Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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Er saß wieder in seinem Mastkorb, als die Fürstin aß. Es geschah bei offnen Türen. Sie schürte sein Lauffeuer der Liebe mit dem goldnen Löffel an, sooft sie ihn an ihre kleinen Lippen drückte – sie störte das Feuer wieder auseinander mit den zwei Zahnstochern (süßen und sauern), sooft sie zu ihnen griff. Tostato et Compagnie setzten heute die teuersten Waren ab: kein Mensch kannte die et Compagnie; bloß Zeusel sah dem Viktor schärfer ins Gesicht und dachte: »Ich sollte dich gesehen haben.« Gegen 2⅔ Uhr nachmittags ereignete sich das Glück, daß die Prinzessin selber an die Bude trat, um italienische Blumen für ein kleines Mädchen, das ihr wohlgefallen, auszusuchen. Bekanntlich nimmt man sich in jeder Maske Maskenfreiheit und auf jeder Reise Meßfreiheit: Viktor, der in Verkleidungen und auf Reisen fast allzu kühn war, versuchte es, in der Muttersprache der Prinzessin und zwar mit Witz zu sprechen. »Der Teufel«, dacht' er, »kann mich doch deswegen nicht holen.« Er merkte daher mit dem zartesten Wohlwollen gegen dieses schöne Kind in Molochs Armen nur so viel über die seidnen Blumen an: »Die Blumen der Freude werden auch leider meistens aus Samt, Eisendraht und mit dem Formeisen gemacht.« Es war nur ein Wunder, daß er höflich genug war, um den Umstand wegzulassen, daß gerade der italienische Adel die italienische Flora verfertige. Sie sah aber auf seine Ware und schwieg; und kaufte statt der Blumen eine montre à regulateurBekanntlich eine Damenuhr, wie ein Herz gestaltet, auf dem Rücken mit Sonnenweiser und Magnetnadel versehen. Letzte zeigt den Damen, die die Kälte hassen, im Grunde auch Süden, und der Sonnenweiser taugt zum Mondweiser., die sie nachzubringen ersuchte.

Er überbrachte ihr die Uhr eigenhändig; aber leider ebenso eigenhändig – der Leser erschrickt; aber anfangs erschrak er selber und dachte doch den Einfall so oft, bis er ihn genehmigte – hatt' er vorher über den Imperator der Uhr ein zartes Streifchen Papier gepicht, worauf er eigenhändig mit Perlenschrift geschrieben: Rome cacha le nom de son dieu et elle eut tort; moi je cache celui de ma déesse et j'ai raisonRom verbarg den Namen seines Gottes, aber es hatte unrecht; ich verberge meiner Göttin ihren, aber ich habe recht..

»Ich kenne die Leute schon,« dacht' er, »sie machen und ziehen in ihrem Leben keine Uhr auf!« Ei, Sebastian, was wird mein Leser denken oder deine Leserin?

Sie reisete noch abends in ihr erheiratetes Land, das künftige Hackbrett ihres Zepters. Unserem Viktor war beinahe, als hätt' er ihr ein andres Herz als das metallene mit dem Zettel mitgegeben, und er freuete sich auf den Flachsenfinger Hof. Vor ihr lief ihr nachgedruckter Bräutigam oder seine Sänfte, aus der er ausstieg an die Wand des Schlafzimmers. Da er ihr Gott war, so kann ich ihn oder sein Bild mit den Bildern der alten Götter vergleichen, die auf einem eignen vis-à-vis – thensa genannt – herumgefahren, oder in einer Porträtbüchse – ναος genannt – oder in einem Bauer – καδισκον genannt – herumgetragen wurden.

Darauf ging Viktor mit seinem Handelskonsul hinter den Kulissen des Benefiztheaters herum. Er schnürte die seidne Demarkationlinie und Sperrkette ab – zog sie in die Höhe wie ein ekles Haar – befühlte sie – hielt sie erst weit vom Auge – dann nahe an dieses – zerrte sie auseinander, eh' er sagte: »Die Kraft stecke, wo sie will – es mag nun eine seidne Schnur politische Körper so gut wie elektrische isolieren – oder es mag mit Fürsten wie mit Hühnern sein, die keinen Schritt weiter setzen, wenn man Kreide nimmt und damit von ihrem Schnabel herab eine gerade Linie auf den Boden hinführt – soviel seht Ihr doch, Associé: wenn ein Alexander die Grenzsteine der Länder verrücken wollte, so wäre ein solcher Strang dagegen das beste ins Enge gezogne Naturrecht und eine dergleichen Barriereallianz.« Er ging in ihr Schlafzimmer zum ausgeleerten heiligen Grabe, d. h. zum Bette der auferstandnen Braut, in welches der an der Wand vor Anker liegende Sponsus von seinem Nagel sehen konnte. Ganze Divisionen von Einfällen marschierten stumm durch seinen Kopf, den er damit an ein seidnes Kopfkissen – so groß wie ein Hunde- oder ein Seitenkissen eines Wagens – mit der Wange andrückte. So anliegend und kniend sprach ers halb in die Federn (nicht in die Feder) hinein: »Ich wollt', auf dem andern Kissen läg' auch ein Gesicht und säh' in meines – du lieber Himmel! zwei Menschengesichter einander gegenüber – sich einander in die Augen ziehend – einander die Seufzer belauschend – von einander die weichen durchsichtigen Worte wegatmend – das ständen ich und Ihr gar nicht aus, Associé!« – Er sprang auf, patschte sein Hasenlager leise wieder platt und sagte: »Bette dich weich um das schwere Haupt, das auf dich sinkt; erdrücke seine Träume nicht; verrate seine Tränen nicht!« – Wäre sogar der Graf von O mit seiner feinen ironischen Miene dazugekommen: er hätte nichts darnach gefragt. Es ist ein Unglück für uns Deutsche, daß wir allein – indes dem Engländer sogar vom Weltmann seine Hasen-, Bock- und Luftsprünge für zierliche Rück-, Vor- und Hauptpas angerechnet werden – gar nicht ernsthaft und gesetzt genug einherschreiten können.

Er lief abends wieder in den Hafen seines Zeidlers ein; und sein schwankendes Herz warf auf die stille blühende Natur um ihn die Anker aus. Der alte Mann hatte unterdes alle seine alten Papiere, Tauf-, Trauscheine und Manualakten vom Nürnberger Zeidlergericht etc., zusammengefahren und sagte: »Les' Er!« – Er wollt' es selber wieder hören. Er zeigte auch seinen »Dreifaltigkeitsring« aus Nürnberg, auf welchem stand:

Hier dieser Ring der weist,
Wie drei in Einem heißt
Gott Vater, Sohn und Geist.

Der Bienenvater machte weiter kein Geheimnis daraus, daß er vorher, als er diesen Ring sich noch nicht in Nürnberg an einem Gerichttage angeschafft hatte, die Dreifaltigkeit nicht glauben können: »jetzt aber müßt' einer ein Vieh sein, wenn ers nicht begriffe.« – Am Morgen vor der Abreise war Viktor in der doppelten Verlegenheit: er wollte gern ein Geschenk haben – zweitens eines machen. Was er haben wollte, war eine plumpe Stundenuhr – bei einer Ausspielung für ein Los à 20 kr. gewonnen –; dieses Werk, dessen dicke Zeigerstange den Lebensfaden des Greises auf dem schmutzigen Zifferblatte in lauter bunten frohen Bienen-Stunden weggemessen hatte, sollte eine Lorenzo-Dose für ihn sein, ein Amulett, ein Ignatius-Blech gegen Saulische Stunden. »Ein Handwerker«, sagt' er, »braucht wahrlich nur wenig Sonne, um zufrieden und warm durchs Leben zu gehen; aber wir mit unsrer Phantasie sind oft in der Sonnenseite so schlimm daran als in der Wetterseite – der Mensch steht fester auf Dreck als auf Äther und Morgenrot.« Er wollte dem glücklichen Lebens-Veteranen als Kaufschilling für die Stundenuhr und als Preismedaille für das Quartier seine Sekundenuhr aufdringen. Lind hatte das Herz nicht, wurd' aber rot. Endlich stellte ihm Viktor vor, die Sekundenuhr sei eine gute Leuchtkugel zum Dreifaltigkeitsringe, ein Thesesbild dieses Glaubenartikels, denn die dreifaltigen Zeiger machten doch nur eine Stunde. – Lind tauschte.

Viktor konnte weder der Spötter noch der Bunklische Reformator einer solchen irrenden Seele sein, und seine sympathetische Laune ist nichts als ein zweifelnder Seufzer über das menschliche Gehirn, das 70 Normaljahre hat, und über das Leben, das ein Glaubens-Interim ist, und über die theologischen Doktorringe, die solche Dreifaltigkeitsringe sind, und über die theologischen Hör- und Sprechsäle, worin solche Sekunden-Uhren zeigen und schlagen.

– Endlich geht er aus Kussewitz um 6 Uhr morgens. Eine sehr schöne Tochter des Grafen von O kam erst um 7 Uhr zurück: das ist unser aller Glück, er säße sonst noch da.

Der Hundposttag ist aus. Ich weiß nicht, soll ich ein Extrablatt machen oder nicht. Der Schalttag ist an der Türe; ich wills also bleiben lassen und nur ein Pseudo-Extrablatt hersetzen, welches sich bekanntlich von einem kanonischen ganz dadurch unterscheidet, daß ichs im apokryphischen durch keine Überschrift merken lasse, sondern nur unter der Hand von der Geschichte wegkomme zu lauter Fremdsachen.

Ich nehme meinen historischen Faden wieder auf und befrage den Leser: was hält er von Sebastians Weiber-Liebhaberei? Und wie erklärt er sich sie? – Wahrhaft-philosophisch versetzt er: »Aus Klotilden: sie hat ihn durch ihr Magnetisieren mit der ganzen Weiber-Welt in Rapport gesetzt; sie hat an diesen Bienenschwarm geklopft, nun ist kein Ruhen mehr. – Ein Mann kann 26 Jahre kalt und seufzerlos in seinem Bücherstaube sitzen; hat er aber den Äther der Liebe einmal geatmet: so ist das eirunde Loch des Herzens auf immer zu, und er muß heraus in die Himmelluft und beständig nach ihr schnappen, wie ich in den künftigen Hundposttagen sicherlich sehe.« Einen närrischen philosophischen Stil hat sich der Leser angewöhnt; aber es ist wahr; daher ein Mädchen nie so begierig für ihr Theater den zweiten Liebhaber wirbt als nach dem Hintritt des ersten und nach den Schwüren, ihr Werbepatent wegzuwerfen.

Wie konnte aber der Leser auf noch wichtigere UrsachenEine vierte Ursache wäre, daß ihm jetzt jede Liebe gegen eine andre als gegen Klotilde ein Verdienst um seinen Freund zu sein schien. nicht fallen, 1) auf die Gesamtliebe und 2) auf Viktors Muttermäler?

1) Die Gesamt- oder Zugleichliebe ist zu wenig bekannt. Es ist noch keine Beschreibung davon da als meine: in unsern Tagen sind nämlich die Lesekabinette, die Tanzsäle, die Konzertsäle, die Weinberge, die Kaffee- und Teetische, diese sind die Treibhäuser unsers Herzens und die Drahtmühlen unserer Nerven, jenes wird zu groß, diese zu fein – wenn nun in diesen ehelustigen und ehelosen Zeiten ein Jüngling, der noch auf seine Messiasin wie ein Jude passet und der noch ohne den höchsten Gegenstand des Herzens ist, von ungefähr mit einer Tanz-Hälfte, mit einer Klubistin oder Associée oder Amtschwester oder sonstigen Mitarbeiterin hundert Seiten in den Wahlverwandtschaften oder in den Hundposttagen lieset – oder mit ihr über den Kleebau oder Seidenbau oder über Kants Prolegomena drei bis vier Briefe wechselt – oder ihr fünfmal den Puder mit dem Pudermesser von der Stirne kehrt – oder neben und mit ihr betäubende Säbelbohnen anbindet – oder gar in der Geisterstunde (die ebensooft zur Schäferstunde wird) über den ersten Grundsatz in der Moral uneins wird: so ist soviel gewiß, daß der besagte Jüngling (wenn anders Feinheit, Gefühl und Besonnenheit einander die Waage in ihm halten) ein wenig toll tun und für die besagte Mitarbeiterin (wenn sie anders nicht mit Höckern des Kopfes oder Herzens an seine Fühlfäden stößet) etwas empfinden muß, das zu warm ist für die Freundschaft und zu unreif für die Liebe, das an jene grenzt, weil es mehre Gegenstände einschließt, und an diese, weil es an dieser stirbt. Und das ist ja eben nichts anders als meine Gesamt- oder Zugleichliebe, die ich sonst Simultan- und Tuttiliebe genannt. Beispiele sind verhaßt: sonst zög' ich meines an. Diese Universalliebe ist ein ungegliederter Fausthandschuh, in den, weil keine Verschläge die vier Finger trennen, jede Hand leichtlich hineinfährt – in die Partialliebe oder in den Fingerhandschuh drängt sich nur eine einzige Hand. Da ich zuerst diese Sache und Insel entdeckt habe: so kann ich ihr den Namen schenken, womit sie andre nennen und rufen müssen. Man soll sie künftighin die Samm- oder Zugleichliebe benamsen, ob ich sie gleich auch, wenn ich und Kolbe wollten, die Präludierliebe – die Maskopei-Zärtlichkeit – die General-Wärme – die Einkindschafttreue nennen lassen könnte.

Den Theologen und ihrer Kannengießerei von den Endabsichten zu Gefallen werf' ich noch diesen festen Grundsatz her: ich möchte den sehen, ders ohne die Sammliebe in unsern Zeiten, wo die einspännige Liebe durch die Foderungen eines größeren metallischen und moralischen Eingebrachten seltner wird, drei Jahre aushielte.

2) Die zweite Ursache von Viktors Weiber-Liebhaberei war sein Muttermal, d. h. eine Ähnlichkeit mit seiner und jeder Mutter. Er behauptete ohnehin, seine Ideen hätten gerade den Schritt, d. h. den Sprung der weiblichen, und er hätte überhaupt recht viel von einer Frau; wenigstens gleichen die Weiber ihm darin, daß ihre Liebe durch Sprechen und Umgang entsteht. Ihre Liebe hat sicher noch viel öfter mit Haß und Kälte angefangen als aufgehört. Aus einem aufgedrungenen verhaßten Bräutigam wird oft ein geliebter Ehemann. »Ich will,« – sagte er im Hannöverischen – »wenn nicht in ihr Herz, doch in ihre Herzohren. Sollte denn die Natur in die weibliche Brust zwei so weite Herzkammern – man kann sich darin umkehren – und zwei so nette Herzalkove – den Herzbeutel hab' ich gar nicht berührt – bloß darum hineingebauet haben, daß eine Mannseele diese vier Zimmer mutterseelenallein miete, wie eine weibliche die vier Gehirnkammern des Kopf-Frauengemachs bewohnt? Ganz unmöglich! und sie tuns auch nicht: sondern – aber wer übermäßigen Witz scheuet, gehe mir jetzt aus den Füßen – in die zwei Flügel dieser Rotunda und in die Seitengebäude wird hineingelagert, was hineingeht, d. h. mehr als herausgeht – wie in einem Zoll- oder Taubenhause gehts aus und ein – man kann nicht zählen, wenn man zusieht – es ist ein schöner Tempel, der Durchganggerechtigkeit hat. – Solche kehren sich an die wenigen gar nicht, die sich einschränken und die Hauptloge des Herzens nur einem einzigen Liebhaber geben und bloß die zwei Seitenlogen tausend Freunden.«

Gleichwohl konnt' es Jean Paul – es mochte immerhin Platz genug übrig sein – nie so weit treiben, daß er nur in die zwei Koloniekörbe, nämlich in die Herzohren hineingekommen wäre, welches doch das Allerwenigste ist. Weil sein Gesicht zu mager aussieht, die Farbe zu gelb, der Kopf viel voller als die Tasche und sein Einkommen das einer Titular-Berghauptmannschaft ist: so quartieren sie den guten Schelm bloß am kältesten Orte ganz oben unter den Kopf-Mansarden ein, nicht weit von den Haarnadeln – und da sitzt er noch jetzunder und scherzet (schreibend) sein eilftes Kapitel hinaus....


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