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Matthieus vier Pfingsttage und Jubiläum
Es ist ein Kunstgriff, daß ich wahre Spitzbuben-Szenen in den höhern Ständen vorher französisch niederschreibe und dann verdolmetsche, wie Boileau seine welken Verse vorher in Prose aufsetzte. – Da mir am 43sten Hundtage gelegen ist – weil der edle Matz darin seinen Flamin sogar mit Aufopferung seiner Tugend und des Lords zu retten sucht –: so gedenk' ich ihn aus dem Französischen, worin ich ihn geschrieben, so getreu ins Deutsche zu übersetzen, daß mein französischer Autor selber mir seinen Beifall schenken soll.
Kaum hörte Matthieu, daß Klotildens und Flamins Mutter aus London gekommen: so marschierte dieser Reineke aus seinem Fuchsbau nach Flachsenfingen, weil er sich die Ehre, Flamin zu erlösen, von niemand nehmen lassen wollte. Er griff, seines Feuers ungeachtet, dem Zufall selten vor, sondern er paßte und schob nur da oder dort nach: – wie in einem Roman, so häkeln sich im Leben tausend leise zusammengerückte Geringfügigkeiten endlich fest ineinander, und ein guter Matz zwirnet aus zertragenen Spinngeweben des Zufalls zuletzt einen ordentlichen – Seidenstrick für seinen Nebenmenschen. – Er ließ sich kühn beim Fürsten eine geheime Audienz auswirken, »weil er lieber der Strafe (wegen der Foderung zum Duell) entgegenkommen, als über einige wichtige Dinge länger schweigen wolle«. Wichtige und gefährliche waren längst bei Jenner verwandt, jetzt aber gar identisch, weil ihn die Fürstin an jedem Morgen mit einigen Strophen aus dem Buß- und Eulenliede über Aufruhr, Ankerströme und Propagandisten ansang. Sie und Schleunes bliesen in ein Horn, wenigstens aus ihm eine Melodie.
Matthieu trat ein und langte das große Wichtige hervor – die kahle Bitte um Flamins Leben. Jenner sagte ein ebenso kahles Nein; denn der Mensch ist ebenso unwillig auf den, der ihn in eine ungegründete Furcht, als auf den, der ihn in eine gegründete jagt. Matthieu wiederholte kalt sein Gesuch: »Ich bitte Ew. Durchlaucht bloß, nicht zu glauben, daß ich jemals die bloße Freundschaft für eine hinlängliche Entschuldigung einer solchen kühnen Bitte halten würde – die Pflicht eines Untertanen ist meine Entschuldigung.« – Jenner, den das unhöfliche Zurückziehen verdroß, brach es ab: »Der Schuldige kann nicht für den Schuldigen bitten.« – »Gnädigster Herr,« – sagte der Evangelist, der ihn in Furcht und Harnisch zugleich zu jagen suchte – »zu jeder andern Zeit als in der unsrigen würd' es ebenso sträflich sein, gewisse Dinge zu erraten oder zu weissagen, als sie zu beschließen – aber in unserer sind diese drei Dinge leichter. Auf den Tag, wo der Regierrat sein Leben verlieren sollte, ist ein Plan berechnet, den einige zur Erhaltung des seinigen auf Kosten des ihrigen gemacht haben.« – Der Fürst – entrüstet über die Kühnheit, die sonst nicht in der SchneelinieSo heißet die von Bouguer bestimmte Erhebung über das Meer, auf der die Berge in allen Zonen beschneiet sind. der Höfe, sondern nur in der demokratischen Gleicherlinie wohnt – sagte mit dem Todesurtel, das Matz längst in sein Gesicht hineinhaben wollte: »Ich werde Ihnen morgen die Namen der Elenden abfodern lassen, die ihr Leben preisgeben wollen, um die Gerechtigkeit zu stören«..... Hier fiel dieser vor ihm nieder und sagte schnell: »Mein Name ist der erste – jetzt ists meine Pflicht, unglücklich zu werden – mein Freund hat niemanden getötet, sondern ich – er ist nicht der Sohn eines Priesters, sondern der erstgeborne Sohn des getöteten Herrn Le Baut«...
Solang' es noch Pfeilerspiegel gab, so sah nie ein so bestürztes auseinandergefahrnes Gesicht aus ihnen als heute. Jenner ließ ihn abtreten, um sich wieder zusammenzulesen.
Wir wollen jetzo in dem Vorzimmer drei Worte über den Abwesenden reden. Mir sagte einmal ein feiner Mann, er habe einmal zu einem großen Weltkenner gesagt: »der Fehler der Großen wäre, sich selber nichts zuzutrauen, und daher würden sie von jedem gelenkt«; und der Weltkenner habe geantwortet: er treff' es. – Jenner war Matzen gram, und das bloß seines satirischen und wollüstigen Gesichts wegen – aber nicht etwan seiner Laster wegen. Ich setze voraus, der Leser wird doch Höfe genug gesehen haben – auf dem Theater, wo die höheren Stände ihre Begriffe von Landleuten und wir unsere von ihnen abholen –, um zu wissen, was man da hasset – – keine Lasterhaften, nicht einmal Tugendhafte, sondern beide liebt man wirklich (gerade wie dasige Bratschisten, Handwerker, Wetzlarer Prokuratoren, Intendanten), sobald man sie nötig hat. – –
Der Junker kam wieder vor. Jenner hatte das süße väterliche Wallen über die Neuigkeit, da er bisher alle seine Kinder verloren gegeben, gestillt; aber er begehrte jetzt den Beweis, daß Flamin der (angebliche) Sohn des Kammerherrn sei. Ums Duell kümmerte er sich gar nicht. Der Beweis war der aufrichtigen Seele leicht zu führen: die Seele berief sich geradezu auf die Mutter, die eben gerade aus London eingetroffen, um den Sohn zu retten, und auf die Schwester selber. – Die Seele hatte wieder den Vordersatz, daß beide Kenntnis davon hätten, zu erweisen: – Matthieu berief sich auf den Brief der Mutter, den er vor einigen Jahren dem blinden Lord mit der angenommenen Stimme Klotildens vorgelesen, und auf der Schwester Ausruf unter dem Duell im Maienthaler Park: »Es ist mein Bruder« – und zuletzt führt' er noch einen Hauszeugen in der Sache auf, den Nachsommer, der jetzt bald erscheinen und das Äpfel-Muttermal, das Le Bauts Sohn auf der Schulter trage, neu aufmalen werde.
Matthieu hatte zu viel Hochachtung gegen seinen Fürsten und Herrn, um den Herrn des Sohns den Vater des Sohns zu nennen. Jetzt hörte er damit auf: »er wisse nicht, aus welchen Gründen der Lord Horion bisher Flamins Abkunft verborgen habe – welche es aber auch seien, alle Entschuldigungen desselben wären auch seine, warum er selber bisher geschwiegen – um so mehr, da ihm der Beweis dieser Abstammung schwerer fallen müssen als dem Lord. – Nur jetzt durch die Ankunft der Mutter sei die Leichtigkeit des Beweises so groß wie die Notwendigkeit desselben. – Alles, was er tun können als ein Hausfreund des Kammerherrn, sei gewesen, Flamins Vertrauter zu werden, um sein Wächter zu werden.«
Dadurch wurde notwendig der Fürst auf die Materie des Duells zurückgeführt, die jener anfangs nach wenigen Winken fallen lassen. Es war sein Geschäftgang, von einer ihm wichtigen Angelegenheit bald abzubrechen, über andere Dinge ebenso lange zu sprechen, dann jene wieder vorzuholen und so das Wichtige unter ebenso große Lagen von Unwichtigem zu verpacken, wie die Buchhändler konfiszierte Bücher bogenweise unter weißes oder anderes Papier verschlichten. Auch war jetzt Flamins Unschuld am Mord für Jenner wichtiger; dieser fragte also natürlicherweise, warum er seinen Freund dem Scheine des Zweikampfes preisgegeben habe.
Matthieu sagte, es werde lange, und es sei kühn, Se. Durchlaucht um so viel Aufmerksamkeit zu flehen. Er hob an zu berichten, was – die Hundposttage bisher berichtet haben. Er log wenig. Er hinterbrachte, er habe, um Flamins Liebe für seine unbekannte Schwester Klotilde zu brechen – wenigsten mehren wollt' er sie –, ihn eifersüchtig machen wollen, aber er habe ihn mit niemand entzweien können als mit dem Liebhaber; ja, es habe nicht einmal etwas gefruchtet, daß er ihn selber den Ohrenzeugen der sehr verzeihlichen Untreue Klotildens werden lassen, sondern jener habe noch zuletzt über die Verlobung der Schwester eine Wut geäußert, die er durch nichts als durch die Vorspiegelung eines verkappten Duells mit dem Vater befriedigen können – denn um einen zweiten Kampf zwischen Vater und Sohn, den das Schweigen des Lords angezettelt, abzuwenden, hab' er ihn selber unternommen, aber leider zu unglücklich.
So weit der Edle. Die uns bekannten wahren Einschiebsel unterschlag' ich. Jenner, der nun dem Evangelisten für die Wegnahme einer Furcht gewogen wurde, in die er ihn selber gesetzt hatte, tat die natürliche Frage: »warum Flamin den Mord auf sich nehme?« – Matthieu: »Ich flüchtete sogleich, und es stand nicht bei mir, seine Unwahrheit, deren ich mich nicht versehen konnte, zu verhüten; aber es stand bei mir, sie zu widerlegen.« – Jenner: »Fahren Sie in Ihrer Freimütigkeit fort, sie ist Ihre Schutzschrift, weichen Sie nicht aus!« – Matthieu mit einer freiern Miene: »Was ich zu sagen wußte, hab' ich schon gesagt im Anfange, um ihn zu retten; und jetzt ist er gerettet.« – Jenner sann zurück, begriff nichts und bat: »Noch deutlicher!« – Matthieu mit der absichtlichen Miene eines Menschen, der Versilberungen seines Vortrags zurechtmacht: »aus Großmut würd' er für den gestorben sein (für Matzen), der für ihn gesündigt hatte, wenn ihn nicht seine Freunde retteten.« Jenner schüttelte ungläubig den Kopf. »Denn«, fuhr jener fort, »da er seinen höhern Stand nicht kennt, so nahm er einige französische Grundsätze leichter an, die ihm seinen Tod ebensosehr erleichtert hätten, als einige Engländer sie würden beim Volke genutzt haben, um ihn zu verhüten.« Zum Beweis führt' er den angezündeten Pulverturm nebenher an.
Jenner sah staunend ein Licht in eine dunkle Höhle gleiten und sah weit in die Höhle hinein.
Man tut dem vortrefflichen Evangelisten unrecht, wenn man denkt, es tu' ihm genug, bloß seinen Freund gerettet zu haben; sein gutes Herz war auch noch darauf aus, dem Lord eine Ehrensäule zu setzen und ihn unter die Säule als Grundstein zu legen. Er quartierte gern (wie in Hamlet) in dem Schauspiel wieder eines ein und zog zwei Theatervorhänge auf. Wir wollen uns in die erste Loge setzen. Sein bisheriges Betragen gegen den Regierrat zeigt genug, wie weit er wahre Freundschaft zu treiben fähig war, ohne andere Freunde, z. B. die Fürstin, vor den Kopf zu stoßen; denn für die letzte war der Wiederfund des verlornen Sohns des Fürsten ohne sonderlichen Nachteil, da der Sohn als jakobinischer Logenmeister und als Rebell gegen den Stief- und den Vater zugleich präsentiert wurde, und da noch dazu der Lord so entsetzlich dabei verlor. Aber weil Matthieu sich nichts dabei vorzuwerfen hatte als sein Übermaß an Menschenliebe: so suchte er diesem Übermaß durch ein entgegengesetztes in der Bosheit zu begegnen, weil Bako schreibt: Übertreibungen werden am besten durch entgegengesetzte kuriert. Nach seinen zu feurigen Begriffen von der Freundschaft konnt' er auch kein echter Freund des Lords sein, da man nach Montaigne nur einen echten, wie einen Liebhaber, haben kann, und der Lord schon einen dergleichen an Jennern aufzeigte.