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Der Amoroso am Hofe – Präliminarrezesse der Hochzeit – Rettung des höflichen Krümmens
Am Morgen nach jener großen Nacht nahm Viktor von dieser geweihten Graberde seiner schönsten Tage mit unverhüllten Tränen Abschied. Er sah sich oft um nach diesen Ruinen seines Palmyra, bis nichts davon übrig stand als der Bergrücken als Brandmauer. »Wenn du nach vier Wochen wieder hieher gehest,« dachte er, »so ists nur, um dem Todesengel zuzusehen, wie er deinen Emanuel auf den Altar und unter das Opfermesser legt.« Er sagte sichs, wie teuer er dieses Laubhüttenfest durch den Tod eines Freundes bezahle; und wie dieser ohne einen solchen Ersatz einen ebenso großen Verlust erleide. Denn er fühlte, daß das fürchterliche Wort »Schurke« als eine ewige Felsenwand zwischen ihre auseinandergeteilten Seelen nun getreten sei. – Er stellte sich zwar vor und recht gern, was den vergangnen Freund lossprach, besonders die Verhetzung durch Matthieu und Flamins Zuhorchen, als er Klotilden ewige Liebe zuschwor; ja er verfiel sogar darauf, daß der Evangelist den armen Flamin vielleicht besondere (die vom Apotheker vorgeschlagnen) Beweggründe einer Liebe, durch deren Gegenstand die Gunst des Fürsten festzumachen war, weit im Hintergrunde sehen lassen – aber sein Gefühl sagte ihm unaufhörlich: »Er hätte doch nicht glauben sollen! – Ach hättest du mich doch« (sagte er gerührt bei der Erblickung der Stadt) »mit Kugeln oder mit andern Schmähungen durchbohrt, damit ich dir hätte leicht vergeben können! – Aber gerade mit diesem fortfressenden Giftlaute!« – Er hat recht; die Beleidigung der Ehre wird darum nicht kleiner, weil sie der andere aus voller Überzeugung des Rechts begeht. Denn die Überzeugung ist eben die Beleidigung; und die Ehre eines Freundes ist etwas so Großes, daß die Zweifel an ihr fast nur durch eigenes Geständnis entstehen dürfen. Aber so werden aus kleinen Verhehlungen leicht Trennungen, wie aus Nebeln im März Gewitter im Julius. Nur eine vollendete edle Seele vermag es, den geprüften Freund nicht mehr zu prüfen – zu glauben, wenn die Feinde des Freundes leugnen – zu erröten wie über einen unreinen Gedanken, wenn ein stummer verfliegender Argwohn das holde Bild beschmutzt – und wenn endlich die Zweifel nicht mehr zu bezwingen sind, diese noch lange aus den Handlungen fortzuweisen, um lieber in eine kameralistische Unvorsichtigkeit zu fallen als in die schwere Sünde gegen den heiligen Geist im Menschen. Dieses feste Vertrauen ist leichter zu verdienen als zu haben.
Im lärmenden Hammer- und Mühlenwerk der Stadt war ihm wie in einer öden Waldung. An zarte Seelen verwöhnt, kamen ihm die städtischen alle so stachlicht und ungeschliffen vor; denn die Liebe hatte wie die Tragödie seine Leidenschaften gereinigt, indem sie solche erregte. Alles hing so verfallen, so verraset zum Einbrechen herüber, indes die reinen Spiegelwände in Maienthal fest und glänzend aufstiegen. Denn die Liebe ist das einzige, was das Herz des Menschen bis an den Rand vollgießet, wiewohl mit einem bald einsinkenden Nektar-Schaume; sie allein fasset ein Gedicht von etlichen tausend Minuten ab ohne den klirrenden R-Buchstaben, wie der Dominikaner Cardone über sie ein ebenso großes Gedicht unter dem Namen: L'R sbandita ohne ein einziges R verfertigte – daher ist sie wie die Krebse in den Monaten ohne R am schönsten.
Das erste, was er in Flachsenfingen zu machen hatte, war ein Brief an Klotilde. Denn da nun der Evangelist Matthieu aller Wahrscheinlichkeit nach in alle Welt ausgehen und das Evangelium vom Schuß-Zweikampf der beiden Freunde allen Völkern predigen wird: so war nichts anders für den heiligen Ruf seiner Geliebten zu tun, als sie in eine Braut zu verwandeln durch eine öffentlich erklärte Verlobung. Flamins neues Ereifern konnte gegen Klotildens Rechtfertigung in keine Betrachtung kommen. Der Ausruf »Du bist mein Bruder«, den die Konvulsionen der Angst Klotilden entrissen hatten, war natürlich für Flamin unbegreiflich und ohne Wirkung geblieben; für den lauernden Matz aber war er ein herrlicher Kernspruch und ein dictum probans seines Lehrgebäudes von ihrer Verschwisterung geworden. – Im Briefe also ging Viktor seine Freundin um die stumme Erlaubnis zu seinem Werben an; er überließ es ihr schweigend, die uneigennützigsten Beweggründe seiner Bitte zu erraten. –
Er erschien jetzt auf dem Kriegschauplatz der Seelen, von dem man selten eine genaue Karte erwischt, am Hofe: – seinem mit Paradiesen angefüllten Herzen kamen sogar die Zimmer vor wie Glaskästen einer ausgebälgten Voliere, die man mit Streuglanz, Konchylien und Blumen übersäet, und die lebendigen Stücke der Zimmer wie getrocknetes, mit Arsenik oder Holz ausgestopftes Gevögel; durch die Schlangen war Draht geführt, wie durch die Schwänze der großen Tiere, und die Baumläufer am Thron standen auf Draht. – – So sehr wurde er bloß durch das Pfingstfest der Gegenfüßler von uns, die wir bei kälterm Blute das Erhabene und Edle eines Hofs leicht bemerken. – Das Neueste, was er da hörte, war, daß der Fürst in Gesellschaft der Fürstin zum Gesundbrunnen in St. Lüne abreise, um die gichtbrüchigen Füße, wie jene die Augen, heil zu baden. Viktor war wirklich nicht ganz tolerant, da er bei sich dachte: »Wenn ihrs nicht besser haben wollt, so geht meinetwegen zum T--.« Das Paulinum war für ihn ein Schlachthaus und jedes Vorzimmer eine Marterkammer; der Fürst behandelte ihn nicht höfisch-höflich, sondern kalt, welches ihm desto weher tat, da es bewies, er habe ihn geliebt – die Fürstin stolzer – bloß Matthieu, der mit Leuten am liebsten sprach, die ihn tödlich haßten, hatte ein Gesicht voll Sonnenschein. Von diesem und von seiner Schwester und einigen Ungenannten hatt' er leichtes Schlangengift der Persiflage über seinen Zweikampf einzunehmen und zu verwinden, das wohl der Magen wie anderes Schlangengift verdaut, das aber, in Wunden gesprützt, das Lebensblut auflöset. – – Gerät denn nicht sogar mein Korrespondent in Eifer und schickt mir seinen Eifer durch meinen capsariusSo hieß der römische Sklave, der den Kindern die Schulbücher nachtrug., den Spitzhund, zu und sagt: »Es bleibe doch einer einmal kalt, der warm ist, nämlich verliebt, und den noch nicht der Tod kalt gemacht, er verbleib' es, sag' ich, vor dem stechenden Lächeln einer Hof-Schwesterschaft über seine empfindsame Liebe, zumal vor solchen höhern Damen, die Gottheiten sind, auf deren cyprischem Altar allemal (wie bei den Skythen) der Fremde geopfert wird, und denen (wie die Gallier von ihren Göttern glaubten) Übeltäter, Roués, Orleans die liebsten Opfer sind! – Oder er höre sich, wenn er auch das hinnimmt, gelassen von einem Evangelisten über seine Liebe persiflieren, der darin folgende Grundsätze erfindet und einkleidet: ›La décence ajoute aux plaisirs de l'indécence: la vertu est le sel de l'amour; mais n'en prénez pas trop. – J'aime dans les femmes les accès de colère, de douleur, de joie, de peur: il y a toujours dans leur sang bouillant quelque chose qui est favorable aux hommes. – C'est là où la finesse demeure courte, qu'il faut de l'enthousiasme. – Les femmes s'étonnent rarement d'être crues faibles; c'est du contraire qu'elles s'étonnent un peu. – L'amour pardonne toujours à l'amour, rarement à la raison.‹ – Glücklich sind« (seufzet Knef) »Widersacher, die einander prügeln dürfen.«
Der Evangelist warf einen beizenden Tropfen auf Viktors Herznerven, da er, trotz seiner Wissenschaft um Flamins adelige Abstammung, ihn damit aufzog, »daß er wie ein neufranzösischer Äquilibrist der Freiheit sich mit Bürgerlichen – zwar nicht vermähle, aber doch – schieße«. Und es ging ihm durch die Seele, seinen ausgestohlnen Freund so sehr an Freunden verarmt zu sehen, daß dieser Matthieu der letzte und der Stammhalter war, der sich nicht einmal vor Viktor die Mühe gab, in den höhern Zirkeln die Rolle eines Freundes von Flamin zu nehmen und fortzuspielen. Einem guten Menschen wird das weiche Herz gleichsam in eine Quetschform eingeschraubt, wenn er vor Leuten stehen muß (wie hier Viktor vor so vielen), die ihn hassen und beleidigen – anfangs ist er heiter und kalt und freuet sich, daß er sich nichts darum schiert – aber er rüstet sich unwissend mit immer mehr Verachtung, um der Beleidigung etwas entgegenzustellen – endlich meldet sich der Anwachs der Verachtung durch das unbehagliche Gefühl der entfliehenden Liebe und des eindringenden Hasses an, und das bittere Scheidewasser ergreift und zerfrißt sein eignes Gefäß, das Herz. – Dann werden die Schmerzen so groß, daß er die alte Menschenliebe, die das warme Element seiner Seele war, wieder in Strömen in den Busen rinnen läßt. Bei Viktor kam noch etwas zur Erbitterung – seine Erweichung; man ist nie kälter als nach großer Wärme, so wie Wasser nach dem Kochen eine größere Kälte annimmt, als es vorher hatte. Liebe, Rausch und zuweilen die aus dem Anblick der Natur getrunkne Begeisterung machen uns gegen unsere Lieblinge zu gut, und gegen unsere Gegenfüßler zu hart. Als nun Viktor in dieser bittern Laune neben einem Spieltisch zusah und über die ganze Assemblee sich innerliche Vorlesungen hielt, lectures upon headsSo nannte Steevens sein satirisches Kollegienlesen über Köpfe aus Pappendeckel, dem halb London zulief. , wo er sich statt der Köpfe aus Pappendeckel bloß mit dickern behalf: so fiel durch die Erinnerung an die stille Menschenbildung, womit Klotilde sich in eben diese Menschen ihren Eltern zu Liebe bequemet hatte, der ganze Eispanzer, der sich um sein Herz wie um eine Blume gelegt hatte, zerflossen herab, und sein erwärmtes Herz sagte mit der ersten heutigen Freude: »Warum hass' ich denn diese ebenso gequälten als quälenden Gestalten so hart? Sind sie nur meinetwegen? Haben sie nicht auch ihr Ich? Müssen sie sich mit diesem mangelhaften, gepeinigten Selbst nicht durch die ganze Ewigkeit schleppen? Wird nicht jeder von irgendeiner fremden Seele noch geliebt? Warum willst denn du nur Stoff zum Abscheu an ihnen sehen und aus jeder Miene, aus jedem Laute Säure ziehen? – Nein, ich will die Menschen bloß lieben, weil sie Menschen sind.« – Jawohl! die Freundschaft kann Vorzüge begehren, aber die Menschenliebe bloß Menschengestalt. Daher haben wir eben alle eine so kalte, eine so wechselnde Menschenliebe, weil wir den Wert der Menschen mit ihrem Recht vermengen und nichts an ihnen lieben wollen als Tugenden.
Unserm Viktor wurde so leicht wie nach einem Gewitter; das Bitterste, womit uns Beleidigungen angreifen, ist, daß sie uns zu hassen nötigen. Auf der andern Seite fühlte er jetzo, wie unrein unser für Tugend ausgegebener Widerstand gegen Schlimme sei, und wie sauer es selber einer edeln Seele werde, Feinde zu bekämpfen, ohne sie anzufeinden; denn dieses ist noch schwerer, als sie zu beglücken und zu beschützen, ohne sie zu lieben.
So strichen einige Wochen unter seinen erzwungnen Landungen am feindlichen Hofe vorüber – denn die Bitte seines Vaters beherrschte sein Herz – und unter vergeblichen Hoffnungen auf Klotildens Entscheidung und unter tränendem Zurücksehnen in die innehaltenden Tage der Liebe und in die verheerten Tage der Freundschaft. Klotildens Schweigen willigte aber eben in seine Ankunft ein; doch meldete er ihr durch einen zweiten Brief noch zum Überfluß den Tag derselben. Übrigens wurde ihm – so an den Thron wie an eine Säule zum Geißeln gebunden, so aus allen Gegenständen seiner Liebe herausgeschleudert, so auf nichts geheftet als auf eine von weitem donnernde Zukunft, in der sein Emanuel nach vierzehn Tagen unter die Erde einsinkt und seine Klotilde in tausend Schmerzen – die Gegenwart schwül und eng. Um ihn ging ein unreifes Gewitter herum, und wie an den Tag- und Nachtgleichen ruhten die Wolken unbeweglich wie ein großer Nebel über ihm, und das verborgne Arbeiten im hohen Gewölke des Schicksals hatte noch nicht das Zusammenfließen in Tränen entschieden oder das Zerteilen in Blau.
Endlich ging er nach St. Lüne... Wahrlich nur wehmütig-beglückt! O! konnt' er auf den Lüner Fußsteig blicken oder auf das Pfarrhaus, das die Bühnen der begrabnen Freundschaft bedeckte, ohne das Auge überfließend abzuwenden, ohne daran zu denken, wie viel eitler das Lieben als das Leben der Menschen sei, wie das Schicksal gerade die wärmsten Herzen zur Zerstörung der besten anwende (so wie man nur Brennspiegel zum Einäschern der Edelsteine gebraucht), und wie manche stille Brust nichts ist als der gesunkne Sarg eines erblaßten geliebten Bildes? – Es ist ein namenloses Gefühl, einen Freund lieben zu wollen aus Erinnerung und ihn fliehen zu müssen aus Ehre: Viktor wünschte, er dürfte seinem betörten Liebling vergeben; aber vergeblich: das arsenikalische Wort, das mich in seinem Namen schmerzt, blieb trotz aller, aller versüßenden Säfte, mit denen ers einwickelte, doch unaufgelöset und fressend und tödlich in seiner Seele liegen. Guter Flamin! ein Fremder könnte dich lieben, ich z. B., aber dein Jugendfreund nicht mehr!
Viktor schritt zögernd vor dem Bilder- und Musiksaal seiner nachgespielten und nachgetönten Kindheit vorbei, vor dem Pfarrhaus, desgleichen vor der scheuernden Apollonia, die er gern tiefer grüßte, als sein Stand zuließ, und vor dem alten Mops, der sich in keinen Familienzwist einmengte, sondern ihn freimütig mit dem Schwanz invitierte. – Nicht sein Stolz hielt ihn ab, die (vorgeblichen) Eltern seines Widersachers zu besuchen, sondern die Ängstlichkeit tats, die ihn besorgen ließ, die guten Menschen würden sich vielleicht vor ihm im verlegenen Kampfe zwischen Höflichkeit, zwischen alter Liebe und neuem Groll abquälen. Aber er beschloß, durch einen Brief an die edelmütige Pfarrfrau seine Liebe zu befriedigen und ihre Empfindlichkeit.