Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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Erstes Heftlein

Vorrede zur dritten Auflage

Zwei lange Vorreden folgen dieser dritten auf dem Fuße nach, die zweite zur zweiten Auflage und die erste zur ersten. Mach' ich nun diese dritte wieder lang; – und wohl auch gar die übrigen vielen zu den künftigen Auflagen: so seh' ich nicht ab, wie ein Leser der letzten nur je durch die Gasse von Vorzimmern zum historischen Bildersaale gelangen soll; er stirbt auf dem Wege zum Buch.

Ich berichte denn kurz: in dieser Auflage wurde das Nötigste und Leichteste verbessert. Zuerst hab' ich mich häufig ins Deutsche übersetzt aus dem Griechischen, Lateinischen, Französischen und Italienischen; und zwar überall, wo es der Sprachreiniger mit der gehörigen Achtung für die Sachen selber verlangte. Einmal müssen wir Schreiber alle uns der Wörter-Alien-Bill oder Fremdenvertreibung von Campe, Kolbe und andern bequemen, und selber unser geliebter Goethe wird, so sehr er auch » emergiert und eminiert«, am Ende in irgendeiner künftigen Auflage z. B. eben beide Wörter, die er in der letztenDessen sämtliche Werke. B. 3 S. 68. auf einer Zeile zum Worte kommen läßt, zum Buche hinauswerfen müssen. Ist es nicht Zeit, den fremden, lange genug in Deutschland eingelagert gewesenen Völkern endlich auch ihre noch länger dagebliebnen Echo oder Wörter nachzuschicken?

Nur sei Kolbe oder jeder Purist ein billiger Mann und mute uns nicht zu, gemeinschaftliche Kunstwörter des gebildeten Europa, z. B. der Musik, der Philosophie, in unbekannte inländische, zumal in Fällen umzusetzen, wo die verdolmetschende Hand den ganzen Schmetterlingstaub bunter Anspielungen abgreifen und abpflücken würde. Zum Beispiel der Name Purist selber sei ein Beispiel. Gesetzt, man hieße Arndt einen politischen Deutschlands-Puristen, und Kolbe setzte dafür politischen Sprachreiniger oder Sprachreinen: so gäbe der kleine Einfall an der Übertragung das bißchen Geist auf, das er etwa besessen.

Indes wenn der Verfasser dies auch nicht so wie einige Spracheinsiedler ausräumte, welche gleich der Luftröhre alles Fremdartige mit unangenehmem Husten und Spucken ausstoßen und nur die vaterländische Luft behalten: so suchte er wenigstens den Gletschern nachzuahmen, welche fremde Körper, als Stein und Holz, von Jahr zu Jahr allmählich aus sich herausschieben. Wie sehr ich dies in der Ausgabe dieses Hesperus auf jeder Seite getan, beweiset das mit den neuen eingeschriebnen Verbesserungen durchschoßne alte Druckexemplar; und ich wünschte wohl, Herr Kolbe reisete einmal nach Berlin und besähe das Exemplar. Wenigstens will ich die deutsche Gesellschaft allda, die vor einigen Jahren mich in sich aufgenommen, ersuchen, in die Verlagshandlung zu gehen, um selber zu sehen, was ihr Mitglied gemacht, welche Durchstriche und welche Ersatzwörter.

Wer sich eigentlich an der deutschen Sprache und an denen, welche keine andere verstehen, am stärksten versündigt, dies sind die Naturgeschichtschreiber, welche, wie z. B. Alexander von Humboldt, den ganzen lateinischen Linné mitten in unsere Sprache hineinstellen ohne andere deutsche Abzeichen als hinten die Aufschwänzung in deutsche Endigungen oder Schwanzfedern, womit sie aber dem bloßen Deutschsprecher so wenig kenntlich werden als ein Mann einem Fremden hinten durch den bloßen Zopf. Hat unsere unerschöpfliche Sprache nicht ihre Kräfte zur Schöpfung eines deutschen Linné schon gezeigt, wenn wir einen Wilhelmi und noch mehr den herzdeutschen und sprachdeutschen Oken lesen?

Sonst übrigens wird die deutsche Sprache sogar durch die größte Gastfreiheit gegen Fremdlinge niemals verarmen und einkriechen. Denn stets zeugt sie (wie alle Wörterbücher beweisen) aus ihren immer frischen Stammbäumen hundertmal mehre Kinder und Enkel und Urenkel, als sie fremde Geburten an Kindes Statt annimmt; so daß nach Jahrhunderten die aus unsern forttreibenden Wurzelwörtern aufgegangne Waldung die nur als Flugsame aufgekeimten Fremd-Wörter ersticken und verschatten muß, zuletzt als ein wahrer Lianenwald aufgebäumt, dessen Zweige zu Wurzeln niederwachsen und dessen aufwärts gepflanzte Wurzeln zu Gipfeln ausschlagen. Wie fremd-durchwachsen und verwildert wird dagegen nach einigen Jahrhunderten z. B. die englische Sprache dastehen, mit dem vaterländischen, aber kraftlosen Stamm voll eingeimpften Wortgebüsches, keines Schaffens, nur des Impfens fähig und aus dem doppelten Amerika mehr neue Wörter als Waren abholend! –

Das zweite, aber leichtere, was für diese dritte verbesserte Auflage des Hesperus geschehen, war natürlich, daß ich durch den ganzen Abendstern langsam hinging mit dem Jätemesser in der Hand und alles Genitiv- oder Es-Schmarotzer-Unkraut der Doppelwörter, wo ichs nur fand – und dies war leider schon auf dem Titelblatte der Hundposttage der Fall –, aufmerksam herausstach. Ich stand aber viel dabei aus; der alten Prozesse der überreichen Sprache mit sich selber haften zu viele auf ihren Gütern, und ich mußte daher manches eingenistete Es-Gesindel da lassen, wo es sich zu lange angesiedelt hatte und sich auf Zeugen und Ohren berief. Noch bis auf die Stunde dieser Vorrede wartet der Verfasser der Morgenblatt-Briefe über die Doppelwörter nicht etwan auf eine durchgreifende Prüfung (was wohl zu früh wäre), sondern vor allen Dingen auf eine umfassende Lesung derselben, welche freilich der zerteilende Archipelagus von auseinander liegenden Inselblättern so lange erschwert, als die Zeitschrift ihren Lesekreis noch nicht durchlaufen. Dann aber hoff' ich vom Sprachforscher, wenn er sie vollständig im Hause vor seinem Richterstuhle hat, gründliche Widerlegung und Zustimmung.

Endlich drittens wurde nach dem zweimaligen Verbessern von zwei Auflagen (denn die erste erhielt große Verbesserungen, und zwar vor ihrem Drucke) ein drittes vorgenommen, das gegen Härten, Dunkelheiten, Mißverstand und andere Überlängen und Überkürzen der Einkleidung loszugehen hatte.

Aber Himmel, wie oft muß nicht ein Schreibmensch an sich bessern, der kaum über ein halbes Jahrhundert alt ist! Lebte er sich vollends in ein Methusalems-Jahrtausend hinein und schriebe dabei: der Methusalem bekäme so viele Bände von Verbesserungen nachzuschießen, daß das Werk selber ihnen nur als Vorwerk, Anhängsel oder Ergänzblatt beizugeben wäre.

Seit mehren Jahren haßt der Verfasser in seinen ältern Werken einen Fehler in hohem Grade, den er bei Ernst Wagner, Fouqué und andern häufig wiederholt oder nachgeahmt angetroffen, nämlich den Fehler der eignen schriftstellerischen Austrommelsucht oder Vorsprecherei der Empfindungen, welche der Gegenstand haben und zeigen soll, aber nicht der Dichter. Z. B. »erhaben ruhig antwortete Dahore.« – Wozu erhaben beifügen, da es überflüssig, anmaßend und vorausnehmend ist, sobald die Antwort wirklich erhebt, oder, wenn sie es nicht tut, alles noch erbärmlicher ausfällt? Der Dichter, der auf diese Weise das Vor-Echo seiner Personen ist, nimmt sich einige neuere Trauerspieldichter wie Werner, Müllner u. a. zum Muster, welche für den Schauspieler bei jeder Rede die Buchbinder-Nachrichten vorsetzen: »mit rührendem Schmerze – mit einem Seufzer schmerzlicher Erinnerung – aus der Tiefe des Schmerzes herauf« – lauter Macht- oder Unmachtsprüche, die nur ein pantomimischer Tanz nötig hat und befolgen kann, die aber kein Stück von Shakespeare, von Schiller und Goethe braucht, weil ja die Rede selber reden lehrt.

Übrigens hab' ich jetzo, um ein Viertel-Jahrhundert älter und gealtert, nicht den Mut, dem ersten jugendlichen Ausströmen des Herzens ein anderes Bette und einen schwächern Fall und Zug zu geben. Der spätere Mensch hält zu leicht das Ändern am jüngern für ein Bessern desselben; aber wie kein Mensch den andern ersetzen kann, so kann auch nicht einmal derselbe Mensch sich in seinen verschiedenen Alterstufen vertreten, am wenigsten der Dichter. Die beste eheliche Liebe ist nicht das, was die jungfräuliche war; und so gibt es auch in der Begeisterung und in der Darstellung eine jungfräuliche Muse. Ach alles erste im Dichten wie Leben ist, was ihm auch sonst abgehe, so unschuldig und gut; und alle Blüten kommen so rein weiß auf die Welt, worin nachher »die Sonne«, wie Goethe schon von körperlichen Farben sagt, »kein Weißes duldet«. Darum sollen alle heiße Worte meiner Begeisterung für Emanuels Sterben und Viktors Lieben und Weinen und für Klotildens Schweigen und Leiden stets im Hesperus ungekühlt und unverändert stehen bleiben. Sogar das Jetzo soll dem Sonst nichts nehmen. Denn ob ich gleich seit 25 Jahren durch einige Nachahmungen und Nachspiele des Buchs ordentlich mich selber satt bekommen: so überwind' ich doch den Überdruß an dieser Selbersattheit durch die Hoffnung, daß der schreibende Jüngling später wieder auf lesende Jünglinge und Jungfrauen treffen und daß künftig auch für ältere Leser mehr vom Nachgeahmten als von den Nachahmungen übrig bleiben wird.

Und so lege denn dieser Abendstern – der früher der Morgenstern meiner ganzen Seele gewesen – seinen dritten Umlauf um die Lesewelt in dem vollern Lichte eines bessern Standes gegen Sonne und Erde zurück!

Baireuth den 1. Jenn. 1819.

Jean Paul Fr. Richter.


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