Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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11. Hundposttag

Übergabe der Prinzessin – Kuß-Kaperei – montre à regulateur – Sammliebe

Voltaire, der kein gutes Lustspiel schreiben konnte, wäre nicht imstande, den eilften Hundposttag zu machen. –

Bei dem eilften Hundtag bemerk' ich freilich, daß die Natur Gewächse mit allen Anzahlen von Staubfäden geschaffen, nur keine mit eilf; und auch Menschen mit eilf Fingern selten.

Inzwischen ist das Leben, gleich den Krebsen, am schmackhaftesten in den Monaten ohne R.

Darwider sagen einige, die Feder eines Autors gehe wie eine Uhr desto schneller, je länger sie geht; ich aber wend' es um und sage, aus Vielschreibern werden vielmehr Schnellschreiber.

Und doch will man Menschen, die das fünfte Rad am Wagen sind, nicht leiden; aber jedem Rüstwagen ist ein fünftes hinten aufgeschnallet, und im Unglück ist es ein wahres Glückrad. Reinhold las Kants Kritik fünfmal durch, eh' er ihn verstand – ich erbiete mich, ihm verständlicher zu sein, und verlange nur halb so oft gelesen zu werden.

Frei heraus zu reden, so heg' ich einige Verachtung gegen einen Kopf voll Spring-Ideen, die mit ihren Springfüßen von einer Gehirnkammer in die andre setzen; denn ich finde keinen Unterschied zwischen ihnen und den Springwürmern im Gedärm, welche Goeze vor einem Licht drei Zolle hoch springen sah.

Allerdings hängt der folgende Gedanke nicht recht mit der vorigen Schluß- und Blumenkette zusammen: daß ich besorge, Nachahmer zu finden, um so mehr, da ich hier selber einer von gewissen witzigen Autoren bin. In Deutschland kann kein großer Autor eine neue Fackel anbrennen und sie solange in die Welt hinaushalten, bis er müde ist und das Stümpchen wegwirft, ohne daß die kleinen darüber herfallen und mit dem Endchen Licht noch halbe Jahre herumlaufen und herumleuchten. So liefen mir (und andern) in Regensburg tausendmal die Buben nach und hatten Überbleibsel von Wachsfackeln, die das Gesandten-Personale weggeworfen hatte, in Händen und wollten mich bis zu meinem Hauswirt leuchten für wenige Kreuzer.... Stultis sat!

– Viktor eilte am Morgen ins Schloß. Er bekam einen kaufmännischen Anzug und die Bude. Um zehn Uhr fiel die »Übergabe« der Prinzessin vor. Die drei Zimmer, worin sie vorgehen sollte, lagen mit ihren Flügeltüren seinem Kaufladen entgegen. Er hatte die Prinzessin noch nie gesehen – außer die ganze Nacht in jedem Traum – und konnte alles kaum erwarten...

Und der Leser auch: schneuzt er nicht jetzt Licht und Nase – füllt Pfeife und Glas – ändert die Stellung, wenn er auf einem sogenannten Lese-Esel reitet – drückt das Buch glatt auseinander und sagt mit ungemeinem Vergnügen: »Auf die Beschreibung spitz' ich mich gewissermaßen«? – Ich wahrlich nicht; mir ist, als sollt' ich arkebusiert werden. Wahrhaftig! ein Infanterist, der mitten im Winter Sturm läuft gegen eine feindliche Mauer vom dicksten Papier in einer Oper, hat seinen Himmel auf der Erde, mit einem Berghauptmann meines Gelichters verglichen.

Denn einer, der Kaffee trinkt und eine Beschreibung von irgendeinem Schulaktus des Hofs machen will – z. B. von einem Courtag – von einer Vermählung (im Grunde von den Vorerinnerungen dazu) – von einer Übergabe –, ein solcher Trinker macht sich anheischig, Auftritte, deren Würde so äußerst fein und flüchtig ist, daß der geringste falsche Nebenzug und Halbschatten sie völlig lächerlich macht – daher auch Zuschauer wegen solcher dazugedachter Nebenstriche über sie in natura lachen – er macht sich anheischig, sag' ich, solche ans Komische grenzende Aufzüge so wiederzugeben, daß der Leser die Würde merkt und so wenig dabei lachen kann, als spielte er selber mit. Es ist wahr, ich darf ein wenig auf mich bauen, oder vielmehr darauf bauen, daß ich selber an Höfen gewesen und den angeblichen Klaviermeister gemacht (ob dieser eine Maske höherer Würden war oder nicht, lass' ich hier unentschieden); man sollte also von einem Vorzug, der mir fast vor der ganzen schreibenden Hanse zuteil geworden, und dem ich wirklich mein (von einigen) in der Hof-Scientia media entdecktes Übergewicht über die schriftstellerische so niedrige Schiffmannschaft gern verdanke, davon sollte man sich fast außerordentliche Dinge versprechen. – Man wird aber schlimm abfahren; denn ich war nicht einmal imstande, meinem Zögling Gustav den Krön-Prozeß in Frankfurt so ernsthaft vorzutragen, daß dieser aufhörte zu – lachen. So wußte auch Yorick niemals so zu schelten, daß seine Leute davonliefen, sondern sie mußten es für Spaß halten.

Mein Unglück wär's gewesen, wenn ich die Übergabe der Prinzessin – anfangs dacht' ich freilich, es wäre dann mehr Würde darin – unter dem Bilde einer mit einem Türspan besiegelten Haus-Übergabe an Gläubiger abgeschildert hätte, oder wie eine Übergabe eines Feudums durch investitura per zonam – oder per annulum – oder per baculum secularemEin König von Frankreich schickte einmal einem Vasallen illum baculum, quo se sustentabat, in symbolum traditionis zu. Du Fresne Gloss. Aus du Fresne' Glossario ist meines Wissens noch kein guter und brauchbarer Auszug für Frauenzimmer gemacht worden.. – – Ich bin aber zum Glück darauf gekommen, die Übergabe unter der poetischen Einkleidung einer historischen Benefizkomödie mit derjenigen Würde abzumalen, die Theater geben. Ich habe dazu soviel und mehr Einheit des Orts – (drei Zimmer) –, der Zeit – (den Vormittag) – und des Interesse – (den ganzen Spaß) – in Händen, als ich brauche. Und wenn ein Autor noch dazu – das tu' ich – vorher die betrübtesten ernsten Werke durchlieset, Youngs Nachtgedanken – die akatholischen gravamina der Lutheraner – den dritten Band von Siegwart – seine eignen Liebebriefe; ferner wenn er sichs noch immer nicht getrauet, sondern gar vorher Homes und Beatties treffliche Beobachtungen über die Quellen des Komischen vor sich legt und durchgeht, um sogleich zu wissen, welchen komischen Quellen er auszuweichen habe: so kann ein solcher Autor schon ohne Besorgnis der Prahlerei seinen Lesern die Hoffnung machen und erfüllen, daß er, des Komischen sich so komisch erwehrend, vielleicht nicht ohne alle Züge des Erhabnen liefern und malen werde folgende

historische Benefizkomödie von der Übergabe der Prinzessin, in fünf Akten

(Das halbe Wort Benefiz bedeutet bloß den Nutzen, den ich selber davon habe.)

Erster Akt. Unter drei Zimmern ist das mittlere der Schauplatz, wo man spielt, der Handelsplatz, wo man auslegt, der Korrelationsaal (regensburgisch zu reden), wo alles Wichtige zeitigt und reift – hingegen in dem ersten Nachbar-Zimmer steckt der italienische, im zweiten der flachsenfingische Hofstaat, und jeder erwartet ruhig den Anfang einer Rolle, für die ihn die Natur geschaffen. Diese zwei Zimmer halt' ich nur für die Sakristeien des größten.

Das Mittelzimmer, d. h. sein Vorhang, der aus zwei Flügeltüren gemacht ist, geht endlich auf und zeigt dem Associé Sebastian, der aus seinem Laden neben der katarrhalischen Firma hereinguckt, viel. Es tritt auf an der Türe der Kulisse No. 1 ein rotsamtner Stuhl; an der Türe der Kulisse No. 2 wieder einer, ein Bruder und Anverwandter von jenem; es sind diese Duplikate die Sessel, worin sich die Prinzessin setzt im Verfolge der Handlung, nicht weil die Müdigkeit, sondern weil ihr Stand es ausdrücklich begehrt. Mitten im Handeln ist schon ein langer befranster Tisch begriffen, der das Mittelzimmer, das selber ein Abteilzeichen der zwei Kulissen ist, abteilt in zwei Hälften. Man sollte nicht erwarten, daß dieser Sektiontisch sich seines Orts wieder von etwas werde halbieren lassen, was ein Dummer kaum sieht. Aber ein Mensch trete in Viktors Laden: so wird er einer Seidenschnur ansichtig, die, unter dem Spiegeltisch anfangend, über den Achatboden und unter dem Partage-Tisch wegstreichend, aufhört vorn an der Türschwelle; und so teilt ein bloßer Seidenstrang leicht den Abteiltisch und dadurch das Abteilzimmer und am Ende die Abteilschauspielergesellschaft in zwei der gleichsten Hälften – lasset uns daraus lernen, daß am Hofe alles tranchiert wird, und selber der Prosektor wird zu seiner Zeit hingestreckt auf den Zergliedertisch. Von dieser seidenen Schnur, womit der Großherr seine Günstlinge von oben dividiert, aber in Brüche, kann und soll im ersten Akt nicht mehr die Rede sein, weil er – aus ist...

Es wurde mir ungemein leicht, diesen Auftritt ernsthaft abzufassen; denn da nach Platner das Lächerliche nur am Menschen haftet, so war das Erhabene, das in meinem Aufzuge die Stelle des Komischen einnimmt, in einem Akte leicht zu haben, wo gar nichts Lebendiges spielte, nicht einmal Vieh.

Zweiter Akt. Das Theater wird jetzo lebendiger, und auf dasselbe hinaus tritt nun die Prinzessin an der Hand des italienischen Ministers aus der Kulisse No. 1; beide wirken anfangs, gleich der Natur, still auf diesem Paradeplatz, der schon auf dem Papier zwei Seiten lang ist...

Nur einen Blick vom Theater in die Hauptloge! Viktor spielt für sich, indem er unter den Lorgnetten, die er zu verkaufen hat, sich die hohleste ausklaubt und damit die Heldin meiner historischen Benefizkomödie ergreift... Er sah den Beicht- und Betschemel, auf dem sie heute schon gekniet hatte: »Ich wollt',« (sagt' er zu Tostato) »ich wäre heute der Pater gewesen, ich hätt' ihr ihre Sünden vergeben, aber nicht ihre Tugenden.« Sie hatte zwar jenes regelmäßige Statuen- und Madonnengesicht, das ebensooft hohle als volle Weiberköpfe zudeckt; ihre Hofdebüt-Rolle verbarg zwar jede Welle und jeden Schimmer des Geistes und Gesichts unter der Eiskruste des Anstandes; aber ein sanftes Kindesauge, das uns auf ihre Stimme begierig macht, eine Geduld, die sich lieber ihres Geschlechtes als ihres Standes erinnert, eine müde Seele, die sich nach doppelter Ruhe, vielleicht nach den mütterlichen Gefilden sehnte, sogar ein unmerklicher Rand um die Augen, der von Augenschmerzen oder vielleicht von noch tiefern gezeichnet war, alle diese Reize, die zu Funken wurden, welche in den getrockneten Zunder des Associé hinter der Brille geschlagen wurden, machten diesen in seiner Loge ordentlich – halbtoll über das Schicksal solcher Reize. Und warum sollt' es auch einem den Kopf nicht warm machen – zumal wenn schon das Herz warm ist –, daß diese unschuldigen Opfer gleich den Herrnhuterinnen zwischen ihrer Wiege und ihrem Brautbette Alpen und Meere gestellet sehen, und daß die Kabinette sie wie Seidenwurmsamen in Depeschen-Düten versenden?.... Wir kehren wieder zu unserem zweiten Akte, in dem man noch weiter nichts vornimmt, als daß man – ankommt.

Die Kulissen No. 1 und 2 stecken noch voll Akteurs und Aktricen, die nun herausmüssen. An diesem Tage ist es, wo zwei Höfe wie zwei Heere einander in zwei Stuben gegenüber halten und sich gelassen auf die Minute rüsten, wo sie ausrücken und einander im Gesichte stehen, bis es endlich wirklich zu dem kommt, wozu es nach solchen Zurüstungen und in solcher Nähe ganz natürlich kommen muß, zum – Fortgehen. Der Kubikinhalt von No. 1 quillet der Fürstin nach, er besteht aus Italienern – in der nämlichen Minute richtet auch der Hofstaat aus der Kulisse No. 2 seine Marschroute ins Hauptquartier herein, er besteht aus Flachsenfingern. Jetzo stehen zwei Länder – eigentlich nur der aus ihnen abgezogene und abgedampfte Geist – sich einander ganz nahe, und es kömmt jetzt alles darauf an, daß der Seidenstrang, den ich im ersten Akt über die Stube gespannt, anfange zu wirken; denn die Grenzverrückung und Völkermischung zweier so naher Länder, Deutschlands und Welschlands, wäre in einem Zimmer fast so unvermeidlich wie in einer päpstlichen Gehirnkammer, hätten wir den Strang nicht – aber den haben wir, und dieser hält zwei zusammengerinnende Völkerschaften so gut auseinander, daß es nur Jammer und Schade ist – die Ehrlichkeit hat den größten –, daß die deutschen Kabinette keinen solchen Sperrstrick zwischen sich und die italienischen hingezogen haben; und kams denn nicht auf sie an, wo sie den Strick anlegen wollten, am Fußboden, oder an welschen Händen, oder an welschen Hälsen? –

Wenn die englische allgemeine Weltgeschichte und ihr deutscher Auszug einmal die Zeit so nahe eingeholet haben, daß sie das Jahr dieser Übergabe vornehmen und erzählen und unter andern das bemerken können, daß die Prinzessin nach dem Eintritt sich setzte in den Samtsessel: so sollte die Weltgeschichte den Autor anführen, aus dem sie schöpft – mich.... Das war der zweite Akt, und er war sehr gut und nicht sowohl komisch als erhaben.

Dritter Akt. Darin wird bloß gesprochen. Ein Hof ist das Parloir oder Sprachzimmer des Landes, die Minister und Gesandten sind HörbrüderSo wie es Hörschwestern (les Tourières oder Soeurs écoutes) gibt, die mit den Nonnen ins Sprachzimmer gehen, um auf ihr Reden achtzugeben. . Der flachsenfingische Sekretär las entfernt ein Instrument oder den Kaufbrief ihrer Vermählung vor. Darauf wurden Reden gelispelt – vom italienischen Minister zwei – vom flachsenfingischen (Schleunes) auch zwei – von der Braut keine, welches eine kürzere Art, nichts zu sagen, war als der Minister ihre. – –

Da wahrlich jetzt dieser erhabne Akt aus wäre, wenn ich nichts sagte: so wird mir doch nach vielen Wochen einmal erlaubt sein, ein Extra-Blättchen zu erbetteln und anzuhenken und darin etwas zu sagen.


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