Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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Mit dieser Seele, die in diese Gegend wie in das Gebeinhaus verweseter Tage hineingeschauet hatte, kehrte er zum freudigen Klube zurück. Der Wechsel mit Kälte und Wärme hatte seine Ähnlichkeit mit dem Punschverein fortgesetzt, der unterdessen fortgetrunken. Alle und er betraten die Grenze des Trunkes, wo man in einem Atem lacht und weint; aber es freuet mich, daß der Mensch doch wahre Nahrung des Geistes und Herzens (wenngleich aus keiner Klosterküche oder Klosterbibliothek, doch) aus einem – Klosterkeller ziehen kann; – daß er die Gesundheit seines – Witzes trinkt; – daß ihn ein jeder Kelch (nicht bloß auf dem Altar) geistlich stärkt, und daß er, wenn die Schlangen ihre Kronen beim Trinken abnehmen, seine darunter aufsetzt – und daß die Weinrebe Tränen nicht bloß selber oder aus den Augen eines katholischen Marienbildes vergießet, sondern auch aus denen eines Mannes, der von ihr getrunken. Der Klub fiel darauf, Parlamentreden zu halten. – Der Kaplan schlug Kasualreden vor. – Viktor sprang auf einen Stuhl und sagte: »Ich halte den Leichensermon auf mich selber – ich habe hier schon in meiner Kindheit gepredigt.«

Alle tranken noch einmal, selber die Leiche, und diese perorierte dann so:

»Geliebteste und traurigste Zuhörer und Mitbrüder!

Ein Mensch, tiefgebeugte Zuhörer, kann in die zweite Welt hinabsinken, ohne daß ein Trauerpferd nachspringt, so wie er in diese einläuft, ohne daß ein Paradegaul vorantrabt. – Wir unsers Orts haben sämtlich den Leichentrunk voraus eingenommen, um alles auszuhalten; denn im Nassen dehnt sich der Mensch aus, und im Trocknen dorret er ein, ich meine durch feste Speisen, gleich dem Blutigel, der außer dem Wasser vier Zoll kürzer ausfällt. Und ich hoffe, ich und das tiefgebeugte Trauergefolge haben dem Hochseligen zu Ehren getoastet genug.

Und so seh' ich ihn denn vor mir«...

– Hier winkte er dem Pfarrer, seine Schlafmütze hinzuwerfen, damit etwas Totes daläge, an das sich sein Affekt wenden könnte –

».. vor mir da liegen den unvergeßlichen Herrn Hofmedikus Sebastian Viktor von Horion, und gestorben ist er und will hinab unter das Erde-Zudeck, in die Stätte voll langer Ruhe. Was sehen wir noch vor uns ruhen als die Täucherglocke, worin die bedeckte Seele in dieses Dunstleben hereinsank – als die trockne Schale eines Kerns, der erst in einem zweiten Planeten gesäet wird – als seine Hülle, als, sozusagen, die weggeworfne Schlafmütze seines erwachten Geistes?

Besehet, weinende Zuhörer, diese figürliche blasse Mütze! Hier liegt sie, der Kopf ist heraus, der darin sann – unser Viktor ist dahin und schweigt, der so oft sprach von Mathematik, Klinik, Heraldik, Kautelarjurisprudenz, medicina forensis, Sphragistik und ihren Hülfwissenschaften. – Wir haben viel an ihm verloren – wer tröstet Sie, vortrefflicher Herr v. Schleunes, über diese Einbuße, und so die andern Herren auch? – Man hat aber in diesem närrischen Leben, das wohl eine Art von Vor-Tod sein mag, gar nicht so viel Zeit, um ordentlich zu trösten. Nicht bloß Kirchenstühle sind oft auf Leichensteine gebauet, sondern auch Fürstenstühle – die vollends – und selber Kanzeln.

Sollte wohl deine Seele, hochseliger Sebastian, in ihrem mittlern Zustande nach dem Tode etwas von ihrem Körper wissen, aus dem sie wie aus ihrem Hut-Futteral ausgepackt ist, und von der letzten Ehre, die wir hier ihrer Kapsel antun? Falls sie noch Bewußtsein hat und noch ein Auge für diese Stube, worin sie so oft war: so wird es sie freuen, daß die heiligen drei Könige, wovon der Mohr der Kato der Ältere ist, um ihren abgezognen Madensack herumstehen und den Sack kaum fahren lassen wollen; es muß ihr gefallen, daß wir sämtlich klagen: wo ist seinesgleichen in der gemeinen Chemie – in der Physiognomik und Physiognomie – in den neuern Sprachen – in der Bänderlehre, aus der er eine Liebe für alle Arten von Bändern schöpfte? – Wer suchte weniger als er strengen Zusammenhang der Gedanken, der den Deutschen verleitet, gute durch schlechte zu verkitten und mehr Mörtel als Quader zu brauchen? – Nicht einmal der Hof – daher er nicht gern hinging, wenn dort Spaß vorfiel – brachte ihn von einem gewissen ernsthaften gesetzten Wesen ab, das er bis zu einem lächerlichen trieb, auf welches letzte er allezeit aus war. – – Beim Himmel! durch das Stundenglas des Todes, durch das er wie durch ein Taschenperspektiv guckte, brach ihm alles so klein hervor, daß er nicht wußte, weswegen er ernsthaft sein sollte – ich will nicht gesund dastehen, wenn ihm nicht im besagten Glase alle Stufen zum Throne so winzig vorkamen wie die daumenlange Holztreppe des Laubfrosches in seinem Einmachglase.

Er war ein recht guter Prediger, besonders ein Leichenredner, daher ihn auch ein recht guter Prediger zu Gevatter bat, und das Patchen steht mit da und weint seines Orts über Leibschmerzen.... Nur große Hofprediger, die in der Hauptkirche die fürstliche Leichenpredigt halten, können sich dessen rühmen, was ich zu meinem größten Vergnügen jetzo höre, daß das Leichengefolge lacht, und das ist mir ein Pfand, daß ich tröste....

Und doch hat einer, der auf dem Totenbette liegt, mehr Trost als einer, der nur neben dem Bettfuß steht. Das Souterrain der Erdrinde bewohnen lauter stille ruhende Menschen, die voreinander zusammenrücken; aber auf dem Souterrain stehen ihre unruhigen Freunde und wollen hinunter in die geliebten Arme aus Staub; denn die Leinwand auf dem Toten-Auge ist ja ein Fallhut der erkalteten Stirn, der Sarg ist der Fallschirm des Unglücklichen, und das Leichentuch der letzte Verband der weitesten Wunden – ach warum fällt der müde Mensch lieber in den kurzen als in den langen ungestörten sichern Schlaf? – So nimm denn, guter Sebastian, den Totenschein als ein ewiges Friedensinstrument aus der Hand der sanften Natur...

Aber beim Henker! wo haben wir denn den Toten? was soll die weiße Mütze da unten? – Ich sehe die Leiche im Spiegel gegenüber – sie muß wo stehen – ich muß sie holen.« – –

– Mit einem Schauer seines Ich sprang er herab – ein erhabner Wahnsinn ging in den Stufen der Wehmut, des Lächelns, des Erstarrens sein Angesicht auf und ab. Er lief hinter eine spanische Wand, die vor seine Statue aus Wachs gestellet war – und trug den wächsernen Menschen heraus – und warf ihn hin wie einen Leichnam – und ein Schleier war über den Leichnam gewickelt – und er stieg verzerret auf den Stuhl, um fortzufahren:

»Das ist die Nachtleiche – der verschlackte, der verkohlte Mensch – in solche starre Klumpen sind die Ich geklebt und müssen sie wälzen – Warum bebet ihr über mich, Zuhörer, weil ich bebe, daß ich dieses umgeworfene Menschenbild so starr anblicke? – Ich seh' ein Gespenst um diesen Leichnam schweben, das ein Ich ist.... Ich! Ich! du Abgrund, der im Spiegel des Gedankens tief ins Dunkle zurückläuft – Ich! du Spiegel im Spiegel – du Schauder im Schauder! – Ziehet den Schleier vom Leichnam weg! Ich will den Toten keck anschauen, bis es mich zerstört.«...

– Jeder schauderte nach; aber ein Engländer zog den Totenschleier weg..... Starr, sprachlos, ergriffen, erbebend sah Viktor auf das enthüllte Gesicht, das auch lebendig um seine Seele hing; aber endlich ergossen sich Tränen über seine kalten Wangen, und er sprach leiser, wie wenn sich sein Herz auflöste:

»Seht, wie der Leichnam lächelt! Warum lächelst du denn so, Sebastian? Warst du etwan so glücklich auf der Erde, daß dein Mund in einer Entzückung erkaltete?... Nein, glücklich warst du wohl nicht – die Freude selber war oft für dich ein Samengehäuse des Schmerzes – Und du sagtest selber recht oft: ich bin schon zufrieden, und ich verdiene kaum meine Hoffnungen und Wünsche, geschweige ihre Erfüllung. –

Flamin! schaue dieses umgelegte Gesicht hier an – es lächelt aus Freundschaft, nicht aus Freude – Flamin, diese erloschene Brust war über ein Herz gewölbt, das dich ohne Grenzen liebte und bis in den Tod.

Und das ist im ganzen das einzige Unglück des armen Seligen. An und für sich und seiner originellen Lage und Laune wegen hätte der gute Bastian schon gut genug fahren können; aber er war zu weich zur Freude – zu unbesonnen – zu heiß – fast zu phantastisch. Er wollte gar lieben (bei seinen Lebzeiten), und es war nicht zu tun. Die Blumengöttin der Liebe ging vor ihm vorbei, sie versagte ihm die Verklärung des Menschen, das Melodrama des Herzens, das goldne Zeitalter des Lebens.... Kalte Gestalt, richte dich auf und zeige den Menschen die Tränen, die aus einem weichen Herzen fließen, das vor Liebe bricht und keine findet!...

Wenn unser Horion nicht glücklich war: so mag es ihm freilich gar wohl tun, wenn er schon am Mittage des Lebens seine Mittagruhe halten darf, wenn er sterben und, losgemacht vom heißpochenden Herzen, gestillt vom Todesengel, sich so frühe legen darf unter das lange Leichentuch, das der Menschen-Genius über ganze Völker, wie der Gärtner das Verdeck über den Blumenflor, gegen Regen und Sonne zieht – gegen die Glut unsrer Freuden, gegen den Guß unsers Wehs.... Ruhe du auch, Horion!«...

– Seine Wehmut bei diesen Worten aus dem alten Traume war so übermannend, daß er aus ihr – zur Entschuldigung oder zur Erholung – in eine fast wahnsinnige Laune übertrat.

»Inzwischen ist der sämtliche Spaß halb gegen meinen Geschmack, den ich am Hofe ausbilden wollte. Das Leben verlohnets gar nicht, daß man seinetwegen den guten Tod auszankt oder beräuchert und erhebt. Die Furcht zu sterben ausgenommen, gibts nichts Jämmerlicheres als die Furcht zu leben. Leute von wahren Talenten sollten sich betrinken, um das Leben aus dem rechten Licht zu sehen und es uns nachher zu melden. – Am allerelendesten aber (so daß das menschliche Leben dagegen noch passabel ausfällt) ist das bürgerliche, auf das ich jahrelang losziehen könnte, bloß weil es nichts hat als lange Tröge für den Magen, aus denen die Ketten für die Phantasie herabhängen – weils den Menschen zum Kleinstädter umsetzt – weils unser fliehendes Dasein aus einem Fruchtacker zur Säemaschine macht – weils einen fatalen Dunst ausdampft, der sich dick vor das Grab und über den Himmel ansetzt, und in dem sich der arme Expeditionrat von Mensch schwitzend, käuend, feist, beschmieret, ohne einen warmen Sonnenstrahl für sein Herz, ohne ein Streiflicht für sein Auge herumtreibt, bis ihn der Fall-Bock des PflasterersEr nennt den Tod und den Staat einen Pflasterer, obwohl in verschiedenem Sinn. auf den morastigen Drehplatz einrammt. – Den einzigen Nutzen hat so ein armer Marmorstein, aus dem ein Pflaster statt einer Statue gemacht wird, daß er das ganze Menschenleben für etwas recht Erhebliches ansieht, das er nicht genug preisen könne. – Inzwischen könnte doch auch uns guten Narren das Äußere nicht so klein vorkommen, wenn nicht etwas ewiges Großes in uns wäre, womit wirs zusammenhalten – wenn nicht ein Sonnenlicht in uns wäre, das in dieses Opertheater so hineinfällt, wie das Taglicht zuweilen, wenn eine Türe aufgeht, in die nachtlichte Schaubühne – wenn wir nicht, wie Menschen in alten Auferstehgemälden, halb in der Erde steckten, halb aber außer ihr – und wenn dieses Eisleben keine Aiguille percéeSo nennt man eine hohe Felsenpyramide neben dem Montblanc, in der ein Loch ist, wodurch man den Himmel sieht. Für mich ists eine sanfte Phantasie, mir neben dem höchsten Berg, der so viel Himmel als Erde nimmt, einen kleinern vorzustellen, der sich in eine kleine Aussicht auftut, die unserem Auge eine blaue Perspektive reicht, aus welcher unsere Hoffnung die Wölbung des Himmels bauet. wäre und keine Öffnung in ein ewiges Blau hinaus hätte.... Amen!

Ich hab' aber der leidtragenden Versammlung noch zu melden, daß ich sie – in den ersten April geschickt; denn der Tote, dessen Leichenrede ich halte, bin ich wirklich selber.«...

Aber hier umarmten ihn alle seine Freunde, um seinem geistvollen Wahnsinne Schranken zu setzen – und um ein so heftiges echt-britisches Herz an ihres zu drücken. Die Umarmung erwärmte alle seine kalten Wunden sanft, und er war geheilt, obwohl erschöpft; das fremde Leben wuchs in seines hinein, und die Liebe überwand den Tod. Die Engländer, in deren Augen die Tränen einer doppelten Trunkenheit waren, konnten sich kaum abreißen vom humoristischen Liebling. –


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