Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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24. Hundposttag

Schminke – Krankheit Klotildens – Schauspiel Iphigenie – Unterschied der bürgerlichen und der stiftfähigen Liebe

Am 26sten Februar fand Viktor morgens bei Joachimen – die stolze Klotilde. Ich weiß nicht, war diese aus Zufall oder Höflichkeit oder deswegen da, um einer Person, die von Viktor mit einigem Interesse behandelt wurde, näher zu begegnen. Aber, o Himmel! die Wangen dieser Klotilde waren blaß, die Augen wie von einer ewigen Träne überhaucht, die Stimme gerührt, gleichsam gebrochen, und der bleiche Marmorkörper schien nur das Bild zu sein, das am Grabmal der entflognen Seele steht. Viktor vergaß die ganze Vergangenheit, und sein Innerstes weinte vor Sehnsucht, ihr beizustehen und aus ihrem Leben alle trübe Winterlandschaften wegzulöschen. »Ich befinde mich heute wie gewöhnlich«, sagte sie auf seine hofärztliche Frage, und er wußte nichts aus dieser unerwarteten Erbleichung zu machen – er konnte heute überhaupt nichts machen, nicht einmal einen Scherz oder eine Schmeichelei – seine in Mitleid zergangne Seele wollte keine Form annehmen – verwirrt war er auch. Klotilde ging bald; – und ihm wär's heute für ganz Großpolen (diese in der Eisfahrt der Völker- und Kronenwanderung schön sich abschleifende Eisscholle) nicht möglich gewesen, nach ihr noch eine halbe Stunde zu verbleiben.

Er hätte ohnehin gehen müssen; denn der Hofjunker Matthieu rief ihn zur Fürstin. Die Zeit war ungewöhnlich: er konnte es nicht erwarten und nicht erraten, was es gebe. Der Evangelist lächelte (das tat er überhaupt jetzt öfter über die Fürstin) und sagte: »den Fürsten und Fürstinnen sei bloß das Wichtige klein, und das Kleine wichtig, wie Leibniz von sich selber sagteEr irret, Leibniz sagte bloß: alles Schwere werd' ihm leicht, alles Leichte schwer. . Wenn ihnen die Krone und eine Haarnadel miteinander vom Kopfe fallen: so suchen sie vor allen Dingen die Nadel.«

Beiläufig! Es wäre Bosheit von mir gegen den edlen Matthieu, wenn ichs länger unterdrückte, daß er seit einiger Zeit gegen meinen Helden viel sanfter und inbrünstiger geworden – welches bloß an einem andern Menschen als er, ich meine an einem nachstellenden Schelm, ein Kains-Zeichen wäre und etwan so viel bedeutete wie das Wedeln eines Katzenschwanzes. –

Viktor erstaunte über die Bitte der Fürstin, – Klotilden zu heilen: das heißt, nicht über das Bitten – denn sie beehrte ihn öfters damit –, sondern über die Nachricht, daß Klotilde, auf deren Wangen er bisher die Äpfelblüten der Gesundheit auf Kosten seiner Seele in den Rennwochen gesehen, bloß taube Blüten getragen, nämlich bloß Schminke, die ihr die Fürstin wegen der Gleichblüte mit den übrigen roten Kupferblumen des Hofes hatte befehlen müssen. Agnola, die, wie ihr Stand, rasch war, ersuchte ihn noch, als er zur medizinischen Oberexaminationskommission ernennet war, sein Amt nur ja recht bald, schon heute sogleich im Schauspiele zu verwalten, wo er die Examinandin treffen werde.

Und er fand sie. Das Schauspiel war ein aus Eldorado gelieferter funkelnder Solitär, Goethes Iphigenie. Da er die Kranke wieder mit dem Abendrot der Schminke sah, worin sie auf fremdes Geheiß sogar unter dem Untergehen schimmern sollte – da er dieses stille, zum Altar gleichsam rot bezeichnete Opfer, das er und andere von seinen Fluren, von seinen einsamen Blumen weggetrieben unter die Opfermesser des Hofs, den Untergang seiner Wünsche stumm erdulden sah, und da er mit dem weiblichen Verstummen das männliche Toben verglich – und da Klotilde ihren Schmerz der Iphigenie geliehen zu haben schien mit der Bitte: »Nimm mein Herz, nimm meine Stimme und klage damit, klage damit über die Entfernung von den Jugendgefilden, über die Entfernung vom geliebten Bruder« – und da er sah, wie sie die Augen fester an die Iphigenie, wenn sie nach dem verlornen Bruder schmachtete, anzuschließen suchte, um die Ergießung und die Richtung derselben (nach ihrem eignen auf dem Parterre, nach Flamin) zu beherrschen: o dann hatten so große Schmerzen und ihre Zeichen in seinen Augen und Mienen einen solchen Vorwand nötig, wie die Allmacht des Genius ist, um mit Schmerzen der dichterischen Täuschung verwechselt zu werden.

Nie hat ein Arzt seine Kranke mit größerer Teilnahme und Schonung ausgefragt, als er Klotilden im nächsten Zwischenakte: er entschuldigte seine Zudringlichkeit mit dem Befehle der Fürstin. Ich muß vorher berichten, daß die Kranke – ob er gleich bisher ein fallender Petrus war, den manches Hahngeschrei mehr zum Weinen als zum Bessern gebracht – doch die zweite Person blieb, die er nie verleugnete, d. h. die er nie mit seinen jetzigen frivolen, launichten, kühnen, fangenden Wendungen anredete. Die erste Person, welche er zu hoch achtete, um mit seinem jetzigen Herzen an sie zu schreiben, – war sein Emanuel.

Klotilde antwortete ihm: »sie sei so wohl wie immer: das einzige, was an ihr krank sei,« (sagte sie lächelnd) »nämlich die Farbe, sei schon unter den Händen einer Wundärztin, die sie wider ihre Neigung bloß von außen heile.« Diese scherzhafte Erwähnung des von der Fürstin dekretierten Schminkens hatte die doppelte Absicht, ihr Schminken zu entschuldigen und den Doktor aus seinem weichherzigen Ernst zu bringen. Aber das erste war unnötig – da im Theater sogar Damen, die nie Rot auflegen, es beim Eintritt in die Loge auftrugen und beim Ausgang ausstrichen, um nicht an einem Baum voll glühender Stettineräpfel als die einzigen Quitten dazuhängen, und da überhaupt von dem ganzen weiblichen Hofstaat die mineralischen Wangen als Hof-Gesichtlivree gefodert wurden. Das zweite war vergeblich; vielmehr schwollen die Wunden seines Herzens durch zweierlei höher: durch jenes kalte, fast schwärmende Ergeben ins Verblühen – und durch etwas unaussprechlich Mildes und Weiches, was oft im weiblichen Gesicht das brechende Herz, das fallende Leben bezeichnet, wie das Obst durch weiches Nachgeben beim Druck seine Reife ansagt.

O ihr guten weiblichen Geschöpfe, macht euch der Kummer, da euch die Freude schon verschönert, vielleicht darum noch schöner und zu rührend, weil er euch öfter trifft, oder weil sich jener in diese kleidet? Warum muß ich hier die Freude über euer Erdulden und Verschleiern der Schmerzen so flüchtig bekennen, da jetzt vor meiner Phantasie so viele Herzen voll Tränen mit offnen Angesichtern voll Lächeln vorüberziehen und eurem Geschlechte das Lob erwerben, daß es sich dem Kummer so gern wie der Freude öffne, wie die Blumen, ob sie sich gleich nur vor der Sonne auftun, doch auch auseinandergehen, wenn diese der Wolkenhimmel überzieht? –

Viktor, ohne durch ihre Antwort irre zu werden, fuhr fort: »Vielleicht können Sie sich nicht von der schönen Natur entwöhnen und von der Bewegung – das Nachtsitzen, das ich selber empfinde« – – Sie ließ ihn nicht ausreden, um ihn daran zu erinnern, daß sie ja die jetzige Farbe von Hause an den Hof mitgebracht. Man sieht aber in dieser Erinnerung mehr Schonung als Wahrheit; denn sie wollte ihr Hofamt nicht gerade vor dem verklagen, der es ihr erlangen half. – – Viktor, der ihre Kränklichkeit so sicher sah, und doch keine Frage mehr vorzulegen wußte, stand stumm, verlegen da. Das eigne Schweigen löset den Zurückhaltenden die Zunge: Klotilde fing selber an: »Weil ich nichts weiß, was mir hier schadet, als die Schminke: so bitt' ich meinen Arzt, mir diesen Diätfehler zu untersagen« – d. h. die Fürstin zum Widerruf ihres Schminkedikts zu vermögen – »Ich mag gern«, fuhr sie fort, »doch einige Ähnlichkeit mit zwei so guten Freunden, Giulia und Emanuel, bekommen« – d. h. die blasse Farbe, oder auch die Meinung des baldigen Todes. – Viktor stieß ein hastiges Ja heraus und wandte das schmerzende Auge gegen den auffliegenden Vorhang.

Nie waren wohl die Szenen der Spieler und der Zuhörer sich ähnlicher. Iphigenie war Klotilde – der wilde Orest, ihr Bruder, war ihr Bruder Flamin – der sanfte helle Pylades sein Freund Viktor. Und da Flamin unten im Parterre mit seinem wolkigen Angesicht stand – (er kam nur, um seine Schwester bequemer zu sehen) –, so war es unserm und seinem Freunde so, als würd' er von ihm angeredet, als Orest zu Pylades sagte:

– Erinnere mich nicht jener schönen Tage,
Da mir dein Haus die freie Stätte gab,
Dein edler Vater klug und liebevoll
Die halb erstarrte junge Blüte pflegte;
Da du, ein immer munterer Geselle,
Gleich einem leichten bunten Schmetterlinge
Um eine dunkle Blume, jeden Tag
Um mich mit neuem Leben gaukeltest,
Mir deine Lust in meine Seele spieltest.

Klotilde fühlt' es ebenso schmerzhaft, daß man auf der Szene ihr Leben spiele, und kämpfte gegen ihre Augen... Aber da Iphigenie zu ihrem Bruder Orest sagte:

O höre mich! O sieh mich an, wie mir
Nach einer langen Zeit das Herz sich öffnet
Der Seligkeit, dem Liebsten, was die Welt
Noch für mich tragen kann, das Haupt zu küssen –
O laß mich, laß mich, denn es quillet heller
Nicht vom Parnaß die ewige Quelle sprudelnd
Von Fels zu Fels ins goldne Tal hinab,
Wie Freude mir vom Herzen wallend fließt
Und wie ein selig Meer mich rings umfängt –

– und da Klotilde traurig den größern Zwischenraum der Schmerzen und der Tage zwischen sich und ihrem Bruder übermaß: so quollen ihre großen, so oft am Himmel hängenden Augen voll, und ein schnelles Niederbücken verdeckte die schwesterliche Träne allen ungerührten Augen. Aber den gerührten, womit ihr naher Freund sie nachahmte, wurde sie nicht entzogen... Und hier sagte eine tugendhafte Stimme in Viktor: »Entdeck ihr, daß du das Geheimnis ihrer Verwandtschaft weißt – hebe von diesem wundgepreßten Herzen die Last des Schweigens ab – vielleicht welkt sie an einem Gram, den ein Vertrauter kühlt und nimmt!« – Ach, dieser Stimme zu gehorchen, war ja das wenigste, womit er sein unendliches Mitleiden befriedigen konnte! – Er sagte äußerst leise und aus Rührung fast unverständlich zu ihr: »Mein Vater hat es mir längst entdeckt, daß Iphigenie die Gegenwart ihres Bruders und meines Freundes weiß.« – Klotilde wandte sich schnell und errötend gegen ihn – er ließ, zur nähern Erklärung, seinen Blick zu Flamin hinabgleiten – erblassend sah sie weg und sagte nichts – aber unter dem ganzen Schauspiel schien ihr Herz weit mehr zusammengedrückt zu sein, und sie mußte jetzo noch mehr Tränen und Seufzer zerquetschen als zuvor. Zuletzt gab sie mitten in ihrer Betrübnis der Dankbarkeit ihre Rechte und sagte ihm für seine Teilnahme und sein Vertrauen, gleichsam im Sterben lächelnd, Dank. Er legte an den Spinnrocken des Gesprächs ganz neuen fremden Stoff, weil er unter dem Fortspinnen gern über den traurigen Eindruck, den sein Bekenntnis zu machen geschienen, heller und gewisser werden wollte. Er fragte nach Emanuels neuesten Briefen; sie versetzte: »Ich habe erst gestern während der ganzen Mondfinsternis an ihn geschrieben; er kann mir nicht oft antworten, weil seine Brust durch das Schreiben leidet.« – Da nun die Finsternis des 25sten Februars schon abends um 10 Uhr 20 Minuten anfing, um 11 Uhr 41 Minuten am stärksten und um 1 Uhr 2 Minuten erst aus war: so konnte Viktor als Arzt mit Gesetzpredigten und Gesetzhämmern über die medizinische Sünderin herfallen und es erhärten, nun sei es kein Wunder. Laß es bleiben, Doktor! Diese lieben Wesen gehorchen leichter dem Manne – den zehn Geboten – den Büchern – der Tugend – dem Teufel selber leichter als dem Diätetiker. Klotilde sagte: »Die Mitternachtstunden sind bloß meine einzigen Freistunden. – Und Maienthal kann ich ja nie vergessen.« – »Ach, wie könnte man das?« sagt' er. Die Musik vor dem letzten Akte und die tragische Stimmung und die Schmerzen begeisterten sie, und sie fuhr fort: »Trank man nicht Lethe, wenn man das Elysium betrat, und wenn man es verließ?«... (Sie hielt inne.) »Ich tränke keine Lethe, nicht im ersten Falle, noch weniger im letzten – nein!« Und nie wurde das Nein leiser, sanfter, gezogener gesagt. In Viktors Herzen zog ein dreischneidiges Mitleiden schmerzlich hin und her, da er sich die schreibende und weinende und vom Schicksal verspottete Klotilde in der Mitternacht unter dem vom Erdschatten zerstückten und bewölkten Mond vorstellte; er sagte nichts, er blickte starr in die trüben Szenen der Bühne und weinte noch fort, als sich auf ihr schon die frohen entwickelten.


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