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Es war an einem holden Juliusabend, wo mein Geliebter an meinem Busen auf dem Berge unter der Trauerbirke lag und weinte und mich fragte: ›Sage mir, warum ich diesen Abend so sehr weine! – Tust du es denn nie, Emanuel? Es fallen aber auch warme Tropfen von den Wolken auf meine Wangen.‹ – Ich antwortete: ›Im Himmel ziehen kleine warme Nebel herum und verschütten einige Tautropfen; aber geht nicht der Engel in deiner Seele auf und nieder? Denn du streckest deine Hand aus, um ihn anzurühren.‹ – Julius sagte: ›Ja, er steht vor meinen Gedanken; aber ich wollte nur dich anrühren; denn der Engel ist ja aus der Erde gegangen, und ich sehne mich recht nach seiner Stimme. In mir wallen Traumgestalten ineinander, aber sie haben keine so hellen Farben wie im Schlafe – lächelnde Angesichter blicken mich an und kommen mit ausgebreiteten Schattenarmen auf mich und winken meiner Seele und zerfließen, eh' ich sie an mein Herz andrücke – Mein Emanuel, ist denn dein Angesicht nicht mit unter meinen Schattengestalten?‹ Hier schloß er sein nasses Angesicht glühend an meines, das ihm abgeschattet vorzuschweben schien; eine Wolke sprengte das Weihwasser des Himmels über unsre Umarmung, und ich sagte: ›Wir sind heute so weich bloß durch das, was uns umringt und was ich jetzt sehe.‹ – Er antwortete: ›O sage mir es, was du siehest, und höre nicht auf, bis die Sonne hinabgegangen ist.‹
Mein Herz schwamm in Liebe und zitterte in Entzücken unter meiner Rede: ›Geliebter, die Erde ist heute so schön, das macht ja den Menschen weicher – der Himmel ruht küssend und liebend an der Erde, wie ein Vater an der Mutter, und ihre Kinder, die Blumen und die schlagenden Herzen, fallen in die Umarmung ein und schmiegen sich an die Mutter. – Der Zweig hebt leise seinen Sänger auf und nieder, die Blume wiegt ihre Biene, das Blatt seine Mücke und seinen Honigtropfen – den offnen Blumenkelchen hängen die warmen Tränen, in die sich die Wolken zerteilen, gleichsam in den Augen, und meine Blumenbeete tragen den aufgebauten Regenbogen und sinken nicht – Die Wälder liegen saugend am Himmel, und trunken von Wolken stehen alle Gipfel in stiller Wollust fest – Ein Zephyr, nicht stärker als ein warmer Seufzer der Liebe, hauchet vor unsern Wangen vorbei unter die rauchenden Kornblüten und treibt Samen-Staubwolken auf, und ein Lüftchen ums andre gaukelt und spielt mit den fliegenden Ernten der Länder, aber es legt sie uns hin, wenn es gespielt hat – – O Geliebter, wenn alles Liebe ist, alles Harmonie, alles liebend und geliebt, alle Fluren ein berauschender Blütenkelch, dann streckt wohl auch im Menschen der hohe Geist die Arme aus und will mit ihnen einen Geist umschlingen, und dann, wenn er die Arme nur an Schatten zusammenlegt, dann wird er sehr traurig vor unendlicher, vor unaussprechlicher Sehnsucht nach Liebe.‹ –
›Emanuel, ich bin auch traurig‹, sagte mein Julius.
›Siehe, die Sonne zieht hinab, die Erde hüllet sich zu – laß mich alles noch sehen und es dir sagen.... Jetzo fliehet eine weiße Taube, wie eine große Schneeflocke, blendend über das tiefe Blau... Jetzo zieht sie um den Goldfunken des Gewitterableiters herum, gleichsam um einen im Taghimmel aufgehangenen glimmenden Stern – o sie woget und woget und sinkt und verschwindet in den hohen Blumen des Gottesackers.... Julius, fühltest du nichts, da ich sprach? Ach die weiße Taube war vielleicht dein Engel, und darum zerfloß heute vor seiner Nähe dein Herz – Die Taube fliegt nicht auf, aber Tau-Wolken, wie abgerissene Stücke aus Sommernächten, mit einem Silberrand, ziehen über den Gottesacker und überfärben die blühenden Gräber mit Schatten.... Jetzo schwimmt ein solcher vom Himmel fallender Schatten auf uns her und überspült unsern Berg – – Rinne, rinne, flüchtige Nacht, Bild des Lebens, und verdecke mir die fallende Sonne nicht lange!.... Unser Wölkchen steht in Sonnenflammen.... o du holde, so sanft hinter dem Erdenufer zurückblickende Sonne, du Mutterauge der Welt, dein Abendlicht vergießest du ja so warm und langsam wie rinnendes Blut aus dir und erblassest sinkend, aber die Erde, in Fruchtschnüren und Blumenbändern aufgehangen und an dich gelegt, rötet sich neugeschaffen und vor schwellender Kraft.... Höre, Julius, jetzo tönen die Gärten – die Luft summet – die Vögel durchkreuzen sich rufend – der Sturmwind hebt den großen Flügel auf und schlägt an die Wälder; höre, sie geben das Zeichen, daß unsre gute Sonne geschieden ist....
O Julius, Julius,‹ (sagt' ich und umfaßte seine Brust) ›die Erde ist groß – aber das Herz, das auf ihr ruht, ist noch größer als die Erde und größer als die Sonne... Denn es allein denkt den größten Gedanken.‹
Plötzlich ging es vom Sterbebette der Sonne kühl wie aus einem Grabe daher. Das hohe Luftmeer wankte, und ein breiter Strom, in dessen Bette Wälder niedergebogen lagen, brauste durch den Himmel die Laufbahn der Sonne zurück. Die Altäre der Natur, die Berge, waren wie bei einer großen Trauer schwarz überhüllt. Der Mensch war vom Nebelgewölbe auf die Erde eingesperrt und geschieden vom Himmel. Am Fuße des Gewölbes leckten durchsichtige Blitze, und der Donner schlug dreimal an das schwarze Gewölbe. Aber der Sturm richtete sich auf und riß es auseinander; er trieb die fliegenden Trümmer des zerbrochenen Gefängnisses durch das Blau und warf die zerstückten Dampfmassen unter den Himmel hinab – und noch lange braust' er allein über die offne Erde fort, durch die lichte gereinigte Ebene... Aber über ihm, hinter dem weggerissenen Vorhang glänzte das Allerheiligste, die Sternennacht. –
Wie eine Sonne ging der größte Gedanke des Menschen am Himmel auf – meine Seele wurde eingedrückt, wenn ich gen Himmel sah – sie wurde aufgehoben, wenn ich auf die Erde sah –
Denn der Unendliche hat in den Himmel seinen Namen in glühenden Sternen gesäet, aber auf die Erde hat er seinen Namen in sanften Blumen gesäet.
›O Julius,‹ sagt' ich, ›bist du heute gut gewesen?‹ – Er antwortete: ›Ich habe nichts getan, außer geweint.‹
›Julius, knie nieder und entferne jeden bösen Gedanken – höre meine Stimme beben, fühle meine Hand zittern – ich knie neben dir.
Wir knien hier auf dieser kleinen Erde vor der Unendlichkeit, vor der unermeßlichen, über uns schwebenden Welt, vor dem leuchtenden Umkreis des Raums. Erhebe deinen Geist und denke, was ich sehe. Du hörst den Sturmwind, der die Wolken um die Erde treibt – aber du hörst den Sturmwind nicht, der die Erden um die Sonne treibt, und den größten nicht, der hinter den Sonnen weht und sie um ein verhülltes All führt, das mit Sonnenflammen im Abgrund liegt. Tritt von der Erde in den leeren Äther: hier schwebe und siehe sie zu einem fliegenden Gebirge einschwinden und mit sechs andern Sonnenstäubchen um die Sonne spielen – ziehende Berge, denen HügelPlaneten mit Monden. nachflattern, stürzen vorüber vor dir und steigen hinauf und hinab vor dem Sonnenschein – dann schau umher im runden, blitzenden, hohen, aus kristallisierten Sonnen erbaueten Gewölbe, durch dessen Ritzen die unermeßliche Nacht schauet, in der das funkelnde Gewölbe hängt – Du fliegst Jahrtausende, aber du trittst nicht auf die letzte Sonne und in die große Nacht hinaus – Du schließest das Auge zu und wirfst dich mit einem Gedanken über den Abgrund und über die ganze Sichtbarkeit, und wenn du es wieder öffnest, so umkreisen dich, wie Seelen Gedanken, neue hinauf- und hinabstürmende Ströme aus lichten Wellen von Sonnen, aus dunkeln Tropfen von Erden, und neue Sonnenreihen stehen einander wieder aus Morgen und Abend entgegen, und das Feuerrad einer neuen Milchstraße wälzt sich um im Strom der Zeit – Ja dich rücke eine unendliche Hand aus dem ganzen Himmel, du siehest zurück und heftest dein Auge auf das erblassende eintrocknende Sonnenmeer, endlich schwebt die entfernte Schöpfung nur noch als ein bleiches stilles Wölkchen tief in der Nacht, du dünkst dich allein und schauest dich um und – – ebensoviel Sonnen und Milchstraßen flammen herunter und hinauf, und das bleiche Wölkchen hängt noch zwischen ihnen bleicher, und außen um den ganzen blendenden Abgrund ziehen sich lauter bleiche stille Wölkchen. – –
O Julius, o Julius, zwischen den wandelnden Feuerbergen, zwischen den von einem Abgrund in den andern geschleuderten Milchstraßen, da flattert ein Blütenstäubchen, aus sechs Jahrtausenden und dem Menschengeschlecht gemacht – Julius, wer erblickt und wer versorgt das flatternde Stäubchen, das aus allen unsern Herzen besteht? –
Ein Stern wurde jetzt herabgeschlagen. Falle willig, Stern, in die Luft der Erde geheftet, auch die Sterne über der Erde taumeln wie du in ihre entlegnen Gräber herab – das Weltenmeer ohne Ufer und ohne Grund quillet hier, versieget dort; die Mücke, die Erde, fliegt um das Sonnenlicht und sinkt in das Licht und zerbröckelt – O Julius, wer erblickt und erhält das flatternde Stäubchen auf der Mücke, mitten im gärenden, grünenden, verwitternden Chaos? O Julius, wenn jeder Augenblick einen Menschen und eine Welt zerlegt – wenn die Zeit über die Kometen geht und sie austritt wie Funken und die verkohlten Sonnen zerreibt – wenn die Milchstraßen nur wie zurückfahrende Blitze aus dem großen Dunkel dringen – wenn eine Weltenreihe um die andere in den Abgrund hinuntergezogen wird, wenn das ewige Grab nie voll wird und der ewige Sternenhimmel nie leer: o mein Geliebter, wer erblickt und erhält denn uns kleine Menschen aus Staub? – Du, Allgütiger, erhältst uns, du, Unendlicher, du, o Gott, du bildest uns, du siehest uns, du liebest uns – O Julius, erhebe deinen Geist und fasse den größten Gedanken des Menschen! Da wo die Ewigkeit ist, da wo die Unermeßlichkeit ist und wo die Nacht anfängt, da breitet ein unendlicher Geist seine Arme aus und legt sie um das große fallende Welten-All und trägt es und wärmt es. Ich und du und alle Menschen und alle Engel und alle Würmchen ruhen an seiner Brust, und das brausende schlagende Welten- und Sonnenmeer ist ein einziges Kind in seinem Arm. Er siehet durch das Meer hindurch, worin Korallenbäume voll Erden schwanken, und sieht an der kleinsten Koralle das Würmchen kleben, das ich bin, und er gibt dem Würmchen den nächsten Tropfen und ein seliges Herz und eine Zukunft und ein Auge bis zu ihm hinauf – ja, o Gott, bis zu dir hinauf, bis an dein Herz.‹ –
Unaussprechlich gerührt sagte weinend Julius: ›Du siehst, o Geist der Liebe, also auch mich armen Blinden – o! komm in meine Seele, wenn sie allein ist, und wenn es warm und still auf meine Wangen regnet, und ich dazu weine und eine unaussprechliche Liebe fühle: ach du guter großer Geist, dich hab' ich gewiß bisher gemeint und geliebt! – Emanuel, sage mir noch viel, sage mir seine Gedanken und seinen Anfang.‹
›Gott ist die Ewigkeit, Gott ist die Wahrheit, Gott ist die Heiligkeit – er hat nichts, er ist alles – das ganze Herz fasset ihn, aber kein Gedanke; und Er denkt nur uns, wenn wir ihn denken. – – Alles Unendliche und Unbegreifliche im Menschen ist sein Widerschein; aber weiter denke dein Schauder nicht. Die Schöpfung hängt als Schleier, der aus Sonnen und Geistern gewebt ist, über dem Unendlichen, und die Ewigkeiten gehen vor dem Schleier vorbei und ziehen ihn nicht weg von dem Glanze, den er verhüllet.‹
Stumm gingen wir Hand in Hand den Berg hinab, wir vernahmen den Sturmwind nicht vor der Stimme unserer Gedanken, und als wir in unsere Hütte traten, sagte Julius: ›Ich werde den größten Gedanken des Menschen immer denken, unter dem Tönen meiner Flöte, unter dem Brausen des Sturms und unter dem Fallen des warmen Regens, und wenn ich weine, und wenn ich dich umarme, und wenn ich im Sterben bin.‹ – Und du, mein geliebter Horion, tue es auch.
Emanuel.«
*
Der kleine Erden-Kummer, die kleinen Erdengedanken waren jetzt aus Horions Seele geflohen, und er ging, nach einem betenden Blick in den geöffneten Sternenhimmel, an der Hand des Schlafs in das Reich der Träume hinein. – Lasset uns ihn nachahmen und heute auf nichts weiter kommen. –
Ende des zweiten Heftleins