Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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Da der Apotheker das Souper zerlegte – Matz hatt' ihn ersucht, le grand escuyer tranchant zu sein –, so paßte sein Freund es ab, bis er einen großen Truthahn an der Gabel hatte, um ihn in der Luft, wie Reiher die Fische, und noch dazu italienisch zu zerfällen; dann nahm der Edle seinen Weg über den Partage-Truthahn und über Polen durch die Wahlreiche, bis er in den Erbreichen anlangte, wo er stille lag, um da die Bemerkung zu machen, daß ganz natürlicherweise der erste große Diktator seinen eignen Sohn auf seinen Thron nach sich werde hinaufgezogen haben: »so hab' er sich oft beim flachsenfingischen Vogelschießen an den Kindern ergötzt, die mit den Kronen und Zeptern, welche die Väter herabgeschossen, herumsprangen und damit warfen und spielten.« – Der Taube unterhielt durch seinen Visierstab und seine Zündrute, die er an den Tisch stemmte, die freieste Verbindung mit dem ganzen Klub und sah seinem arbeitenden Bruder zu, wie er sägte und hielt. Matthieu, der den Vorschneider liebte, aber die Wahrheit noch mehr, konnte seinetwegen nicht die Reflexionen über die gekrönten Erstgeburten unterschlagen, sondern er merkte frei an, man sollte wenigstens unter der regierenden Familie, wenn auch nicht unter dem Volke, die Wahl frei haben. »Jetzt denken wir nicht einmal wie die Juden, bei denen zwar eine halbtierische Mißgeburt noch die Rechte eines Erstgebornen hat, aber doch keine ganze tierischeSiehe die Wochenschrift »Der Jude«, S. 380; z. B. nach dem Buch Lebusch Atteret Sahaph ist ein Mensch mit einem Tierkopf eine menschliche Erstgeburt, aber ein Insekt, ein ganzes Tier ist es nicht..«- Der Balgtreter wurde durch die fallopische Muttertrompete des Stabs mit neuen Ideen des Erstgebornen geschwängert – sein Bruder wurde von der Angst mehr zerlegt als der indische Hahn in der Luft. – Der Evangelist fuhr fort: »Auch bei den Juden hat bloß die tierische Erstgeburt, weil sie nicht mehr opfern dürfen, das beste Futter und ist heilig und unverletzlich – das übrige Vieh gehört unter die jüngern Söhne.«...

– Darauf sagte er plötzlich und lächelnd das Kompliment: »Bloß mein Freund hier mit dem Truthahn macht die glücklichste Ausnahme von meiner Behauptung und sein Herr Bruder mit dem Stabe da die betrübteste; es sind aber Zwillinge, und er ist nur eine Viertelstunde älter als der Taube.« Er wandte sich unbefangen an den Gestabten, der sein Gesicht schon zum Krieg mobil gemacht hatte: »Nicht wahr, eine Viertelstunde älter?« – »Ja, straf' mich Gott,« (sagt' er) »das bin ich: was sagt mein Bruder?« – Der Apotheker mußte matt den Dividendus an der Gabel senken, ob er gleich durch die herabgeschnittenen Quotienten schon leichter war. Der Balgtreter überschauete flüchtig alle Gesichter und entdeckte überall darauf einen schweigenden Unglauben, den der Junker durch seine kalten Versicherungen noch lesbarer machte. »Der ganze Scherz« – sagte Zeusel leise – »ist wohl für niemand interessant.« Da der Balgtreter die leise Exzeptionhandlung nicht durch seinen langen Gehörknochen habhaft werden konnte – er sah aber dann nicht ab, wie er seinen Prozeß und sein Erstgeburtrecht behaupten wollte –, so trat er seinen Beweis an und zog vier lange Flüche als ebensoviel syllogistische Figuren heraus und bückte den Kopf unter seinen Bruder, damit der über demselben seine Salvationschrift einreichte. Der Apotheker, der nicht die Erstgeburt, sondern nur das wankend machen wollte, daß er sein Bruder sei, und der ihn wegen Zweifel über dessen Titulaturen nicht gern anreden wollte, sagte bittend zu Matthieu: »Geben Sie ihm recht, denn er weiß gar nicht, wovon wir bisher gesprochen haben.« – Schnell und abgerissen, aber mit einer ungläubigen Miene sagte daher der Junker zu ihm: »Er soll recht haben, mein Freund«, und setzte unter dem Schein, ihn ablenken zu wollen, dazu: »recht frisch und jung sieht er aus.« – »Bei Gott!« (versetzte er aufbrennend) » der da ist jünger; aber er kam hinter mir schon zusammengefahren auf die Welt in der Gestalt eines Tabakbeutels – er ist aus den BettelmännernDie Spinner nennen das Abfällige der Baumwolle so. , die von mir abfielen, zusammengedreht und gezwirnt.« Der Balgtreter brannte nun alle Kanonen auf dem Wall seines Kopfes ab, erbittert durch die Essigmienen und Giftblicke und die Unhörbarkeit seines Blutfreundes: er spannte daher den Daumen und den Ohrfinger aus und setzte sie wie Zirkelfüße an sein eignes Gesicht, um es auszumessen; dann wollt' er beide als ein Längenmaß über das Gesicht seines Blutfreundes legen – er würde dann, da der Mensch zehn Gesichtlängen hat, das fremde und sein eignes Gesicht gegeneinander gehalten und dann aus ihrem verschiedenen Maße leicht auf ihre Statur geschlossen haben –; aber der Apotheker wackelte, und der Balgtreter setzte den Daumen ganz falsch über dem Kinnbacken ein. Hier hob den Daumen, der sich in den weichen Backen eintunken wollte, etwas Hartes und Rundes auf, und der Balgdiener trieb durch das Heruntergleiten an dem Kinnbacken eine Wachskugel zum Maule heraus, womit der Apotheker seine eingekrempten Wangen ausgefüttert hatte wie mit einem Polster, um das eingelegte Bildwerk des Gesichts zum erhobenen aufzustülpen. Die herausgleitende Kugel warf wie eine Boselkugel den Apotheker um, d. h. seine Gelassenheit, und er sagte zum Tauben, der jetzo gar zu einer Historie von seinem Kahlkopfe überschreiten wollte, mit blitzenden Augen nur so viel: »Ihr Mensch habt keine Lebensart, und Euer älterer Bruder muß Euch erst abhobeln.« Da aber der Kalkant schon in der Naturgeschichte des Kahlkopfes fortschritt: so eilte Zeusel davon mit der Entschuldigung, der Herr Hofmedikus Horion warte heut' abends auf ihn. Der ernsthafteste unter den Engländern trat ganz nahe an ihn und sagte: »Empfehlen Sie mich dem Doktor, und da er so gute Kuren macht, so sagen Sie ihm in meinem Namen, Sie wären ein großer – Narr.«

Kaum war er zum Dorfe hinaus: so dauerte den Kalkanten der Emigrant, und er wollte in der Historie des Kahlkopfes aufhören. Der Evangelist schickte ihn daher dem erbosten Zwilling nach, um ihn jetzt in der Nacht einzufangen; und nahm dafür selber den historischen Faden auf. Nämlich an einem Abend, wo der Hof nicht im Schauspiel war, hielt der Hofapotheker (der Himmel weiß wie) sein Nußknackergesicht aus einer der ersten Logen heraus. Matthieu, damals noch Page, postierte den Balgtreter im Scheitelpunkte seiner Perücke, nämlich in der Galerie gerade über ihm. Der Kalkant ließ oben an einem unsichtbaren Roßhaar einen kleinen Haken niedersteigen, der wie ein Raubvogel über der herausschauenden Perücke hing, die ich für ein Ideal von Haaren halte. Denn sie schien aus dem Kopfe, dem die Locken und die Vergette längst ausgefallen waren, als Eingeborner und Fechser herausgewachsen zu sein, und niemand nahm sie für adoptiertes Pelzwerk. Der Balgtreter ließ den Haken so lange über der Perücke wie einen Perpendikel schwanken, bis Gewißheit da war, daß er in die Vergette eingegriffen. Sofort bedient' er sich seiner Hände als Fuhrmannwinden und hob (wie der Frost andre Gewächse) die ganze Frisur aus den Wurzeln und zog langsam die Zopfperücke wie eine steigende Haar-Montgolfiere in die Höhe. Das Parterre und der erste Liebhaber und der Lichtputzer wurden vor Erstaunen zu Eisschollen, da sie den Schwanzkometen in gerader Aufsteigung zur Galerie aufgehen sahen. Auf dem Apotheker, der seinen Kopf abgedeckt und kalt angeweht fühlte, richteten sich die wenigen natürlichen Haare auch empor vor Schrecken, wie die künstlichen; und als er sich mit dem kahlen Scheitel umdrehte, um der Kreuzerhöhung seines Haarwuchses nachzusehen, ließ sein Zwillingbruder (um nicht entdeckt zu werden) das ganze härene Meteor, das dem Haar der Berenice im Himmel nachwollte, gar unter die Leute herunterfallen vor seinem Gesichte vorbei und sah gelassen herab auf die Kulmination im Nadir, wie die ganze Galerie. – –

Während unserer Erzählung haben die Zwillinge einander geprügelt. Der Erstgeburt-Akzessist rief draußen auf dem mit Nacht überdeckten Flachsenfinger Weg in einem fort: »Herr Hofapotheker!« Und da er keine Antwort vernehmen konnte, mußt' er mit dem Hörrohr an jedes Ding, ob es etwan rede, stochern. Endlich stieß sein Visitiereisen an die Erstgeburt, und er ging hin, um sie um Vergebung und Retour zu ersuchen. Aber der Apotheker war dermaßen im Kochen und Sprudeln, daß er, als der Balgtreter seinen Kopf unterhielt, um dessen Antwort einzuholen, seine Hand in eine Kugel anschießen und sie wie einen Glockenhammer auf die Pfeilnaht des untergehaltenen Hauptes fallen ließ, worauf die Täucherglocke einen ordentlichen Ton angab. Der Apotheker würde, wenn man ihn recht verstanden und ihm Zeit gelassen hätte, durch diesen Zainhammer die Suturen auf dem tauben Haupte um vieles vorgehoben haben; aber so störte ihn sein eigner Bruder, der ihn am Kopfe – denn der Balgtreter würde seine Finger als Schmucknadeln in die künstlichen Haare gelegt und ihn daran gelenkt haben, wäre die Perücke am Kopfe festgemacht gewesen – wie ein Gesträuch niederbog, um sein Hörrohr als ein zweites Rückgrat so stark und doch so behutsam über des Zwillings erstes zu legen, daß niemand komplizierte Frakturen davontrug als der Hörstab. – Darauf sagte er gute Nacht und empfahl ihm, sich links zu halten, um nicht irrezugehen....

– Hätte ich gewußt, daß diese Geschichte so viele Blätter überschatten würde, ich hätte sie lieber weggeworfen. Am andern Morgen stattete der unverschämte Matthieu einen Besuch beim Kreuzträger ab, an dessen Händen jetzt das vom Zorn reifgewärmte Chiragra glühte; er wollte – weil er jeden Tadel seiner Unverschämtheit mit einer größern beantwortete – die gichtbrüchigen Hände zu neuen Katzenpfoten machen, um frische Spaß-Kastanien aus dem Feuer zu nehmen. Aber der Apotheker, dessen Herz nur klein, aber doch nicht schwarz war, fühlte sich zu sehr gekränkt, und als Matthieu, über seine Klagen lachend und schweigend, von ihm ging, ohne sich nur die Mühe einer Entschuldigung zu geben: so schwur der Chiragrist, ihn – da haben wir wieder den Narren – zu stürzen.

Tritt wieder auf, mein Viktor, ich sehne mich nach schönern Seelen, als dieses Gebrüder Narren da hat! – Niemand von uns lebt und lieset so in den Tag hinein, daß er nicht wüßte, in welcher biographischen Zeitperiode wir leben: es ist nämlich acht Tage vor Ostern, wo Zeusel auf dem Krankenbette und Klotilde auf dem Wege nach St. Lüne ist. – Flamin hinterbrachte unserm Viktor den Spaß mit dem kranken Zeusel. Er mißfiel ihm gänzlich, so wie ihn Schriften wie der Antihypochondriakus, das Vademekum oder die mündlichen Erzähler gedruckter Späße – die fadesten aller Gesellschafter – ekelten. Er konnte nie eine Tierhatze zwischen zwei Narren anlegen: nur der Entwurf eines solchen Schlachtstücks kitzelte seine Laune, aber nicht die Ausführung, so wie er Prügelszenen gern in Smollet (dem Meister darin) las und dachte, aber niemals sehen mochte. Sogar von den Körper-Bonmots und Hand-Pointen am fremden Leibe dacht' er zu geringschätzig, die ich doch den stummen Witz (wie stumme Sünden) nennen möchte, und die das wahre attische Salz kleiner Städte sind; denn wahrer Witz, dünkt mich, muß sich wie das Christentum nicht in Worten, sondern in Werken offenbaren. Er sah unsere Torheiten mit einem vergebenden Auge, mit humoristischen Phantasien und mit dem ewigen Gedanken an die allgemeine Menschennarrheit und mit schwermütigen Schlüssen an. Sobald er den bösen Punkt ausnahm, daß Zeusel sich jedem Edelmann zum Miettier so lange, bis ihn dieser zurückprügelte, vorstreckte, wie man in Paris Schoßhunde zum Spazierengehen mieten kann: so hatt' er gegen dessen Eitelkeit, da sie zumal in andern Fällen gutmütig, freigebig und oft sogar witzig war, wenig einzuwenden. Niemand ertrug Eitelkeit und Stolz liebreicher als er: »Was hat denn der Mensch davon,« sagt' er viel zu lebhaft, »wenn er kein Narr ist, oder wo soll er denn aufhören, demütig zu sein? Entweder zu gut oder gar nichts müssen wir von uns denken.«


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