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Der große Pfarr-Park – Orangerie – Flamins Standes-Erhöhung – Fest-Nachmittag der häuslichen Liebe – Feuerregen – Brief an Emanuel
Den Lord ausgenommen, sitzt schon alles im Pfarrgarten und passet auf mich; aber den Garten kennt noch kein Henker. Er ist eine Chrestomathie von allen Gärten, und doch nicht größer als die Kirche. Viele Gärten sind wie er zugleich Küchen-, Blumen-, Baumgärten; aber er ist noch ein Tiergarten – wie er denn die ganze Fauna von St. Lüne enthält – und noch ein botanischer – mit der vollständigen Flora des Dorfs ist er bewachsen – und ein Bienen- und Hummelgarten – sooft sie gerade hineinfliegen. Indessen sollte man doch solche kleinere Vorzüge gar nicht namhaft machen, wenn ein Garten wie er einmal den hat, daß er der größte englische ist, durch den je ein Mensch schritt. Er verbirgt nicht nur sein Ende – wie jeder Park gleich jeder Kasse tun muß –, sondern auch seinen Anfang und scheint bloß die Terrasse zu sein, von der man in das hineinsehen kann, was man nicht übersehen, aber wohl wie Cook umfahren kann. Im englischen Pfarrgarten sind nicht einzelne Ruinen, sondern ganze zerschlagene Städte, und die größten Fürsten haben sich um die Wette beeifert, ihn mit romantischen Wüsten und Schlachtfeldern und Galgen zu versorgen, an die noch dazu (das treibt die Täuschung höher) wahre Spitzbuben gebunden sind als Fruchtgehänge. – Die Gebäude und Gesträuche verschiedener Weltteile sind darin nicht in eine widersinnige Nachbarschaft zusammengetrieben, sondern durch ordentliche Meere oder Wasserpartien nett auseinander gestoßen, welches bei dessen Größe leicht gewesen, da er über neun Millionen Quadratmeilen hält – und mit welchem Geschmack überhaupt diese Massen aneinander gelagert sind, mögen die Leser daraus ermessen, daß alle Lords und alle Rezensenten der Literaturzeitungen und die Leser selber in den Garten gezogen sind und oft sechzig Jahre darin bleiben. –
Der Pfarrer denkt, mit ihm auch als holländischem Garten einige Ehre einzulegen, besonders durch eine Perücke aus Wasser, die nicht an einem Perückenstock, sondern an einem Blechaufsatze hangt, und die so lockig springt, daß schon mehre Stadtpfarrer wünschten, sie könnten sie aufsetzen. Schmetterling-Glaskästen wendeten die Nachtkälte von frühzeitigen Rosen aus Seide ab und von Frühgurken aus Wachs. Gurken, die aus wahren Gurken bestanden, legte er unter allen Pastoren am frühesten ein, um in die Angst zu geraten, sie könnten erfrieren; denn diese Angst mußt' er haben, um sich zu freuen, wenn eine Glasflasche in seinem Hause zerbrochen wurde: er konnte dann den Eis- oder Glasberg, der in den Weinen leider jährlich mit unserem Durste steigt, in den Garten tragen und mit dieser Mistglocke die Herzblätter überbauen. – Um wichtigere Beete führte er einen bunten musivischen Scherbenrand; seine Familie war seine Rändelmaschine, ich meine, sie mußte ihm die wenigen Porzellantassen zerbrechen, die er brauchte, um mit diesem bunten Streuzucker ansehnlichere Partien zu heben, wie ein Fürst sich mit den bunten, durch die Knopflöcher seiner Vorzimmer gezognen Ordensbändern einfasset und beringet. Da er die Tassen nicht ganz um die Beete setzen konnte, sondern erst durch seine Scheidekünstler zerlegt: so muß ein Rezensent, der bei ihm isset, meinen Wink benutzen, um sichs zu erklären, wenn ein solcher Lungensüchtiger nicht vor Zorn außer sich ist, sobald sehr kostbares Geschirr zerbrochen wird; denn bloß bei elendem ist er seiner nicht mächtig. Jede Ehefrau sollte ein solches Beet als Arndts Paradiesgärtlein, als Schädelstätte für Porzellan von geänderter Façon abstechen, zum Besten ihrer Seele, um bei Sinnen zu bleiben, wenn eine Tasse fällt – »Schatz!« würd' ich sagen, »halte dieses Unglück wie eine Christin aus, es nützt dir entweder dort in der Ewigkeit oder hier – im Garten.«
Nahe an einem Hause nehmen sich die holländischen Gartenschnörkel mit ihrer häuslichen Winzigkeit besser aus als die erschütternde Natur mit ihrer ewigen Majestät. Eymanns geschnitzter Pfarrgarten war im Grunde bloß eine fortgesetzte Wohnstube ohne Dach und Fach.
Als der Pfarrer unsern Viktor im Garten herumzerrete, hätte der Gast beinahe vergessen, das Ideenmagazin im Garten zu loben, bloß weil er zu neugierig und zu warm der Ankunft Klotildens und ihrem Benehmen gegen seinen Freund entgegensah. Zum Glücke fiel es ihm ein, daß der Pfarrer auf Räuchopfer und Räuchfässer sich spitze; er hinterging ein Lorbeer-hoffendes Herz so ungern, daß er sich eben darum gern zu Personen von einigem Werte hielt, um seinem menschenfreundlichen Hange, zu loben, ohne Kosten der Wahrheit nachzugeben.
Viktor freuete sich auf Flamins und Klotildens Zusammenkommen: wie schön, dacht' er, wird auf sein und ihr stolzes Gesicht der Mondschein der weichen Liebe fallen! – Und er hielt eine reichliche Duldung und Liebe für ihre Liebe vorrätig. Denn er hatte nicht nur so viel Einsicht in die Flucht unsrer Freuden, daß er kaum über die tollsten zankte: sondern er konnte auch dem Handwerkgruß (oder der Methodologie) zweier Liebenden mit Vergnügen beiwohnen. »Es ist sehr toll« – sagt' er in Göttingen – »jeder gute Mensch tut seine Arme teilnehmend auf, wenn er Freunde oder Geschwister oder Eltern in den ihrigen sieht; wenn aber ein Paar verliebte Schelme vor uns am Seile der Liebe herumtanzen, und wär's auf dem Theater, so will kein Henker Anteil nehmen – sie müßten denn in einem Romane tanzen. Warum aber? – Sicher nicht aus Eigennutz, sonst bliebe das hölzerne Herz im Menschenklotz auch bei fremder Freundschaft, bei kindlicher Liebe fest genagelt – sondern weil die verliebte Liebe eigennützig ist, sind wirs auch, und weil sie im Roman es nicht ist, sind wirs auch nicht. Ich meines Orts denke weiter und mache mir von jedem verliebten Gespann, das mir begegnet, weis, es wäre gedruckt und eingebunden, und ich hätte es vom Bücherverleiher für schlechtes Lesegeld. Es gehört zur höhern Uneigennützigkeit, sogar mit dem Eigennutz zu sympathisieren. – Und vollends mit euch armen Weibern! Wüßtet ihr oder ich denn in eurem vernähten, verkochten, verwaschnen Leben oft, daß ihr eine Seele hättet, wenn ihr euch nicht damit verliebtet? Manche von euch brachte in langen Tränenjahren ihr Haupt nie empor als am sonnenhellen kurzen Tage der Liebe, und nach ihm sank das beraubte Herz wieder in die kühle Tiefe: so liegen die Wasserpflanzen das ganze Jahr ersäuft im Wasser, bloß zur Zeit ihrer Blüte und Liebe sitzen ihre heraufgestiegenen Blätter auf dem Wasser und sonnen sich herrlich und – fallen dann wieder hinab.«
Endlich trat Klotilde mit der Pfarrerin in einem Gespräche herein. Sie hatte einen Florhut mit einem schwarzen Spitzen-Fallgitter auf, das mit einem durchbrochnen Schatten ihr schönes Angesicht zugleich verschönerte, teilte und verbarg. Aber ihr Auge vermied Flamins Auge und schlich ihm nur zuweilen denkend nach. Er bewies, daß gerade Leute vom größten Mute den kleinsten gegen Schönheit zeigen – er tat ihr nicht einen Schritt entgegen. Sie fragte unsern Viktor angelegentlich über die Ankunft und über das Befinden des Lords. Sie legte ihm dann mit der gewöhnlichen medizinischen Unbestimmtheit ihres Geschlechts die Frage vor, ob eine solche Operation öfters so leicht gerate, und ob er vielen schon so viel wiedergegeben als seinem Vater; er verneinte beides, und sie seufzete unverhohlen. Seine ehrerbietige Entfernung von ihr wäre durch die, worin sein Freund sich von ihr hielt, größer geworden, hätt' er ihr nicht etwas zu geben gehabt – Emanuels Zettel. Er konnte ihn nicht stehlen, da er ihr neulich schon die erste Zeile vorgesagt; zweitens mußt' er ihn unter vier Augen – nicht z. B. durch Agathen – zustellen, weil er ihre bis an die äußerste Grenze getriebne Diskretion kannte. Klotilde gehörte unter die – dem Lebensbeschreiber und dem Helden beschwerlichen – Personen, die gern alles Kleine verbergen, z. B. was sie essen, wohin sie morgen gehen, die auf den Freund toll werden, wenn er ausplaudert, sie hätten voriges Jahr am Thomastage leichte Kopfschmerzen gehabt. Bei Klotilden kams nicht von Furcht, sondern von der dunkeln Ahndung, daß der, der gleichgültige Mysterien ausschwatze, endlich wichtige sage. Er fühlte, ihres Stolzes ungeachtet, gegen sie einen mächtigen Zug zur Aufrichtigkeit. Er führte sie allein dem Pomeranzenbaume zu und gab ihr dort – indem er ihr durch seine offenherzige Leichtigkeit die beschwerliche Verbindlichkeit für ein Geheimnis ersparte – das Blatt zurück. Sie erstaunte, sagte aber sogleich: ihr Erstaunen gehe bloß ihre eigne Nachlässigkeit an – d. h. sie glaubte ihm, hatt' aber irgendeinen Verdacht gegen ihre Schloßgenossen und gegen die Art, wie es in die Laube gekommen. Sie machte sich die Orangerie zunutze und drängte ihr beseeltes Angesicht in die Pomeranzenblüten. Viktor konnte unmöglich so dumm allein dort stehen – er, noch ein wenig betroffen über das Erstaunen und am Ende über einen fast zu großen Stolz, wurde auch lüstern nach dem Pomeranzenweihrauch und hielt ihr darin sein Gesicht entgegen. Er hätte aber wissen sollen, daß einer, der an etwas riecht, nicht auf das Etwas blicke, sondern geradeaus. Er war also kaum mit seinen Geruchnerven in den Blüten, so schlug er seine Augen auf, und Klotildens große standen ihm offen entgegen; sie waren gerade in der wirksamsten und höchsten Erhebung von 45°, man mag nun Augen oder Bogenschüsse meinen. Er drehte seine Augäpfel gewaltsam auf die Blätter nieder, sie trat, noch klüger, von der betäubenden Orangerie zurück.
Gleichwohl war sie nicht verlegen; er hielt es für Unrecht gegen Flamin, ihre Gesinnungen gegen ihn selber zu beobachten; aber so viel merkte er doch, daß die Sternwarte, auf der man die Sternbedeckungen ihres Herzens beobachten wollte, höher sein müsse, als gegen andre Weiber nötig ist. Die Gewohnheit, bewundert zu werden, hatte sie gegen die Vorspieglung des Eindrucks ihrer Reize, mit der sich die Männer so oft die Aufmerksamkeit der weiblichen Eitelkeit erwerben, fest gemacht. Sie war, wie gesagt, nicht verlegen: sondern erzählte ihrem Zuhörer noch etwas von Emanuels Charakter, was sie neulich vor so unheilige Ohren aus Achtung für ihren Lehrer nicht bringen wollte – daß er nämlich gewiß glaube, er werde nach einem Jahre in der Johannis-Mitternacht sterben. Viktor konnte leicht erraten, daß sie es selber glaube; aber das erriet er nicht, daß diese Stolze aus bloßer Weichheit des Herzens ihren Termin, zu Johannis aus Maienthal zu ziehen, beschleunigt habe, um nicht dem geliebten Menschen an dem Namentage des künftigen Sterbetages zu begegnen. Zufolge ihrer Erzählung hatte dieser Emanuel eine hart erhabne Stellung unter den Menschen: er war allein, an seiner Brust waren große Freunde gewesen – aber alles war ihm unter die Erde gegangen – darum wollt' er auch sich darunter verhüllen. Die Jahre geben den stürmischen überkräftigen Menschen eine schönere Harmonie des Herzens, aber den verfeinerten kalten Menschen nehmen sie mehr, als sie geben; jene Kraftherzen gleichen den englischen Gärten, die das Alter immer grüner, voller, belaubter macht; hingegen der Weltmann wird, wie ein französischer, durch die Jahre mit ausgedorrten und entstellten Ästen überdeckt.
Viktor wurde ängstlicher; jedes Wort, das er ihr abgewann, hielt er für Tempelraub an seinem Freund, da ohnehin der letzte nicht so gut als er die Kunst verstand, mit einer Frau in ein Gespräch zu kommen. Jener hatte nicht den Mut zu glänzen, weil er dadurch um ihren Beifall mit seinem Freunde zu wetteifern besorgte. Sein Flamin kam ihm heute länger, schöner, besser vor; und er sich kürzer und dümmer. Er wünschte tausendmal, sein Vater wäre schon da, damit er ihm Flamins Bitte, ihm Klotildens Besitz leichter zu machen, mit dem größten Feuer übergeben könnte.
Endlich kam er, und Viktor atmete wieder voll. Der gute Mensch sucht oft durch aufopfernde Taten sein Gewissen wieder mit seinen Gedanken auszusöhnen. Mit herzklopfendem Enthusiasmus wartete er auf die Minute der Einsamkeit. Ein Garten vereinzelt und verbindet Leute auf die leichteste Weise, und nur darin sollte man Geheimnisse verteilen; Viktor konnte bald in einer Laube, die sich an vier Kastanienbäumen mit Blüten-Geäder über den Menschen zusammennistete, mit gerührtem Zittern seinen Vater umfassen und für seinen Freund sprechen und glühen mit Zunge und Herz. Des Lords Überraschung war größer als dessen Rührung. »Hier« (sagt' er) »ist deine Bitte auf eine andere Art längst erfüllt; ich wollte dir aber das Vergnügen der Botschaft aufheben« – und damit gab er ihm ein allerhöchstes Handbillet, worin der Fürst den praktizierenden Advokaten Flamin zum Regierungrat beruft.