Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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20. Hundposttag

Blatt von Emanuel – Flamins Fruchtstücke auf den Schultern – Gang nach St. Lüne

»Armer Sebastian,« – sagt' ich, da ich das heutige Felleisen aufmachte – »eh' ichs auf habe, weiß ich schon voraus, daß du den ganzen Tag nach einer solchen Nacht dich eingeschlossen, um dein verblutetes Angesicht gegen den Trauergarten zuzuwenden – daß du heute diese brennenden Gifttropfen lieber hast als den Wundbalsam, und daß du in den Spiegel schauest, um die stille schuldlose Gestalt, die er dir mit ihren Schnitten zeigt, wie eine fremde zu beweinen. – O wenn der Mensch nichts mehr zu lieben hat, so umfasset er das Grabmal seiner Liebe, und der Schmerz wird seine Geliebte. Vergebet einander den kurzen Wahnsinn der Klage: denn unter allen Schwächen des Menschen ist das die unschuldigste, wenn er, anstatt gleich dem Zugvogel sich über den Winter zu erheben und in heitere Zonen zu fliegen, gleich andern Vögeln vor diesem Winter niedersinkt und dumpf in seinem kalten Grame erstarrt.«

Viktor sargte sich sozusagen an jenem Tage in sein Zimmer ein, das er niemand als einer Tür- und Wandnachbarin der Schmerzen, Marien, öffnete, deren Gestalt ihm so sanft wie eine Abendsonne tat. Jedes andere weibliche Gesicht auf der Straße gab ihm Stiche; und der Bruder der verlornen Klotilde, den er am Fenster sah und heute gern umarmt hätte, lieh der verweinten Erinnerung neue Farben.... Leser! – die Leserin ist von selber billiger – lache nicht über meinen guten Helden, der da keiner ist, wo gerade die Stärke der Seele die Stärke des Schmerzens wird; laß mich es wenigstens nicht hören. Wem der sympathetische Nerve des Lebens, die Liebe, unterbunden oder durchschnitten ist, der darf schon einmal seufzen und sagen: alles kann der Mensch auf der Erde geduldiger verlieren als Menschen.

Und doch führte abends ein Zufall – nämlich ein Brief – alle seine Schmerzen noch einmal durch sein müdes Herz. Ein kleiner Brief von Emanuel – aber keine Antwort auf den erst abgesandten – kam an.

»Mein immer Geliebter!

Ich habe den Tag deines Eintritts in ein neues Lebens-Gewühl erfahren, und ich habe gesagt: mein Geliebter bleibe glücklich – die Ruhe der Tugend baue wie mit einer Brust sein Herz gegen den Frost und Sturm seines neuen Lebens ein – seine Schmerzen und seine Entzückungen seien nicht laut – er trauere sanft und still wie eine Fürstin im sanften Weiß, er genieße sanft und still, und im Tempel seines Herzens spiele die Lust nur wie ein ungehört-irrender Schmetterling in einer Kirche – und die Tugend schwebe vor ihm am höhern Himmel über unserer Sonne und wärme und erhelle und ziehe allmählich sein Herz!

Du willst, aus liebender Bangigkeit für mein entsinkendes Leben, nicht haben, daß ich oft schreibe: so wenig glaubst du, Lieber, meiner Hoffnung. O die ablaufenden Gewichte meiner Maschine fallen langsam und sanft auf das Grab hinauf – dieses Erdenleben kleidet sich in meiner Seele immer schöner an und schmückt sich zum Abschiede – dieser Nachsommer um mich, der wie eine Nebensonne neben dem Augustsommer steht, und der künftige Frühling nehmen mich der Natur schmeichelnd aus den Armen.

So überlaubt, so überblümt der Allgütige die Kirchhofmauer des Lebens, wie wir die Mauer eines englischen Gartens, mit bedeckendem Efeu und Immergrün und gibt dem Ende des Gartens den Schein eines neuen Gesträuchs. –

So steigt schon hier im dunkeln Leben der Geist, wie der Barometer schon unter dem trüben Wetter steigt, und wird den Einfluß des lichtern schon unter den Wolken innen.

– Ich folge aber deiner Liebe und schreibe dir nicht mehr als einmal im Winter, wo ich dir die große Nacht erzähle, in der ich meinem blinden Julius zum erstenmal sagte, daß ein Ewiger ist. – In jener Nacht, mein Geliebter, zogen mich die Entzückung und Andacht zu hoch, und das dünne Leben wollte reißen. Ich blutete lange. Im Winter, wo an die Stelle der Erden-Reize die des Himmels tretenDer Dezember begünstigt die Beobachtungen der Astronomen am meisten. , verbiete mir das Gemälde des Sommers nicht.

O mein Sohn! – ich mußte dir ja schreiben, weil meine Freundin Klotilde klaget, daß sie zum neuen Jahre aus der grünen Laube der Einsamkeit auf den drängenden Marktplatz des Hofes gezogen werde – ihre Seele ist dunkel von Trauer und streckt die Arme nach dem stillen Leben aus, das von ihr genommen wird. Ich weiß nicht, was ein Hof ist – du wirst es wissen, und ich beschwöre dich, erlöse meine Freundin und lenke die Hand ab, die sie aus St. Lüne ziehen will. Wenn du es nicht kannst: so verlasse am Hofe die geliebte Seele nicht – sei ihr heißester Freund – ziehe die Bienenstacheln der Erdenstunden aus ihrem milden Herzen. – Wenn kalte Worte wie Schneeflocken auf diese Blume fallen: so schmelze sie der Hauch der Liebe zu Tränen, die du rinnen siehest – Wenn über ihr Leben ein Gewitter aufsteigt: so zeig ihr den Engel, der auf der Sonne steht und über unsere Gewitter den Regenbogen der Hoffnung zieht – O dich, den ich so liebe, wird meine Freundin auch so lieben, und wenn mein Freund ihr sein sanftes Herz, sein weiches Auge, seine Tugend, seine von der Natur und von dem Ewigen bewohnte Seele aufdeckt: so wird er meine Freundin vor sich glücklich werden sehen, und das erhabne Angesicht, das vor ihm in Tränen und Lächeln und Liebe zerfließt, wird immer in seinem Herzen bleiben.

Emanuel.«

Siehe, da trat in dieser glühenden Minute die erhabne Gestalt, die er gestern gesehen, wieder vor sein Herz mit den wehmütig lächelnden Lippen und mit den Augen voll Tränen; und als die Gestalt vor ihm schweben blieb und schimmerte und lächelte, so stand seine Seele vor ihr wie vor einer Verstorbenen auf, und alle Wunden fingen wieder unter dem Erheben an zu bluten, und er rief: »So weiche denn nie aus meinem Herzen, du erhabne Gestalt, und ruh' ewig auf seinen Wunden!« – Die Trostlosigkeit, die Ermattung und der Schlaf überhüllten seinen Geist, so wie seinen letzten Gedanken, nächstens nach St. Lüne wieder zu gehen und ihre Eltern zu bereden, sie nicht an den Hof zu zwingen...

Der lange Schlaf des Todes schließt unsere Narben zu, und der kurze des Lebens unsere Wunden. Der Schlaf ist die Hälfte der Zeit, die uns heilt. Der erwachte Viktor, dessen Fieber der Liebe gestern durch die Schlaflosigkeit so sehr zugenommen, sah heute, daß sein Schmerz ungemäßigt war, weil seine Hoffnung unmäßig gewesen: – anfangs hatt' er gewünscht – dann beobachtet – dann vermutet – dann gesehen – dann ausgelegt – dann gehofft – dann darauf geschworen. Jeder kleine Umstand, sogar sein Anteil an Klotildens Ernennung zur Hofdame, hatte mildes Öl der Liebe in seine Glut gegossen. »O ich Tor!« sagt' er, mit den drei Schwur-Fingern an der Stirne, und wie alle kräftige Menschen war er um desto mutiger, je mutloser er gewesen. Ja, er fühlte sich auf einmal zu leicht; – denn eine zu schnelle Kur kündigt auch bei Seelen den Rückfall an. Ein neuer Trost war der gestrige Entschluß, daß er Klotilden einen Dienst erweisen – nämlich den Hofdienst ersparen wollte. Er besann sich noch über seinen Entschluß, sie wiederzusehen – Fühltest du etwa, Viktor, daß alles, was die Liebe tut, um zu sterben, nur ein Mittel ist, um wieder zu auferstehen, und daß alle ihre Epilogen nur Prologen zum zweiten Akte sind? – Aber ein Korb Äpfel auf dem Markte machte ihn in seinem Entschlusse wieder fest. Flamin trat nämlich herein. Er fing sogleich mit Fragen über das Verschwinden am Sonntag und mit Nachrichten der allgemeinen Unruhe über den teuern Flüchtling an. Viktor, durch die ganze Erinnerung wieder erhitzt und gegen den Bilderstürmer und Fiskal einer vergeblichen Liebe fast ein wenig erzürnt, gab ihm die wahre Antwort: »Du nahmest mir meine Freude zum Teil, und warum sollt' ich so spät erst aufs Theater treten?« Je stärker Flamin die liebende Bekümmernis der Pfarrerin und Klotildens über seine Unsichtbarkeit malte, desto peinlicher wurd' in ihm der Wirrwarr streitender Gefühle; ohne sein zurückrufendes Gewissen wär' es ihm jetzo leichter geworden, nun dem Freunde die hoffnunglose Liebe zu bekennen, als sonst die hoffende. – Zufällig wunderte sich Flamin über die Reife der Äpfel unten auf dem Markte und verlangte einige: ein Blitzstrahl fuhr nun vor Viktors Auge über die angebornen Fruchtstücke auf Flamins Schultern, die allezeit im Nachsommer während der Apfelreife erschienen, die er aber im bisherigen Taumel vergessen hatte. Der Himmel weiß, ob nicht dem Leser selber entfallen ist, daß Flamin dieses Lagerobst (sein Muttermal) auf dem Rücken trägt, das ein Sodoms- und Evas-Apfel für ihn werden kann. Konnte nicht Matthieu, der bisher an Flamin dieses Insiegel seiner fürstlichen Verwandtschaft nicht untersuchen konnte, sich auf einmal von allem überzeugen, was er aus dem Briefe an den Lord nur mit diebischen Blicken erraten konnte? Und konnt' er nachher nicht zum Fürsten gehen und da für alle unsere Freunde die giftigsten Suppen einbrocken? – Da aber das Vexierbild gewöhnlich in einer Woche verblich: so brauchte Viktor ihm nur ebenso lange den Träger desselben aus den Augen zu entrücken; er trug also seinem von der Natur tätowierten Freunde die Bitte vor, einmal gemeinschaftlich nach St. Lüne zu gehen, da sie vorgestern einander verfehlet hätten....

»Daraus wird nichts«, sagte Flamin, der die kleinere Delikatesse hatte, die Bitte um die Begleitung wegen seiner Vorwürfe in Le Bauts Garten nicht zu benützen, und darüber die größere vergaß, eine solche Rücksicht seinem Viktor gar nicht zuzutrauen.

Dieser, in einer leidenschaftlichen Eilfertigkeit, zwei solche Übel (Klotildens Hofamt und Matthieus Besichtigung) abzuwenden, griff zum sonderbaren Mittel, dem Hofjunker die Reise-Genossenschaft anzutragen. Denn sie sahen und sprachen einander täglich in Vorzimmern und Sälen – und wahrhaft freundlich, nur konnte keiner den andern ausstehen. – »Mit Freuden!« (sagte der Evangelist) »in dieser Woche hab' ich den Kabinettdienst – aber die nächste kann ich.«

Und gerade in der jetzigen wollt' es Viktor. – So viel schnelle Fehlschlagungen bestürzten diesen so, daß er, dessen sorg- und argloses Herz immer ein offener Brief mit fliegendem Siegel war, sich jetzt gegen seinen guten, teuren Freund Flamin verstellte – Er wollte wenigstens das Muttermal und dessen Deutlichkeit selber untersuchen. Er ging daher zu ihm und fand ihn gebückt-schreibend und mit einem glühenden Arbeit-Gesicht. Er beschwurs ihm, Erholung und Ferien wären ihm unerläßlich, und er sollte wie ein Setzer stehend arbeiten. Dann kam er allmählich auf Flamins vollblütige Brust und auf die Frage: ob sie ohne Stechen und Drücken seine Anspannungen vertrage? Dann langte er an dem Ziele an, und er schlug vor, Flamin solle sich in jedem Falle als Lungen-Ableiter ein burgundisches Pechpflaster auf die Schulterblätter legen lassen, ja er wollt' es ihm jetzt selber tun und ihm zeigen, wie alles zu machen sei. Dadurch hoffte er noch dazu um das Apfelstück zugleich einen Vorhang zu ziehen. Aber er verstellte sich so erbärmlich – denn ihm glückten unschuldige Intrigen gegen Mädchen und scherzhafte Verstellungen aus Satire, und mißlangen ernsthafte –, daß sogar Flamin aufhorchte und trocken versetzte: »er habe schon ein solches Pflaster seit zwei Tagen auf: und – Matthieu hab' es ihm geraten und selber aufgelegt.«

Da saß er. – Sebastian hatte weiter nichts zu tun, als in einer sonderbaren Kälte, die auf dem St. Lüner Wege nur durch einige Stiche von den alten dornigen Spätlingen seines verblühten Paradieses untermischt wurde, unbegleitet zum Kammerherrn Le Baut zu gehen, zu sagen, was zu sagen war, ins Pfarrhaus zu gucken und still wieder fortzuwandern ohne eine einzige – Hoffnung.

Liebe Fortuna! lieber geköpft als skalpiert, lieber ein Unglück als zehn Fehlschlagungen; ich meine: rädere mit deinem Rade den Menschen lieber von oben als unten hinauf! –

Viktor wußte zwar noch kein Wort von der Wendung, womit er zwei solchen Hof-Emigranten wie den Le Bauts, die nichts Heiligers kannten als die Latrie gegen einen Fürsten, die Dulie gegen dessen Minister und die Hyperdulie gegen dessen H--, Klotildens Standerhebung verleiden sollte; aber er dachte: »Ich tue, was ich kann.«

Klotildens Eltern nahmen ihn mit so viel Verbindlichkeit auf – d. h. mit so viel Höflichkeit des Körpers, mit so viel Puderzucker auf jeder Miene, mit so viel Violensirup auf jedem Wort – kurz, er fand den Bericht, den Matthieu von ihrer gefälligen Denkart für ihn an Flamin erstattet hatte, so gegründet, daß er keine bessere Gelegenheit hätte aussuchen können als diese, um sie von der Verpflanzung ihrer Tochter abzumahnen – hätten sie ihm nicht zu danken angefangen, daß er selber dieser Verpflanzer gewesen war. Sie hatten alles erfahren oder erraten und dankten ihm für seine Verwendung, der sie wahrscheinlich eigennützigere Absichten liehen, als die Tochter tat. Es wäre lächerlich gewesen, in Klotildens Gegenwart ihr selber Flachsenfingen zu widerraten und das auszureden, wofür man ihm dankte; indes versucht' er doch etwas. Er sagte zum Kammerherrn: »seine Tochter verdiene mehr, einen Hof zu haben, als einen zu zieren; ja er verdiene bei der ganzen Sache höchstens – Entschuldigung, da Klotilde gewiß den Umgang ihrer Eltern dem Hofzwang vorziehe: in diesem Falle versprech' er, den Zeiger bei dem Fürsten wieder zurückzustellen und alles ohne Nachteil zu berichtigen.« Der Vater hielt diese Äußerung für ein sonderbares Ablehnen des Dankes, die Stiefmutter für irgendeine Spitzbüberei, die Tochter für – Worte. Sie sagte ein wenig kurz: »Ich glaube, es war leicht, zwischen Ungehorsam und Abwesenheit zu wählen.« Denn so unbiegsam sie für ihre Stiefmutter war, so willig kam sie den Winken ihres Vaters nach, den sie mit allen seinen Schwächen und als die einzige ihm auf der Erde gewogne Seele zärtlich liebte. Viktor ließ es endlich, obwohl gezwungen, gut sein; aber warum ergibt sich der Mensch schwerer in die Zukunft als in die Vergangenheit? – Die Kälte der Tochter war natürlicherweise nicht kleiner (aber aufrichtiger) als die Wärme der Eltern.... und gerade die Kälte erfrischte sein glühendes Gehirn. Diese kalte gleichgültige Gestalt war wie ein Schleier über die erhabne liebende gedeckt, die immer mit ihrem schwermütigen Blicke vor ihm schwebte, und die er nicht aushielt. Ohne Bewußtsein einer Schuld, zufrieden mit seinem Gehorsam gegen Emanuels Bitte, zog er mit seinen vom Wohlstand erdrückten Gefühlen ab, kälter gegen die Kalte. – Er wäre ein schlechter Liebhaber gewesen, wenn er gewußt hätte, was er haben wollen; denn sonst hätt' er von Klotilden, sogar im Falle ihrer Liebe gegen ihn, keine außerordentliche Wärme gegen einen Medikus begehren können, den ihr die Eltern aufzwangen (welches einem Manne noch mehr schadet als Häßlichkeit), der so unhöflich ohne ein Geburttag-Carmen aus dem Garten fortjagte, und der sie in die sieben vergoldeten Türme des Hofdienstes trotz ihrem Widerwillen, trotz allem Anschein ihres künftigen Gefängnisfiebers hineinschob. – Aber für das offne Lehn seines Herzens war eben dieser Ärger gesund....

Wenn mein guter Leser einmal von einer zu teuren Freundin einen ewigen Abschied zu nehmen hat: so nehm' er ihn zweimal. – Der erste versteht sich ohnehin, wo er in der Trunkenheit des Schmerzes, im Blutsturz des Herzens und der Augen erliegt, und wo das geliebte Bild sich mit Flammen in die weiche Seele brennt; aber dann wird er die Abgeschiedne nie vergessen können. Daher muß er einen zweiten nehmen, der schon darum kälter ist, weil heftige Empfindungen kein dal segno der Wiederholung leiden, ja er muß (wenn er am allerklügsten sein will) sie nach dem ersten tragischen Abschied an einem öffentlichen Platze (z. B. bei einer Krönung), wo sie kalt scheinen muß, zu sehen suchen; ihr frostiges Gesicht überschneiet dann ihr heißes in seinem Kopfe, und mein guter Leser hat doch wieder so viel Verstand beisammen, daß er weiß, was er in den Hundposttagen lieset...

– Wahrlich, wenn Jean Paul nicht fleißig schreibt, so tuts keiner – es schlug schon ein Uhr, und er hielts für ein Viertel auf Zwölfe – meine Schwester will schon vor dem aufgeschwänzten rauchenden Hecht, der wie die Schlange der Ewigkeit an seinem Schwanze frisset, die Hände falten und sagt immerfort: »Es wird ja alles kalt« – »Das soll es auch, nach so glühenden Kapiteln,« (sag' ich) »wenn du den Leser und den Autor meinst« – Der Posthund springt schon, indem ich noch über dem zwanzigsten Kapitel sitze, mit dem einundzwanzigsten in der Stube herum – und doch will ich verhungern, wenn ich nicht vor dem Essen noch, wie die sieben Weisen, sieben goldne Sprüche sage:

1. Wenn man beim Stiche der Biene oder des Schicksals nicht stille hält, so reißet der Stachel ab und bleibt zurück.

2. Jämmerliche Erde, die drei, vier große oder kühne Menschen verbessern und erschüttern können! Du bist ein wahres Theater: auf dem Vorgrund sind einige fechtende Spieler und einige Zelte aus Leinwand, im Hintergrund wimmelts von gemalten Soldaten und Zelten! –

3. Staaten und Diamanten werden jetzt, wenn sie Flecken haben, in kleine zerschnitten – und da

4. die Menschen in großen Staaten und die Bienen in großen Stöcken Mut und Wärme einbüßen: so heftet man jetzt an kleine Länder andre kleine Länder, wie an Bienenstöcke Koloniestöcke.

5. Der Mensch hält sein Leben für das der Menschheit, wie die Bienen das Tropfen ihres Bienenstandes, wenn schon die Sonne wieder scheint, für Regen nehmen und nicht ausfliegen;

6. aber er begeht täglich einen kleinern Irrtum: anfangs hält er für eine Ewigkeit (für diese aristotelische Zeit-Einheit des Schauspiels des Seins) seine gegenwärtige Stunde – dann seine Jugend – dann sein Leben – dann sein Jahrhundert – dann die Dauer des Erdballs – dann der Sonne ihre – dann der Himmel ihre – dann (das ist der kleinste Irrtum) die Zeit....

7. An den Menschen sind vorn und hinten, wie an den Büchern, zwei leere weiße Buchbinderblätter – Kindheit und Greisenalter; und an den Hundposttagen auch: siehe das Ende dieses Tages und den Anfang des nächsten.


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