne erweichende Wärme (denn Kälte hält er an Büchern wie an Schokoladentafeln für Proben des Werts) – und das Publikum selber hat über ein Kapitel 45 Meinungen, wie Cromwell vier widersprechende Briefe an denselben Korrespondenten diktierte, bloß um seinen Schreibern den wahren zu verhehlen, den er fortschickte: – – welcher Meinung hängt in solchem Streit ein Autor an? – Am schicklichsten seiner eignen, wie die Welt der ihrigen. –

Übrigens erlebt mein Werklein schwerlich so viele gedruckte Auflagen, als ich davon in meiner Stube geschriebene verbesserte veranstalte – und darum sind große Änderungen daran, wenn nicht entbehrlicher, doch schwieriger. Am Plane der Geschichte selber war – gesetzt auch, ich hätte vergessen wollen, daß es eine wahre ist – darum wenig umzubessern, weil das Werk ist wie meine Hose, die kein Schneider, sondern ein Strumpfwirkerstuhl gemacht, und woran eine einzige aufgehende Masche des rechten Schenkels das ganze Gestrick des linken aufknöpft. Denn es ist ein wesentlicher, aber unleugbarer Fehler des Buchs – den ich leicht aus dem Mangel an Episoden erkläre –, daß, sobald ich aus dem ersten Stockwerk (oder Heftlein) nur irgendeinen brüchigen Quader ausziehe, sofort im dritten alles wackelt und zuletzt nachfällt. Allerdings steh' ich dadurch noch weit von den bessern neuen Romanen zurück, denen man ohne den geringsten Schaden der Komposition und Feuerfestigkeit beträchtliche Stücke ausbrechen und einbauen kann, bloß weil sie nicht, wie mein Buch, einem bloßen Hause, sondern einer ganzen Spielstadt aus Nürnberg gleichen, deren lose abgehenkte Häuser das Kind in seinem Spielschrank aufschichtet, und deren Musaik aus Hütten das liebe Kleine leicht zu seiner Lust gassatim zusammenstellt, wie es nur mag. Einer wahren Historie klebt immer das Verdrießliche an, daß dergleichen nicht zu machen ist.

Gleichwohl entschädige ich mein Werk für künstlerische Änderungen und Verbesserungen hinlänglich durch wahre – Vergrößerungen desselben, durch historische Zusätze. Da ich zum Glücke seit einigen Jahren unter den Personen selber lebe und hause, die ich abgeschildert: so bin ich als Zirkelgrad dieses schönen Familienzirkels ganz instand gesetzt, aus lebendigen Zeugen-Rotuln tausend Berichtigungen und Erläuterungen nachzutragen, die sonst kein Mensch erführe, und die gleichwohl die etwas dunkle Geschichte gewaltig erhellen. Der Kunstrichter schlage nur die zwei nächsten Kapitel des Buchs, oder die fernsten, oder andere auf.

Man will mich gefällig bereden, ich hätte in den Zusätzen den Überzähligen-Witz vermieden und den leuchtenden Naphthaboden meines Abendgestirnes, der weder auszugießen noch zu versenken war, geschickt gewässert durch frische Historie. – – Der Himmel geb' es! Ich habe schlechte Hoffnung; aber lieb sollte es mir sein, wenn die Rezensenten mich versichern wollten, ich hätte in meinem Pantheon-Pandämonium meine dichten Bilder, obwohl nicht versteigert oder verdeckt, doch aber weiter auseinander gehenkt.

»Überhaupt« (verfolgt der Entwurf) »nimm lieber das historische Okuliermesser als das kritische Jätemesser in die Hand!«

Eben sagt' ich, daß ichs getan.

»Was aber jene verdorrten falben Menschen anlangt, vor denen nichts groß ist als ihr Bild, und deren Magen vor jeder schönern Bewegung des erhobnen Herzens in eine umgekehrte gerät, kurz die alles anekelt (ausgenommen das Ekelhafte), so stelle dich an, als merktest du sie gar nicht einmal, um so mehr, da sie den Patienten gleichen, die der Bandwurm benagt, und welche nach medizinischen Beobachtungen sich vor jeder Musik, besonders Orgeln, erbrechen und ekeln – Denke lieber an die guten Menschen, die du kennst und liebst, und an die guten, die du nur liebst – – und daher werde am Ende der Vorrede ernsthaft und dankbar und freue dich!« – –

Wahrlich, das hätt' ich getan schon ohne den Entwurf! – Wie könnt' ich gegen die Schonung unempfindlich bleiben, womit man im ganzen die aphroditographischen Fragmente von meinem Abendstern abfassete, der mit so merklichen Aberrationen oder Abweichungen und in einer so wenig planetarischen Ellipse um seine Sonne läuft, daß er leicht, wie es oft dem Hesperus am Himmel geschieht, für einen Haar-, Bart- und Schwanzstern zu nehmen ist? – Und wie hart und kalt müßte die Seele sein, welche ohne Rührung und ohne Freude über den kürzesten frohen Tag, ja nur über eine frohe Sekunde und Terzie bliebe, in die sie die leidenden Menschen führen konnte – und über die ausgebreitete Verwandtschaft hoher Wünsche und heiliger Hoffnungen und freundlicher Gefühle – und über den holden Friedenschluß, worin die Zänker und Krieger auf der ersten Welt des prosaischen Lebens einander auf der zweiten Welt der Dichtkunst in gemeinsamen Erkennungen die Hände geben und zu Brüdern werden? –

Ich gebe dir, guter Asteriskus und Nebenplanet des sanften Abendsternes über mir, wieder die Wünsche vor drei Jahren für jede Seele auf den Weg, die du erfreuen kannst! Nur gehe für kein Auge als ein Regengestirn auf, nur mache keines irre, daß es den Mondschein der Dichtkunst für den Morgen der Wahrheit nimmt und die Morgen-Träume zu früh abdankt! – Aber in die Marterkammer und durch das Gefängnisgitter der verlassenen Seelen wirf einen erfreulichen Schein – und wem seine glückliche Insel auf den Meerboden der Ewigkeit entfiel, dem verkläre die dunkle tiefe Gegend – und wer vergeblich in einem entblätterten Paradiese umher- und hinaufsieht, dem zeige ein kleiner Strahl aus dir unten auf dem Boden unter dem gelben Laube irgendeine bedeckte süße Frucht der vorigen Zeit – und das Auge, dem du gar nichts zeigen kannst, dieses ziehe sanft hinauf zu deinem Bruder und zum Himmel, worin er glänzt. – Ja wenn ich einmal zu alt bin, so tröste mich auch!

Hof, den 16ten Mai 1797.

Jean Paul Fr. Richter.


 << zurück weiter >>