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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Die Gräber der Großlamas.

Bände wären dazu erforderlich, um ein Kloster wie Taschi-lunpo in seinen Einzelheiten zu beschreiben, seine unentwirrbare Anhäufung steinerner Gebäude, die bald durch Passagen, Gänge, Treppen und Terrassen miteinander in Verbindung stehen, bald durch tiefe schmale Gäßchen oder kleine offene Plätze voneinander getrennt sind; seine vielen Tempelsäle mit einem unzähligen Heer von Götterstatuen; seine Mönchszellen, Vorlesungssäle, Grabkapellen, Küchen, Fabriken, Vorrats- und Materialspeicher; seine verwickelte Organisation sowohl in geistlichen wie in weltlichen Angelegenheiten, seine Feste und seine Zeremonien. Eine solche Beschreibung könnte man aber ohne gründliche Kenntnis der lamaistischen Hierarchie und Kirche nicht liefern, und diese Kenntnis läßt sich nur durch das eifrige Studium eines ganzen Lebens erlangen. Denn wer in die Tiefe der Mysterien des Lamaismus eindringen will, muß erst den Buddhismus und sein Verhältnis zum Brahmanismus und Hinduismus beherrschen und den Einfluß verstehen, den der Schivaismus auf die Religion der Tibeter ausgeübt hat, sowie auch die Elemente der uralten Bon-Religion mit ihrer Fetischverehrung und ihrem Schamanismus kennen, die sich eingeschlichen und die lamaistische Form des Buddhismus verzerrt hat. Solch eine Aufgabe liegt daher aus allerlei Gründen außerhalb des Rahmens dieses Buches, nicht zum wenigsten schon deshalb, weil ich nur sehr dunkle Begriffe vom innersten Wesen des Lamaismus habe. Denjenigen, welche den Lamaismus gründlicher studieren wollen, möchte ich besonders folgende Werke empfehlen: Koeppen, »Die lamaische Hierarchie und Kirche«; Waddell, »The Buddhism of Tibet«, und Grünwedel, »Mythologie des Buddhismus in Tibet und in der Mongolei«. In dem folgenden Text habe ich diesen Werken mehrere historische und rituelle Aufklärungen entnommen. Ich werde mich daher auch in der Folge damit begnügen, nur die malerische Seite der Sache und die äußeren Anordnungen, die ich mit eigenen Augen zu sehen Gelegenheit gehabt habe, zu schildern. Ich werde die Namen auch phonetisch schreiben, ohne alle die stummen Konsonanten, die denen, welche dem Studium der tibetischen Sprache nicht viel Zeit gewidmet haben, ihre gewissenhafte Übersetzung ganz unverständlich machen.

Man stelle sich Taschi-lunpo nicht als einen einzigen riesigen Gebäudekomplex vor, sondern als eine Klosterstadt innerhalb einer Ringmauer, eine Stadt von mindestens hundert verschiedenen Häusern, die sehr unregelmäßig gebaut und gruppiert sind, entweder in Reihen zusammenhängen oder durch ein Labyrinth von schmalen Gassen getrennt werden (Abb. 122). Auf der Südseite des Tsangpo ragt ein felsiger Vorsprung des Gebirges ostwärts in das Tal des Njang-tschu hinein; unterhalb und im Osten dieses Vorgebirges liegt Schigatse in dem breiten Tal auf dem nördlichen linken Ufer des Flusses, während das Kloster auf dem unteren Teil des Südabhanges jenes Bergrückens erbaut ist und also mit seiner ganzen Front nach Süden schaut. Wenn man von der im Süden des Klosters liegenden Ebene aus diese Anhäufung weißer Häuser betrachtet, so bemerkt man jedoch sofort einige auffallende Züge, die die Orientierung erleichtern. Ganz rechts sieht man eine hohe, dicke Mauer ohne Fenster, von deren oberem Rand während gewisser Sommerfeste große Malereien zum Beschauen ausgehängt werden. Ein wenig weiter links erhebt sich über der ganzen Klosterstadt die weiße, italienisch vornehme Fassade des Labrang mit ihrer gediegenen, einfachen und geschmackvollen Architektur, und vor und unter dem Labrang fesseln fünf ganz gleich aussehende Gebäude den Blick, die massiven Türmen mit goldenen Dächern in chinesischem Stile gleichen. Sie bilden eine von Ost nach West gehende Linie und sind die Grabkapellen der fünf früheren Taschi-Lamas. Um sie herum und unter ihnen wird der übrige Raum innerhalb der Mauer von all den anderen Häusern eingenommen, und wo immer man sich auf den platten Dächern befindet, das Erste und das Letzte, was man erblickt, sind immer jene Mausoleen. Denn Taschi-lunpo hat auch ein System sozusagen überirdischer Plätze und Straßen, nämlich die mit niedrigen, gemauerten Geländern versehenen Plattformen der Dächer. In den tiefen Gassen verliert man jedoch, wenn man mit ihnen nicht sehr vertraut ist, alle Möglichkeit zur Orientierung, denn man sieht nur die nächsten hohen Mauern, die entweder aus einer glatten Wand bestehen, oder mit großen länglichen Fenstern in schwarzen Rahmen versehen sind (Abb. 123). Die Mauern neigen sich alle ein wenig zurück, so daß alle Gassen zwischen den Häusern, unten auf dem Boden, am schmälsten sind. Das Pflaster ist unregelmäßig, abgetreten und glatt; einige Gassen und offene Plätze sind überhaupt nicht gepflastert. Aber alle diese Bauwerke sind gediegen und solide gebaut und darauf eingerichtet, sowohl der Zeit als dem rauhen Klima Tibets Trotz zu bieten.

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122. Ansicht von Taschi-lunpo. Skizze des Verfassers.

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123. Klostergasse in Taschi-lunpo, links ein Haus mit Mönchszellen.

Taschi-lunpo wurde im Jahre 1445 n. Chr. von Ge-dun-dup, dem Brudersohn des Tsongkapa, gegründet, der im Jahre 1439 als erster Großlama der Gelugpasekte eingesetzt worden war, obgleich er noch nicht den Titel Dalai-Lama trug. Der jetzige Großlama von Lhasa, Ngavang Lobsang Tubdän Gjamtso, der sein Amt jetzt 34 Jahre bekleidet hat, ist der dreizehnte in der Reihe. Mit den hohen Zahlen der römischen Päpste können sie sich also durchaus nicht messen. Der erste Pantschen Rinpotsche von Taschi-lunpo hieß Pantschen Lobsang Tschöki Gjaltsan und bekleidete seine Papstwürde von 1569 bis 1662, also ganze 93 Jahre, sicherlich ein Weltrekord! Seine Grabkapelle, Tschukang-schär oder das östliche Grab, ist es, nach der wir nun zuerst unsere Schritte richten.

Ihre Fassade ist dem rechteckigen Hof der Festspiele zugekehrt; das Eingangsportal liegt in gleicher Höhe mit der obersten Zuschauerplattform, und über der Tür hängen große weiße Markisen unter einer symbolischen Dekoration: einem Rad zwischen zwei vergoldeten Hirschen (Abb. 124, 125). Das Dach besteht aus vergoldetem Kupferblech und wird in der Mitte durch eine Plattform, die mit einem Geländer versehen ist, in zwei Absätze geteilt.

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124. Fassade des Mausoleums eines Taschi-Lama in Taschi-lunpo.

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125. Fassade des Mausoleums des ersten Taschi-Lama. Im Vordergrund der Festspielhof.

Das Innere des Mausoleums ist ein kubischer Raum, der nur vom Tageslicht erhellt wird, das durch das Portal eindringt und sich wirkungsvoll mit dem blaßgelben Schein der Butterdochte einer Reihe silberner Tassen und Messingschalen vermischt. Die mittelste Schale ist größer als die übrigen, gleicht einem Kessel und hat einen Deckel, durch dessen rundes Loch aus der zerfließenden Butter eine Opferflamme aufsteigt. Vor dieser Rampe von Butterlampen steht auf einem etwas höheren Absatz des Altartisches eine Reihe pyramidenförmiger Figuren, die aus Butterteig gebacken, auf der Vorderseite bunt angemalt sind und verschiedene lamaistische Symbole vorstellen. Hinter ihnen befindet sich noch eine Reihe Schalen und Becher von massivem Gold und Silber, Geschenke reicher Pilger. Sie enthalten reines Wasser, Mehl, Gerste, Reis und andere eßbare Opfergaben.

Das Grabmonument selbst ist ein Tschorten, der in seiner Form an eine Pyramide mit Stufen, Leisten und Absätzen erinnert, und dürfte 6 bis 7 Meter hoch sein (Abb. 126, 127). Die ganze Vorderseite ist mit Gold und Silber in Ornamenten und Arabesken und einer Menge eingesetzter Edelsteine verziert. Ganz oben thront ein meterhoher »Gao«, der einem Schilderhaus mit einer Front von Lotosblättern ähnelt, und darin sitzt eine Statue des Toten, die die gewöhnliche Mitra trägt, in der Tsongkapa stets abgebildet wird und die wir während der Festspiele in so vielen Exemplaren sahen. In die erhobenen Hände der Statue hat man eine Menge langer, seidener »Kadachs« gelegt, die sich strahlen- und girlandenförmig wie eine dünne, leichte Draperie auf beiden Seiten des Monuments herabsenken. Dieses ist übrigens von einem Wald von »Tankas«, Tempelfahnen, umgeben, die in Lhasa und Taschi-lunpo gemalt worden sind und verschiedene Szenen aus dem Leben des Religionsstifters und der Kirchenväter darstellen. Zwischen und hinter ihnen hängen auch Kulissen von Standarten und bunten Zeugstücken herab, die unten spitz zulaufen und alt, verstaubt und dunkel sind.

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126, 127. Inneres der Mausoleen zweier Taschi-Lamas in Taschi-lunpo. Skizzen des Verfassers.

Dieser Tschorten mit seiner so reich dekorierten Vorderseite und seiner bunten Umgebung steht frei in der würfelförmigen Kapelle, und ein schmaler, pechfinsterer Gang führt um ihn herum; auf der Hinterseite sieht man mit Hilfe einer Papierlaterne den massiven, gemauerten Sockel, auf dem das Monument ruht. Die Pilger umwandern es in diesem Gang, je öfter, desto besser, und die orthodoxen »Gelugpa«, Glieder der »Tugendsekte«, gehen dabei stets in der Richtung des Zeigers einer Uhr, d. h. man biegt beim Hineingehen auf der linken Seite ein. Die Mönche, die uns als Führer dienen, halten darauf, daß auch wir uns nicht gegen diese Vorschrift versündigen.

Jetzt überschreiten wir wieder den Hof der Festspiele und werden durch enge, finstere Korridore langsam nach einer etwas helleren Galerie hingeführt, über deren Balustrade man ungehindert in einen »Dukang« hinunterschauen kann, in einen Saal, in dem fünfmal am Tage Gottesdienst abgehalten wird. Auf dem glatten Mosaik des steinernen Fußbodens liegen Reihen roter, sehr verbrauchter Matratzen, auf denen die Mönche während der Zeremonie mit gekreuzten Beinen sitzen. In der Mitte der einen kurzen Seite steht ein hoher Papststuhl, der eine Rückenlehne und Armlehnen hat und mit gelber Seide überzogen ist – es ist der Sitz des Taschi-Lama, der bei bestimmten Gelegenheiten hier predigen und Unterricht erteilen soll.

Darauf führte man uns nach dem Jalloa-tschampa, einem heiligen Raum mit einem Vorhang aus einem Netz von eisernen Ringen, durch das man einige dunkle Götterstatuen und eine Anzahl chinesischer Porzellanschalen schimmern sieht. Erhellt durch Butterlampen und behängt mit langen, seidenen Tüchern, steht hier eine Bildsäule der Dolma, einer der beiden Gemahlinnen des Srong Tsan Ganpo, des ersten tibetischen Königs, die beide in Tibet sehr populär und in den meisten Lamatempeln verewigt sind. Von der hier befindlichen Statue wurde gesagt, daß sie einst mit einem Mönche Worte der Weisheit gewechselt habe. In einer anderen Abteilung finden wir Tsongkapas mit seidenen Tüchern verhüllte Statue wieder, und auch eine Bildsäule des zweiten Taschi-Lama, des Pantschen Lobsang Jische.

Kandschur-lhakang heißt der Bibliotheksaal, wo die 100 oder 108 Folianten umfassende Bibel der Tibeter, der Kandschur, verwahrt, studiert und erklärt wird (Abb. 128). Sie enthält eine Sammlung kanonischer Werke, die im neunten Jahrhundert nach dem Sanskritoriginal übersetzt worden sind. Der Saal ist so dunkel wie eine unterirdische Krypta; seine rotangestrichenen Holzsäulen sind mit minutiösen, künstlerisch bemalten, uneingerahmten Bildern, »Tankas«, behängt, und auch auf den Wänden ist ein Gewimmel bunter Götter dargestellt. An der oberen kurzen Seite des Saales sieht man eine Reihe Altäre, in deren verschiedenen Nischen man Götterstatuen und Abbildungen der Taschi-Lamas und anderer vornehmer Priester findet. Auch vor ihnen brennen Butterlampen und blanke, glänzende Messingschalen sind bis an den Rand mit Opfergaben gefüllt. Die Beleuchtung ist spärlich und mystisch wie überall in Taschi-lunpo; es hat den Anschein, als ob die Mönche der Dunkelheit bedürften, um den Glauben an das Unglaubliche und Übernatürliche, das hier gelesen und studiert wird, zu verstärken.

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128. Studierstunde in der Bibliothek Kandschur-lhakang in Taschi-lunpo. Skizze des Verfassers.

In der Gasse, die längs der Vorderseiten der Mausoleen hinführt, nach Westen weiterschreitend, sehen wir in das Grabmal des zweiten Oberpriesters hinein, und darauf in das des dritten. Sie hießen Pantschen Lobsang Jische (1663–1737) und Pantschen Lobsang Palden Jische (1737–1779). Ihre Grabkapellen sind genau nach dem Muster der schon beschriebenen erbaut, aber zwischen den Portalsäulen des dritten hängt ein Schild, das in erhabenen Buchstaben den Namen des Kaisers Kien Lung trägt (Abb. 129). Koeppen gibt in seinem Buche interessante Mitteilungen über die Beziehungen des großen Mandschukaisers zu diesem Taschi-Lama. Kien Lung (1736–1795) hatte schon vom Jahre 1777 an den Großlama durch mehrere Schreiben eingeladen, nach Peking zu kommen, aber dieser witterte Unrat und suchte sich auf alle Weise zu entschuldigen. Doch der Kaiser überredete ihn so lange, daß der Prälat schließlich, im Juli des Jahres 1779, aufbrechen mußte. Nach dreimonatiger Reise erreichte er das Kloster Kum-bum. Überall, wo die heilige Karawane durchzog, versammelten sich Pilgermassen, die den Großlama anbeteten und ihm Geschenke darbrachten. In Kum-bum überwinterte er und mußte täglich mehrere tausend Abdrücke seiner Hand auf Papier liefern, welche Reliquien ihm gut bezahlt wurden. Ein einziger reicher Häuptling soll ihm 300 Pferde, 70 Maulesel, 100 Kamele, 1000 Stück Brokatzeug und 150 000 Mark in Silber geschenkt haben. Von Prinzen, Fürsten, Beamten und Soldaten und schließlich auch dem Oberhoflama des Kaisers, Tschantscha Chutuktu, geleitet, erreichte er nach weiterer zweimonatiger Reise Kien Lungs Sommerresidenz, wo er mit großartigem Pomp und Staat und glänzenden Festen empfangen wurde. Der Sohn des Himmels geruhte, sich von dem Heiligen in den Wahrheiten der Religion unterweisen zu lassen. Während der Kaiser die Gräber seiner Ahnen in Mukden besuchte, hielt der Taschi-Lama seinen festlichen Einzug in Peking, wo alle, von den kaiserlichen Prinzen bis zum Straßenpöbel, ihn sehen und seinen Segen erhalten wollten. Sogar die kaiserlichen Favoritinnen bestanden eigensinnig darauf, Seine Heiligkeit sehen zu dürfen, bei welcher Gelegenheit er stumm und regungslos hinter einem durchsichtigen Vorhang sitzen blieb und die Augen niederschlug, um nicht durch den Anblick der schönen Frauen befleckt zu werden.

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129. Portal zum Mausoleum des dritten Taschi-Lama in Taschi-lunpo. Skizze des Verfassers.

Aber plötzlich nahm all dieser weltliche Glanz ein klägliches Ende. Der Taschi-Lama erkrankte und starb, und man behauptete, daß der mächtige Kaiser ihn habe vergiften lassen, weil er ihn in Verdacht gehabt, daß er mit der Absicht umgehe, sich mit Hilfe des Generalgouverneurs von Indien von der chinesischen Oberhoheit zu befreien. Denn gerade an diesen dritten Taschi-Lama hatte Warren Hastings sechs Jahre vorher Bogle als Gesandten geschickt. Wenn unser Freund, der jetzige Taschi-Lama, daran gedacht hätte, würde er vielleicht seinen Besuch in Indien lieber unterlassen haben. Der Kaiser stellte sich indessen untröstlich, ließ die Leiche einbalsamieren und über drei Monate an dem goldenen Sarkophag Gottesdienst halten, worauf der Tote den langen Weg nach Taschi-lunpo, der zu Fuß sieben Monate in Anspruch nahm, auf Menschenschultern getragen und dort in dem prächtigen Mausoleum, dem wir jetzt einen flüchtigen Besuch abgestattet haben, aufgestellt wurde.

Unsere nächste Visite gilt dem sogenannten Namgjal-lhakang, dem Tempel des Tsongkapa, einem großen Pfeilersaal mit einer gigantischen Bildsäule des großen Reformators; vor seiner Statue und anderen, die ihr Gesellschaft leisten, stehen die bekannten Batterien von Lampen, Tempelgefäßen und lamaistischen Sinnbildern (s. bunte Tafel). Der Tempelwächter (Abb. 139), der in einem kleinen Verschlag in der Eingangshalle haust, ist ein jovialer Siebziger, der sechzehn Jahre in der Mongolei gelebt hat und stets herauskommt, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen, sobald ich auf dem Wege von oder nach den westlichen Gebäuden Taschi-lunpos an dem Tempel des Tsongkapa vorbeigehe.

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139. Pförtner im Tempel des Tsongkapa. Skizze des Verfassers.

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Namgjal-lhakang mit Tsongkapas Bild in Taschi-lunpo. Aquarell des Verfassers.

Tsongkapas Name ist in der lamaistischen Kirche ebenso berühmt und wird ebenso hochgeehrt wie der des Buddha selber; ich kann mich nicht entsinnen, daß in einem einzigen der vielen Tempel, die ich in Tibet besucht habe, seine Statue gefehlt hätte. Er wurde im Jahre 1355 in Amdo geboren, und seine Geburt war selbstverständlich von allerlei übernatürlichen Umständen begleitet. Im Alter von drei Jahren beschloß er, sich von dieser Welt abzuwenden, und zu diesem Zweck schnitt seine Mutter ihm das Haar ab, das die Wurzel und der Ursprung des berühmten Wunderbaumes in Kum-bum (der Tempel der »hunderttausend Bildsäulen«) wurde, auf dessen Blättern Pater Huc mit eigenen Augen heilige Schriftzeichen gelesen hat. Leider fand mein eigener Besuch in Kum-bum im Jahre 1896 im Winter statt, als der heilige Baum entlaubt dastand. Nach gründlichen Studien reifte in Tsongkapa der Entschluß, den stark verwilderten und entarteten Lamaismus zu reformieren, und in mehreren öffentlichen Disputationen widerlegte er, ganz wie Luther, alle seine Gegner. Die Zahl seiner Anhänger wuchs schnell, und im Jahre 1407 gründete er bei Lhasa das Kloster Galdan, dessen erster Abt er wurde, und darauf die beiden ebenso großen und ebenso berühmten Klöster Brebung und Sera. Tsongkapa führte den Zölibat unter den Mönchen seiner Sekte ein, die er »Gelugpa«, die »Tugendsekte«, nannte und deren Kennzeichen die gelbe Mütze wurde. Denn Gelb war die heilige Farbe der alten buddhistischen Mönche. Unter anderen Geboten, die er einführte, war auch die Vorschrift, daß die tugendhaften Mönche sich zu gewissen Zeiten in die Einsamkeit zurückziehen sollten, um sich in Meditation zu versenken, zu studieren und sich auf Disputationen vorzubereiten. Heutzutage sind die Gelbmützen in Tibet viel zahlreicher als die Rotmützen. Tsongkapa starb im Jahre 1417 und liegt in Galdan begraben, wo sein Sarkophag oder »Tschorten« frei in der Luft schwebt. Er wird als eine Inkarnation des Amitabha, aber zugleich auch als eine des Mandschuschri und des Vadschrapani betrachtet, und er lebt also noch in meinem Freunde, dem jetzigen Taschi-Lama, fort, nachdem er vorher der Reihe nach auch die fünf Taschi-Lamas, deren Gräber wir jetzt gerade besuchen, durchlebt hat. Es ist also leicht zu verstehen, daß sein Ansehen gerade hier in Taschi-lunpo außerordentlich groß sein muß.

Als wir gerade vor der Statue saßen und Tsongkapas freundlich lächelnde Gesichtszüge unter der üblichen spitzen Mitra betrachteten, erschienen einige jüngere Lamas mit Früchten, Süßigkeiten und Tee, nebst Grüßen vom Taschi-Lama, der die Hoffnung aussprechen ließ, daß es mich nicht zu sehr ermüden möge. In der halben Dämmerung der Seitenwände lasen einige sitzende Mönche laut aus heiligen Schriften vor, die auf kleinen Schemeln vor ihnen lagen; dabei hielten sie in der Hand einen »Dortsche«, das Sinnbild der Kraft, und eine Glocke, mit der sie dann und wann klingelten (Abb. 115). Als wir wieder in das Sonnenlicht hinaustraten, ging der indische Elefant des Taschi-Lama in der Gasse spazieren; er ist der einzige seiner Art in der ganzen Gegend und soll das Geschenk eines reichen Kaufmanns sein, der ihn vor acht Jahren von Siliguri hierhergebracht hat.

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115. Lesender Lama mit Dortsche (Donnerkeil)und Drilbu (Gebetglocke). Skizze des Verfassers.

Auch der vierte Taschi-Lama, Pantschen Tenbe Nima (1781–1854), hat eine Grabkapelle, die denen seiner Vorgänger gleicht. Zu beiden Seiten des Eingangstors sehen wir die in doppelter Lebensgröße auf die Wände der Vorhalle gemalten Bilder der »vier großen Könige«, Namböse, Jukorschung, Pagjepo und Tschenmigsang, deren Aufgabe es ist, die Dämonen fernzuhalten und ihnen jede Störung des Tempelfriedens unmöglich zu machen. Sie sind in grellen Farben gemalt und sehen, mit Schwert, Bogen und Spieß bewaffnet und mit einem Gewirr von Wolken, Wellen und züngelnden Flammen, Tigern, Drachen und andern wilden Tieren umgeben, geradezu abscheulich aus. Kaum in einem einzigen Tempel Tibets fehlen diese vier Bilder am Eingang, und auf jeder der vier Seiten der fünf Grabmale ist einer dieser vier Schutzkönige in Relief dargestellt.

Unsere Führer sagten mir, dieses Mausoleum sei in demselben Jahre, in dem der vierte Taschi-Lama gestorben, erbaut worden. An beiden Seiten der eigentlichen Grabkapelle liegt ein kleinerer Tempelsaal, links der Jamijang-lhakang mit mehreren Götterbildern und einer Altarfront, deren vergoldete Sphinxe rote Flügel auf dem Rücken, dem Nacken und den Tatzen tragen. Rechts liegt der Galdan-lhakang mit einem Bild des Tsongkapa, das aus den Kronenblättern einer Lotosblume hervorwächst, wodurch seine himmlische Abstammung gekennzeichnet wird.

Schließlich richten wir unsere Schritte nach der Grabkapelle, in der der fünfte Taschi-Lama, der Pantschen Tenbe Vangtschuk (1854–1882), den letzten Schlaf schläft. Da dieses Mausoleum erst einige zwanzig Jahre alt ist, sieht es neuer und sauberer aus als die anderen, und es ist außen und innen besonders reich und prachtvoll verziert. Die Vorderseite seines Tschorten glänzt von Gold, Türkisen und Korallen; gegen den reinen lamaistischen Klosterstil aber stechen ein Glaskronleuchter aus Indien und einige gewöhnliche Glaskugeln grell ab, letztere aus blauem Glas und Spiegelglas – billiger Kram der Art, die man in Gärten auf dem Lande oder vor Dorfgasthäusern findet. Sie hängen an einer Querleiste vor dem Sarkophagbehälter. Auf dem Altartisch stehen die üblichen Opfergefäße, von denen viele ganz besonders elegant und geschmackvoll sind. Eine große Schale auf hohem Fuß ist von Gold und enthält einen brennenden Docht. Rechts hängen an Nägeln einfache Gaben von armen Pilgern, billige Kadachs, die Gazebinden ähneln, Armringe, Halsbänder, Amulettfutterale, Rosenkränze, alles von wohlfeilster Sorte und alles Geschenke von Wallfahrern, die in überwallender Begeisterung die unansehnlichen Schmuckgegenstände, die sie zufällig an sich tragen, als Opfergabe darbringen. Hier sehen wir auch auf einer rot und gelb eingerahmten Steintafel den Abdruck eines Kinderfüßchens; eine detaillierte Beschreibung in erhabenen Buchstaben sagt uns, daß es ein Abdruck des Fußes des jetzigen Großlamas ist, als er ein Kind von sechs Monaten war. Diesem Grab dürften die Gaben in größerer Menge zufließen als den übrigen, denn es gibt noch viele, die sich des Toten erinnern.

Die ersten vier Gräber waren mit vielen massiven, komplizierten Schlössern zugesperrt gewesen, wurden aber meinetwegen geöffnet und, als wir sie verließen, wieder verschlossen. Aber die Grabkapelle des fünften Großlamas stand dem Publikum offen, und dort kam und ging ein Strom von Pilgern. Die uns begleitenden Mönche wollten sie fortjagen, aber ich erlaubte nicht, daß sie gestört wurden; es war ja auch interessant, ihre Andacht eine Weile zu beobachten. » Om mani padme hum« murmelnd, stehen sie mit gesenktem Haupt vor dem Grabmonument, fallen auf die Knie, lassen die Hände auf dem steinernen Fußboden nach vorn gleiten, bis sie der Länge nach mit der Stirn auf dem Boden liegen; dann erheben sie sich wieder und wiederholen diese religiöse Gymnastik immer von neuem. Hinterher verbeugen sie sich vor den Götterbildern, legen eine Handvoll Reis oder Mehl in die Opferschalen und gehen in dem dunkeln Gang um das Monument herum.

In jedem dieser Tschorten ist der Großlama ganz oben in der Pyramide hinter seinem eigenen Bilde beigesetzt. Von der Straße, die sich an der Vorderseite der Mausoleen hinzieht, steigt man einige steinerne Stufen hinauf und gelangt durch ein Portal in einen gepflasterten Vorhof, den eine auf Holzsäulen ruhende Galerie umgibt. Innerhalb der Säulen sind die Wände mit Fresken verziert, die lächelnde Götter und tanzende Göttinnen, die an Nymphen und Odalisken erinnern, Personen aus der Geschichte und der Legende, wilde Tiere, allegorische Figuren und die kreisrunde Scheibe, die ein Bild des Universums mit den Welten der Götter, der Menschen und der Dämonen ist, darstellen. Die Wände im Vorhof des fünften Grabes zeichnen sich durch ihre frischen, lebhaften Farben von kräftiger, dekorativer Wirkung aus, während die der anderen mehr von der Zeit mitgenommen und teilweise so ausgelöscht sind, daß man sie wohl kaum noch restaurieren könnte. Wenn das Alter der ganzen bemalten Fläche seinen Stempel gleichmäßig aufgedrückt hat, so gewinnt das Gemälde dadurch, denn die Farben werden gedämpfter und ruhiger, aber das Schlimme ist, daß oft der ganze Putz abgefallen ist. Vor jeder Grabkapelle hängt eine große Bronzeglocke.

Die Vorhöfe sind zu eng, als daß die geschmackvollen Portale sich in all ihrer Schönheit geltend machen könnten; man hat sie zu dicht vor sich oder sieht sie in zu starker Verkürzung. Aus dem Vorhof des fünften Grabes führt eine hölzerne Treppe in die Vorhalle hinauf (Abb. 130). Die Treppe besteht aus drei Abteilungen und hat also vier Geländerstangen, von denen die beiden mittelsten unten und oben durch Quertaue abgesperrt sind. Die Mitteltreppe darf nämlich nur der Taschi-Lama selbst betreten, während die beiden äußeren von Krethi und Plethi benutzt werden dürfen und infolgedessen auch schon sehr abgenutzte, beinahe ausgehöhlte Stufen haben. Wenn man die Treppe heraufkommt, hat man das Grabtor vor sich und rechts und links die kurzen Querseiten der Vorhalle mit den Bildern von zweien der vier Geisterkönige, während die zwei andern an beiden Seiten der massiven Pfosten des Tores auf die Wand gemalt sind. Die Vorhalle ist nach dem Vorhof zu offen, und ihre reich geschnitzten Frontleisten und Balken werden von zwei polygonalen, roten Holzsäulen mit geschnitzten und buntbemalten, länglichen Kapitälen getragen. Vor dem Eingangstor hängt eine grob gemusterte, schwere Draperie. Die sehr massiven, schweren Türfüllungen sind dunkelziegelrot lackiert, glänzen wie Metall und sind mit Beschlügen verziert, schildförmigen Platten und Ringen von gelbem Messing, das die Zeit teilweise schon geschwärzt hat. An den Ringen der Schilder hängen ein paar Quasten (s. bunte Tafel). Wenn die beiden Türen aufgeschlagen werden, hat man die geheimnisvolle Dämmerung der Grabkammer und die flackernden Lampen vor sich.

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130. Treppe zum Mausoleum des fünften Taschi-Lama in Taschi-lunpo. Skizze des Verfassers.

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Eingang zum Grab des fünften Taschi-Lama in Taschi-lunpo. Aquarell des Verfassers.

Meine erste Runde in Taschi-lunpo war nun beendet, und übersättigt von seltsamen Eindrücken begaben wir uns, als es dämmerte, wieder nach unseren Zelten in Kung Guschuks Garten hinunter. Es war früher als gewöhnlich dunkel geworden, denn im Westen ballte es sich wieder zum Unwetter zusammen, und noch ehe wir zu Hause ankamen, hatten wir es über uns.


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