Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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Walle trunken um mich, beseelter Goldstaub, mit deinen dünnen Flügeln, ich zerdrücke dein kurzes Blumenleben nicht – schwelle herauf, taumelnder Zephyr, und spüle mich in deine Blütenkelche hinab – o du unermeßlicher Strahlenguß, falle aus der Sonne über die enge Erde und führ' auf deinen Glanzfluten das schwere Herz vor den höchsten Thron, damit das ewige unendliche Herz die kleinen, an Asche grenzenden nehme und heile und wärme!

Ist denn ein armer Sohn dieser Erde so unglücklich, daß er verzagen kann mitten im Glanze des Morgens, so nahe an Gott auf den heißen Stufen seines Throns?

Fliehe mich nicht, mein Teurer, weil mich immer ein Schatten umzingelt, der sich täglich verdunkelt, bis er endlich als eine kleine Nacht mich einbauet. Ich sehe den Himmel und dich durch den Schatten; in der Mitternacht lächle ich, und im Nachtwind geht mein Atem voll und warm. Denn, o Mensch, meine Seele hat sich aufgerichtet gegen die Sterne: der Mensch ist ein Engbrüstiger, der erstickt, wenn er liegt und seinen Busen nicht aufhebt. – Aber darfst du die Erde, diesen Vorhimmel, verachten, den der Ewige gewürdigt, unter dem lichten Heer seiner Welten mitzugehen? Das Große, das Göttliche, das du in deiner Seele hast und in der fremden liebst, such auf keinem Sonnenkrater, auf keinem Planetenboden – die ganze zweite Welt, das ganze Elysium, Gott selbst erscheinen dir an keinem andern Ort als mitten in dir. Sei so groß, die Erde zu verschmähen, werde größer, um sie zu achten. Dem Mund, der an sie gebückt ist, scheint sie eine fette Blumen-Ebene – dem Menschen in der Erdnähe ein dunkler Weltkörper – dem Menschen in der Erdferne ein schimmernder Mond. Dann erst fließet das Heilige, das von unbekannten Höhen in den Menschen gesenkt ist, aus deiner Seele, vermischt sich mit dem irdischen Leben und erquickt alles, was dich umgibt: so muß das Wasser aus dem Himmel und seinem Gewölk erst unter die Erde rinnen und aus ihr wieder aufquellen, eh' es zum frischen hellen Trunk geläutert ist. – Die ganze Erde bebt jetzo vor Wonne, daß alles ertönt und singt und ruft, wie Glocken unter dem Erdbeben von selber erklingen. – Und die Seele des Menschen wird immer größer gemacht vom nahen Unsichtbaren – –

Ich liebe dich sehr! –

Emanuel.«

Horion las durch schwimmende Augen: »Ach,« wünscht' er, »wär' ich schon heute mit meinem unordentlichen Herzen bei dir, du Verklärter!« und jetzt fiel ihm erst die Nähe des Johannistages ein, und er nahm sich vor, ihn da zu sehen. Die Sonne war schon verschwunden, die Abendröte sank wie eine reife Äpfelblüte hinab, er fühlte nicht die heißen Tropfen auf seinem Angesicht und den Eistau der Dämmerung an seinen Händen und irrte mit einer von Träumen erleuchteten Brust, mit einem beruhigten, mit der Erde ausgesöhnten Herzen zurück. – –

– Beiläufig! ists denn nötig, daß ich eine Schutzschrift ausarbeite für Emanuel als Stilisten und als Styliten (im höhern Sinne)? Und wenn sie nötig ist, brauch' ich darin etwas anders beizubringen als dieses – daß seine Seele noch das Echo seiner indischen Palmen und des Gangesstromes ist – daß der Gang der bessern entfesselten Menschen, so wie im Traume, immer ein Flug ist – daß er sein Leben nicht wie Europäer mit fremdem Tierblut düngt oder in gestorbnem Fleisch auswärmt, und daß dieses Fasten im Essen (ganz anders als das Überladen im Trinken) die Flügel der Phantasie leichter und breiter macht – daß wenige Ideen in ihm, da er ihnen allen geistigen Nahrungsaft einseitig zuleitet (welches nicht nur Wahnsinnige, sondern auch außerordentliche Menschen von ordentlichen abtrennt), ein unverhältnismäßiges Gewicht bekommen müssen, weil die Früchte eines Baums desto dicker und süßer werden, wenn man die andern abgebrochen – und dergleichen mehr? – Denn, aufrichtig zu sprechen, die Leser, die eine Schutzschrift begehren, bedürfen selber eine, und Emanuel ist etwas Besseres wert als einer – peinlichen Defension –

Jetzo sprang dem Helden der Trost wie eine Quelle auf, daß er am Donnerstag seine Seelenwanderung durch die Natur, seine Reise, anhebe: »Beim Henker!« sagt' er aufhüpfend, »was hat ein Christ da nötig, daß er Notmünzen schlägt und Trauermäntel umtut, wenn er am Donnerstage nach Kussewitz zur Übergabe der italienischen Prinzessin reisen kann – und am Sonnabend nach der Insel der Vereinigung und noch am nämlichen Tage, welches ein Tag vor Johannis ist, nach Maienthal zu seinem Teuern, zu seinem Engel?« –

O Himmel, ich wollt', er und ich wären schon über die Reise her – wahrhaftig sie kann, wenn mich nicht alle Hoffnungen belügen, vielleicht ganz erträglich werden! –

– Unter der Wochenbetstunde des Mittwochs rollten zwei Wägen vor; aus dem vollen traten der Lord und der Fürst, aus dem leeren nichts. Die alte Appel hatte sich prächtig angekleidet und in die Speisekammer eingesperrt. Der Kaplan war glücklicher, er dozierte im Tempel. Man macht selten ein gescheites Gesicht, wenn man vorgestellt wird – oder ein dummes, wenn man vorstellt. Der Lord führte dem Fürsten seinen Sohn als ein Unterpfand seiner künftigen Treue in die Hände und ans Herz, aber mit einer Würde, die ebensoviel Ehrfurcht erwarb, als sie erwies. Mein guter Held betrug sich wie ein – Narr; er hatte weit mehr Witz, als unsre Achtung gegen Höhere oder die ihrige gegen uns verstattet; ein Talent, das außer dem Hof-Lehndienste sich äußert, kann als Hochverrat betrachtet werden.

Sein Witz war bloß eine versteckte Verlegenheit, worin ihn zwei Gesichter und eine dritte Ursache setzten. Erstlich das fürstliche...

– Wenn sich die Lesewelt beschwert, daß so allmählich, wie sie sehe, ein neuer Name und Akteur nach dem andern in diesen Venusstern hereinschleiche und ihn so voll mache, bis aus dem historischen Bildersaal ein ordentlicher Vokabelsaal werde, in welchem sie mit einem Adreßkalender in der Hand herumwandeln müsse: so hat sie wahrhaftig nur zu sehr recht, und ich habe mich selber schon am meisten darüber beschwert; denn mir bleibt am Ende doch die größte Last auf dem Halse, weil jeder neue Tropf ein neues herausgezogenes Orgelregister ist, das ich mit spielen muß und das mir das Niederdrücken der Tasten sauerer macht; aber der Korrespondent schickt mir im Kürbis, ohne anzufragen, alle diese Einquartierung zu, und der Schnakenmacher schreibt gar, ich sollt' es nur der Welt sagen, es komme noch mehr Volk. –

Das fürstliche Gesicht setzte den Helden in Verlegenheit, nicht weil es imponierte, sondern weil es dieses bleiben ließ. Es war ein Wochentags- und Kurrentgesicht, das auf Münzen, aber nicht auf Preismedaillen gehörte – mit Arabesken-Zügen, die weder Gutes noch Böses bedeuten – von wenigem Hof-Mattgold überflogen – eingeölet mit einem sanften Öl, das die stärksten Wellen erdrücken konnte – eine Art süßer Wein, mehr den Weibern als Männern trinkbar. Von den feinsten Wendungen, die Viktor zu erwidern gesonnen war, stand nichts zu hören und zu sehen; aber von passenden leichten desto mehr. Viktor wurde durch den Kampf und Wechsel zwischen Höflichkeit und Wahrheit verlegen. Die geselligen Verlegenheiten entstehen nicht aus der Ungewißheit und Unwegsamkeit des Steigs, sondern auf den Kreuzwegen der Wahl und zwischen den zwei Heubündeln des scholastischen Esels. Viktor, dessen Höflichkeit immer aus Menschenliebe entsprang, mußte die heutige aus Eigennutz entspringen lassen; aber dieses wollt' ihm eben nicht ein. Außer dem Vater-Gesicht, vor dem schon bei den meisten Kindern das ganze Räderwerk eines freien Betragens knarrt und stockt, macht' ihn drittens das verlegen und witzig, daß er etwas haben wollte. Ich kanns einem jeden – einen Hofmann ausgenommen, dessen Leben wie das eines Christen ein beständiges Gebet um etwas ist – ansehen, wenn er zur Tür hereinkommt, ob er als Almosensammler und Werkheiliger oder als bloßer Freudenklubist einspricht.

Noch ehe die Leute aus der Kirche gingen, fassete Viktor schon herzliche Liebe zum Fürsten – die Ursache war, er wollt' ihn lieben, und stände der Teufel selber da. Er sagte oft: gebt mir zwei Tage oder eine Nacht, so will ich mich verlieben, in wen ihr vorschlagt. Er fand mit Vergnügen auf Jenners Gesicht keinen Sekunden-, keinen Monatzeiger der Schäferstunden, mit denen ein guter Cäsar sonst gern die langweiligen Ehejahre wie mit Flitterwochen zu durchschießen sucht: sondern in seinem Gesichte war nichts als Enthaltsamkeit aufgeschlagen, und Viktor pflichtete lieber dem Gesichte als dem Rufe bei. Er schießet fehl; denn auf das männliche Gesicht – ob es gleich, wie gewisse Gemälde aus Schreib-Lettern, ebenso aus lauter Buchstaben der Physiognomik gemacht ist – hat doch die Natur die Lesemütter und Malzeichen der Wollust sehr klein geschrieben, auf das weibliche aber größer; welches ein wahres Glück für das erste und stärkere und – unkeuschere Geschlecht ist. Überhaupt ist Ehebrechen für Jenner-Fürsten nichts als eine gelindere Art von Regieren und Kriegen. Und doch stellen rechtschaffene Regenten die Weiber, sobald sie solche erobert haben, stets dem vorigen Eheherrn mit Vergnügen wieder zu. Es ist aber dies dieselbe Größe, womit die Römer den größten Königen ihre Reiche wegnahmen, um sie nachher damit wieder zu beschenken.

Da Fürsten nicht wie die Juristen böse Christen, sondern lieber keine sind: so nahm Jenner unsern Viktor durch verschiedene Funken von Religion und durch einigen Haß gegen die gallischen Enzyklopädisten ein; wiewohl er einsah, daß für einen Fürsten die Religion zwar ihr Gutes, aber auch ihr Schlimmes habe, da nur ein gekrönter Atheist, aber kein Theist das unschätzbare privilegium de non appellando besitzt, das darin besteht, daß die beschwerte Partei nicht (per saltus oder durch einen salto mortale) an die höchste Instanz außerhalb der Erde appellieren darf.

Das Gespräch war gleichgültig und leer wie jedes in solchen Lagen. Überhaupt verdienen die Menschen für ihre Gespräche stumm zu sein; ihre Gedanken sind allezeit besser als ihre Gespräche, und es ist schade, daß man an gute Köpfe keinen Barometrographen oder kein Setzklavier anbringen kann, das außen alles nachschreibt, was innen gedacht wird. Ich wollte wetten, jeder große Kopf geht mit einer ganzen Bibliothek ungedruckter Gedanken in die Erde, und bloß einige wenige Bücherbretter voll gedruckter lässet er in die Welt auslaufen.

Viktor stellte an den Fürsten die gewöhnlichen medizinischen Fragstücke, nicht bloß als Leibarzt, sondern auch als Mensch, um ihn zu lieben. Obgleich Leute aus der großen und größten Welt, wie der Unter-Mensch, der Urangutang, im 25sten Jahre ausgelebt und ausgestorben haben – vielleicht sind deswegen die Könige in manchen Ländern schon im 14ten Jahre mündig –, so hatte doch Jenner sein Leben nicht so weit zurückdatiert und war wirklich älter als mancher Jüngling. – Am meisten bemächtigte sich der Fürst des guten warmen Herzens Sebastians durch das schlichte Betragen ohne Ansprüche, das weder der Eitelkeit noch dem Stolze diente, und dessen Aufrichtigkeit sich durch nichts von der gewöhnlichen unterschied als durch Feinheit. Viktor hatte schon Vasallen neben dem Munde ihres Lehnherrns so stehen sehen, daß der letzte aussah wie ein Haifisch, der quer einen Menschen im Rachen trägt; aber Jenner glich einem PetermännchenSo heißet der Fisch, in dessen Maule Petrus die Steuer Christi gefunden. , das darin einen hübschen Stater vorweist.

Dem Hofkaplan wars, da er kam, in seinem Erstaunen über einen gekrönten Gast unmöglich, Lippe oder Fuß zu rühren; er verblieb unbeweglich in der weiten Wasserhose des Priesterrocks, der um ihn wie um Marzipan ein Regalbogen geschlagen war. Das einzige, was er sich erlaubte und erfrechte, war – nicht, die Bibel (den Mauskloben) wegzulegen, sondern – die Augen heimlich in der Stube herumzutreiben, um herauszubringen, ob sie gehörig geheftet, foliiert und überschrieben sei von den Stuben-Registratorinnen.

Der Fürst reisete sogleich mit dem Lord weiter, der seinen Abschied vom Sohne und seine Abschiedpredigten bis auf den einsamen Tag auf der Insel der Vereinigung versparen mußte. Der Sohn bekam zur Nachbarschaft des Fürsten Lust, wenn er dessen Betragen gegen seinen Vater überdachte; er hatte die doppelte Freude des Kindes und des Menschen, da sein Vater das eigne Glück in das Glück des armen Landes verwandelte und bloß, um Gutes zu tun, in dem Thronfelsen sich Fußstapfen austrat, wie man in Italien die Fußtritte der Engel, die erschienen und beglückten, in den Felsen zeigt. Andre Günstlinge gleichen dem Henker, der sich im Sande Fußstapfen aushöhlt, um fester zu stehen, wenn er – köpft.

In der ausgeleerten Stube wurde unter Eymanns Gliedern – er stand noch im Priesterrock-Schilderhaus – der Zeigefinger zuerst wach, der sich ausstreckte und dem Familienzirkel das Bette wies: »Es wäre mit lieber und dienlicher,« sagte er, »hätte man mich mit diesem Lumpen totstranguliert, als daß ihn der Serenissimus ausspioniert.« Er meinte aber seine eigne beschmutzte Halsbinde, die er selber in das Ehebette – die Kunstkammer und den Packhof seiner Wäsche – geworfen hatte. Wenn man ihm einen Qual-Einfall widersprach, so bewies er ihn so lange, bis er ihn selber glaubte; räumte man ihn aber ein, so sann er sich einige Skrupel aus und nahm eine andere Meinung an: »Durch die Vorhänge muß Seine Durchlaucht unfehlbar den Fetzen gesehen haben«, versetzte er. Endlich bereisete er alle Plätze, wo Jenner gestanden hatte, und visierte nach der Lumpenbinde und untersuchte ihre Parallaxe. »Ans Blenden der Fenster müssen wir uns halten, wenn wir ruhig bleiben wollen«, beschloß er und – – ich.

 

Nachschrift. Ich werde allemal nach einem achten Kapitel – weil ich gerade zwei Hundtage in einer Woche fertig bringe – bemerken, daß ich wieder einen Monat lang gearbeitet habe. Ich berichte daher, daß morgen der Junius angeht.


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