Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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Eine Frau kanns von einem Mann, den sie hochachtet, gar nicht begreifen, daß er sich verliebt, wenns nicht in sie ist, und sie kanns kaum erwarten, bis sie seine Geliebte zu Gesichte bekömmt – ebenso erpicht ist sie auf dieses Mannes Manier in seiner Liebe, ob sie nämlich aus der niederländischen oder aus der französischen oder der italienischen Schule her sei. Die Kaplänin fragte ihren vertraulichen Gast auch darüber. »Mein Harem«, fing er an, »langt von dieser Warte bis zum Kap und um die ganze Erdkugel herum – Salomo ist nur ein gelber Strohwitwer gegen mich – ich habe sogar seine Weiber darin, und von der Eva an mit ihrem Sodoms-Borsdorfer-Apfel bis zur neuesten Eva mit einem Reichsapfel und bis zur Marquise mit einem bloßen Fruchtstück sind sie alle in meiner Haft und Brust.« Eine Frau entschuldigt die Achtung für ihr Geschlecht damit, daß sie mit darin ist; die Weiber selber haben nicht einmal einen Begriff von den Eigenheiten ihres Geschlechts. »Was sagt aber die Favoritsultanin dazu?« fragte die Großinquisitorin.

»Die?« – stockt' er, weniger verlegen als in die Fülle aufblühender Träume versunken. »Freilich die« – (fuhr er fort:) »ich setze inzwischen meinen Kopf zum Pfande, jeder Jüngling hat zwei Perioden oder doch Minuten. In der ersten setzt er selber seinen Kopf zum Pfande, er wolle lieber sein Herz in seinem Thorax oder Oberleib verschimmeln lassen und seinen poples oder die Kniekehle erlahmen, als daß er beide für eine andre Frau bewegte als für die allerbeste, für einen wahren Engel, für eine ausgemachte Quinterne – er dringt durchaus auf den höchsten Gewinst aus dem Ehelotto, in der ersten Periode nämlich – denn die zweite kömmt auch und hinterbringt ihm nur so viel, die weibliche Quinterne würde natürlich eine männliche fodern, und falls er die wäre...

Ein dummer Auszug, ein Ambe bin ich, sag' ich und lasse die Periode gar nicht ausreden; aber ich werde doch fortpassen auf die Quinterne.. Was käme dabei heraus, daß man ein Mensch wäre, wenn man kein Narr wäre? – Zög' ich nun die gedachte Quinterne, welches ich nun wohl ohne übermäßige Hoffnung voraussetzen darf, so würd' ich nicht gleichgültig dabei sein, sondern selig – O du lieber Himmel! stehendes Fußes müßt' ich frisiert und silhouettiert werden – ich machte Verse und Pas, und beide mit ihren herkömmlichen pedibus (Füßen) – ich bückte mich öfter als ein andächtiger Mönch, um Verbeugungen und (wo abzugrasen wäre) um Sträußer zu machen – Leib, Seele und Geist setzte ich an mir aus so vielen Fingerspitzen und Fühlfäden zusammen, daß ich es schon spürte (die Quinterne spürte es gar noch eher), wenn unsre zwei Schatten zusammenstießen – ein schmales betastetes Endchen Band wäre eine gute Ableitkette des elektrischen Äthers, der in Blitzen aus mir schösse, da sie negativ geladen wäre und ich positiv – vollends gar ihr Haar berühren, das könnte keine geringere Entzündung geben, als wenn eine Welt in das aufgebundne eines Bartkometen geriete....

Und doch, was ist denn das alles, wenn ich Verstand habe und bedenke, was sie verdient, diese Gute, diese Treue, diese Unverdiente – Was wären nicht vollends dumme Verse, Seufzer, Schuhe (die Stiefel tät' ich weg), ein oder ein Paar drückende Hände, ein aufopferndes Herz für ein kleines Gratial und don gratuit, wenn damit ein Geschöpf abgefunden werden sollte, das, wie ich immer mehr sehe, vom schönsten Engel, der den Menschen durch das Leben führt, alles besitzt, etwa die Unsichtbarkeit ausgenommen – das alle Tugenden hat und alle in Schönheiten verkleidet – das schimmert und erquickt wie dieser Frühlingabend, und doch wie er seine Blumen und Sterne verbirgt, ausgenommen den der Liebe – dessen allmächtige und doch leise Harmonika des Herzens ich so gern hören, in dessen Augen ich so außerordentlich gern die Tropfen der weichern Seele und den Blick der höhern sehen möchte, neben dem ich so gern stehen bleiben möchte unter der ganzen fliehenden opera buffa und seria des Lebens, so gern, sag' ich, damit der arme Sebastian doch, wenn am heiligen Abend des Lebens sein Schatten immer länger würde, und die Gegend um ihn selber zu einem weiten Schatten zerflösse und er selber, damit ich doch beide Schattenhände« – (die eine hielt gerade Flamin) – »beschauen und ausrufen könnte:« – – (stockend)

»der alte Balgtreter kommt auch mit was in einer!«

Da er weder seine Rührung mehr hinter Scherz, noch die Merkmale derselben in seinen Augen hinter einige tief hängende Lindenblätter verdecken konnte: so wars in der Sekunde, wo seine Stimme unter ihr erliegen wollte, ein rechtes Glück, daß er über die Warte hinausschauete und den Kutscher wieder heranschreiten sah. Dieser rief unten: »von Seebaßen hätt' ers gekriegt, aber den Augenblick erst.« Agathe lief leidenschaftlich hinab und unten, nach Lesung eines Blättchens, über die – Wiesen hinüber. Der Balgtreter stieg, gleich einem Barometer vor dauerhaftem Wetter, langsam hinauf und brachte sich und den zurückgelangten Zettel, trotz alles obern Winkens, mit seinen Hebelarmen keine Minute früher auf den Turm. Im Zettel stand mit Klotildens Hand: »Komm in deine Laube, Geliebte!«

Alle Augen liefen jetzt der Läuferin nach und flatterten mit ihr durch das Helldunkel des Abends in den Pfarrgarten, um dessen Laube man doch niemand sah. Kaum hatte Agathe die Öffnung der letzten ins Auge bekommen, als ihr Eilen Fliegen wurde – und als sie beinahe an ihr war, flog eine weiße Gestalt mit ausgebreiteten Armen heraus und in ihre hinein, aber die Laube verhüllte das Ende der Umarmung, und lange standen alle wartende Augen vergeblich auf der Klause der Liebe.

Die Kaplänin, die sonst allen Mädchen nur Standeserniedrigungen, nicht Standeserhöhungen gewährte, erteilte jetzo Klotilden alle sieben Weihen und lobte sie so sehr – vielleicht auch da sie ihre Landsmännin von mütterlicher Seite war –, daß Viktor die Lobrednerin und die Gelobte hätte zugleich umarmen mögen. – Der Kaplan setzte zu ihrem Lobe noch dazu, er habe ihr Namens-Initial-K mit Tulpen gleichsam wie einen Titel rot gedruckt, und der Buchstabe auf dem Beete glänze, wenn er blühe, weit und breit.

Der Ehe- und Säemann fiel jetzt immer mehr in den Sphärengesang der Nacht mit dem Schnarrwerk seines Hustens ein; endlich machte er sich mit der enthusiastischen Freundin Viktors fort und ließ die beiden Freunde allein in der schönen Nacht mit den zwei vollen Herzen zurück, die ineinander sich zu ergießen lechzten.

Flamin hatte diesen ganzen Tag eine schweigende rührende Sanftmut gezeigt, die selten in sein Inneres kam, und die zu sagen schien: ich habe etwas auf dem Herzen. Als die Warte öder war, so verheimlichte Viktor, der von liebenden Träumen voll und weich geworden, seine in Tränen stehenden Augen nicht mehr, er schlug sie frei auf vor dem ältesten Liebling seiner Tage und zeigte ihm jenes offne Auge, welches sagt: blicke immer durch bis zum Herzen hinunter, es ist nichts darin als lauter Liebe... Stumm gingen die Wirbel der Liebe um beide und zogen sie näher – sie öffneten die Arme für einander und sanken ohne Laut zusammen, und zwischen den verbrüderten Seelen lagen bloß zwei sterbende Körper – hoch vom Strome der Liebe und Wonne überdeckt, drückten sich auf eine Minute die trunknen Augen zu; und als sie wieder aufgingen, stand die Nacht erhaben mit ihren in ewige Tiefen versunknen Sonnen vor ihnen, die Milchstraße ging als der Ring der Ewigkeit um die Unermeßlichkeit, die scharfe Sichel des Erdenmonds rückte schneidend in die kurzen Tage und Freuden der Menschen. –

Aber in dem, was unter den Sonnen stand, was der Ring umzog, was die Sichel angriff, war etwas höher, fester und heller als diese – es war die unvergängliche Freundschaft in den vergänglichen Hüllen.

Flamin, anstatt durch diesen erschöpfenden Ausdruck unsrer sprachlosen Liebe befriedigt zu sein, wurde jetzt ein lebendes fliegendes Feuer. »Viktor! in dieser Nacht gib mir deine Freundschaft auf ewig und schwöre mir, daß du mich nie in meiner Liebe zu dir stören willst!« – »O du Guter! ich hab' dir ja längst mein Herz gegeben, aber ich will gern heute wieder schwören.« – »Und schwöre mir, daß du mich niemals in Unglück und Verzweiflung stürzen willst.« – »Flamin! das tut mir zu weh.« – »O ich fleh' dich an, schwöre es und hebe deine Hand auf und versprich mir, wenn du mich auch hast unglücklich gemacht, daß du mich doch nicht verlässest und nicht hassest«.... (Viktor preßte ihn an sich) »Sondern wir gehen hieher, wenn wir uns nicht mehr aussöhnen können – o es tut mir auch wehe, Viktor! – hieher und umfassen uns und stürzen uns hinab und sterben« – »Ja!« (sagte Viktor erschöpft leise) »o Gott! ist denn etwas vorgegangen?« – »Ich will dir alles sagen: nun leben und sterben wir miteinander« – »O Flamin! wie lieb' ich dich heute unaussprechlich!« – »Nun lass' ich dich mein ganzes Herz sehen, Viktor, und offenbare dir alles.« – –

Aber eh' ers konnte, mußt' er vorher sich durch Verstummen ermannen, und sie schwiegen lange, in den innern und den äußern Himmel vertieft.

Endlich konnt' er anfangen und ihm erzählen, daß jene Klotilde, über die er heute gescherzt, sich mit unauslöschlicher Schrift in sein Inneres geschrieben – daß er sie weder vergessen noch bekommen könne – daß das schleichende Fieber einer furchtsamen wahnsinnigen Eifersucht aufreibend in ihm brenne – daß er mit ihr zwar kein Wort über seine Liebe nach ihrem eignen Verbote sprechen dürfe, als bis ihr Bruder (der Infant) wieder da und dabei sei – daß sie aber, nach ihrem Betragen und nach Matthieus Versicherungen, vielleicht einige für ihn habe – daß ihr Stand die ewige Scheidemauer zwischen beiden bleibe, solang' er den juristischen Weg anstatt des militärischen zu seinem Steigen einschlage – und daß er auf dem letzten, wenn der Lord ihm seine Hand dazu biete, schneller zu Klotilden auf ähnliche Stufen kommen würde – und daß die Bitte, von der er in seinen Briefen an Viktor gesprochen, eben die sei, alles dem Lord wieder zu erzählen und seinen Beistand zu begehren. – Im Grunde konnte nur sein wilder Arm den Degen besser als die Gerechtigkeitwaage halten. Eine fürchterliche Anlage zur Eifersucht, die schon von künftigen Möglichkeiten Zuckungen bekömmt, war die Hauptursache. Viktor freuete sich, daß er seinen Gefühlen die beste Sprache geben konnte, nämlich Handlung, und sagte ihm alles mit Entzücken über sein Zutrauen und über das Außenbleiben befürchteter Neuigkeiten zu. – So gingen sie, von neuem aneinander befestigt, zur Ruhe, und das Zwillinggestirn – dieser fortbrennende verschlungne Name der Freundschaft – schimmerte in Westen zuwinkend aus der irdischen Ewigkeit herüber, und das Herz des Löwen war zu seiner Rechten angezündet....

Auf diese Erde sind Menschen gelegt und an den Fußboden befestigt, die sich nie aufrichten zum Anblick einer Freundschaft, welche um zwei Seelen nicht erdige, metallene und schmutzige Bande legt, sondern die geistigen, die selber diese Welt mit einer andern und den Menschen mit Gott verweben. Solche zum Schmutz Erniedrigte sind es, die, gleich den Reisenden, den Tempel, der um die Alpenspitze hängt, von unten für bodenlos und schwebend ansehen, weil sie nicht in der Höhe auf dem großen Raume des Tempels selber stehen, weil sie nicht wissen, daß wir in der Freundschaft etwas Höheres als unser Ich, das nicht die Quelle und der Gegenstand der Liebe zugleich sein kann, achten und lieben, etwas Höheres, nämlich die Verkörperung und den Widerschein der Tugend, die wir an uns nur billigen, aber an andern erst lieben.

Ach können denn höhere Wesen die Schwächen von Schatten-Gruppen strenge berechnen, die einander festzuhalten suchen, von Nordwinden auseinander gedrängt – die voneinander die edle unsichtbare Gestalt an sich drücken wollen, worüber dick und plump die Erdenlarve hängt – und die einander in Gräber nachfallen, worein die Beweinten ihre Weinenden ziehen?


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