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Drittes Kapitel.
Der Weg nach Leh.

Spät endete der gestrige Tag, spät wurde ich am Morgen geweckt, und die Sonne stand schon hoch am Himmel, ehe wir zum Abmarsch fertig waren. Vier Stunden dauerte es, bis das ganze Lager abgebrochen, alles verstaut und die Tiere beladen waren; aber bald ging es wohl schneller, wenn nur erst alle wußten, was sie zu tun hatten.

Der lange Zug setzt sich in Bewegung, ein Trupp nach dem anderen verschwindet zwischen den Bäumen ( Abb. 16). Auf beiden Seiten des Weges schimmern ländliche Höfe und Dörfer zwischen Weiden, Walnuß- und Aprikosenbäumen hindurch, und kleine Kanäle rieseln leise zwischen den Reisfeldern, auf denen gejätet wird; die Arbeiter schreiten in Reih und Glied einher und singen ein rhythmisch anfeuerndes Lied; der Gesang erleichtert die Arbeit, denn bei einem bestimmten Refrain wird das Unkraut ausgerissen, und keiner will hinter dem anderen zurückbleiben.

Abb. 16 fehlt im Buch

Eine Brücke führt über den Sind, dessen graublaues Wasser in mehreren gewaltigen Armen brausend und reißend dahinströmt. Nun geht der Weg durch das Flußtal aufwärts, denn wir biegen nach Osten ab, und bald verschwindet Kaschmirs weiter Talboden mit seinem ebenen Gelände hinter uns. Die Steigung ist schon merklich, und man freut sich ihrer, denn der Tag ist warm. Die Bäume werden spärlicher, wir reiten immer größere Strecken in der prallen Sonne, aber alles ist grün und reich bewässert, die linde Luft schwillt von Leben und Zeugungskraft, und das ganze Tal wird erfüllt vom Rauschen des Flusses und dem dadurch geweckten Echo. Schon zweimal war ich diese Straße gezogen, doch beide Male lag das Sindtal in Schnee gehüllt: jetzt herrschte der Sommer über Tiefen und Höhen.

Bei Kangan schlugen wir unsere Zelte in einem dichten Gehölz auf. Diesmal ging das Aufschlagen und Abstecken des Lagers in seine Viertel und Straßen ziemlich schnell. Der »Numberdar« des Dorfes verschaffte uns alles, was wir brauchten – unsere eigenen Vorräte wollten wir nicht eher anrühren, als bis jegliche Verproviantierung an Ort und Stelle unmöglich war. Die vier Kulis, die das Boot getragen hatten, wurden von vier anderen abgelöst, die es bis nach Gunt hinauf weitertragen sollten.

So hatten wir wieder eine Tagereise hinter uns; alle freuten sich des rührigen, freien Lebens. Aber der Tag schritt vorwärts, die Schatten wurden länger, die Sonne verschwand eine Stunde früher als gewöhnlich, da die Berge sie verdeckten, und nachdem wir eine Weile den Klagetönen der bellenden Schakale gelauscht hatten, gingen auch wir zeitig zur Ruhe. Stärker als vorher tönte in der Stille der Nacht das Rauschen des Flusses; sein Wasser kam von jenen Höhen, die das Ziel meiner Wünsche waren; aber weit sehnsuchtsvoller sollten dereinst meine Augen diesen spielenden Wasserwirbeln auf ihrem Wege nach dem Meere hin folgen. – –

Als ich in den kühlen Morgen hinaustrat, war die übrige Karawane schon längst aufgebrochen, und das Lager sah leer und verlassen aus. Der neue Tag ließ sich drohend an, denn es regnete kräftig, und der Donner grollte dumpf zwischen den Bergen; aber es duftete nach Morgen und Sommer, nach Wald und feuchtem Grün, und nach einem reichlichen Frühstück brach auch meine Abteilung auf, zu der Robert und Manuel gehörten.

Bald war die Sonne da, aber mit der Wärme kamen Schwärme von Fliegen, die unsere Tiere peinigten und sie unruhig machten. Der Weg führte zum Flusse hinab und zwischen Laubbäumen auf seinem rechten Ufer fort. Auf dem Kamm der linken Talseite boten noch einige Schneestreifen der Sommersonne Trotz, auch war der Wald drüben viel dichter als auf unserer Seite. Hier und da erhob ein Nadelbaum seine dunkle Krone über den helleren Laubwald. Bei dem Dorfe Mamer, wo ein Mühlrad im Wasserfall rauschte und ein offener Laden die Wanderer zu einigen Erfrischungen einlud, blieb Khairullah eine Weile in Gesellschaft einer qualmenden Wasserpfeife zurück. Bei Gandschevan überschritten wir den Fluß auf drei schwankenden Brücken. Im Hintergrund des sich verengenden Tales erhob sich ein mit Schnee bedeckter Gebirgsstock. Die Landschaft war prächtig, und ich genoß das in doppelter Bedeutung wahrhaft erhebende Reiten. Manchmal mußte unsere Karawane haltmachen, wenn ein Maulesel seine Last abgeworfen hatte; aber heute gingen die Tiere bereits ruhiger, und ich sah schon mit Besorgnis dem Tage entgegen, wo sie lammfromm werden, ja, durch keine Mahnrufe mehr zum Weitergehen zu bewegen sein würden.

Das Lager bei Gunt war schon in Ordnung, als wir dort anlangten. Meine erste Fürsorge gilt immer den jungen Hunden; während der ersten Marschstunde am Morgen winseln sie und finden die Bewegungen des Maulesels sehr ungemütlich, aber bald schläfert der wiegende Gang sie ein. Kaum hat man sie aus dem Weidenkorbe herausgeholt, so liegen sie sich schon in den Haaren, und dann tummeln sie sich den ganzen Abend zwischen den Zelten umher und knabbern und reißen an allem.

Selbst bei 11,2 Grad Wärme in der Nacht empfand ich nach der Hitze der Ebene ein solches Kältegefühl, daß ich davon erwachte und mich mit einem Pelz bewaffnete. Am Morgen hatte der Fluß bloß +6,8 Grad. Talaufwärts ward die Aussicht immer schöner. Bald ritten wir durch schmale Engpässe, bald steile, halsbrechende Abhänge hinan, bald über Talweitungen mit Ackerfeldern. Dann aber rückten die senkrechten Felswände bedenklich zusammen, und in den Weiden- und Erlengebüschen herrschte dichter, kühlender Schatten. Das Brausen der Stromschnellen übertönte alle anderen Laute. Der Fluß war jetzt kleiner geworden, nachdem wir so viele Nebenflüsse hinter uns gelassen hatten, aber auch um so imposanter in seinem wilden Ungestüm und den gewaltigen Massen seiner stürzenden Flut; das Wasser, grünblau und weiß, schäumend und aufwallend, kochte und toste zwischen gewaltigen Blöcken von dunkelgrünem Schiefer. In einer Schlucht dicht am Ufer lag noch ein tauender Lawinenkegel, und höher oben zeigten sich an den Abhängen dünne Wasserfälle, die Streifen von glänzend weißer Ölfarbe glichen; erst wenn man ihnen näher kam, erkannte man die Bewegung des Wassers und die Kaskaden, die sich in feinsten Sprühregen auflösten.

Dann erweiterte das Tal sich wieder, und nur Nadelholz bewaldete seine Abhänge. Wir lagerten bei Sonamarg, von dessen Dakbungalow aus ich vor einigen Jahren in einer Winternacht mit Laternen und Fackeln die waghalsige Wanderung über die Lawinenkegel des Sodschi-la-Passes angetreten hatte.

Der Gouverneur von Kaschmir hatte mir einen Tschaprassi mitgegeben, und auf ein Wort dieses Machthabers standen alle Lokalbehörden vor uns Kopf. Aber einigen Mitgliedern unserer Karawane konnte man nicht leicht alles recht machen. Bas Ghul und Khairullah erwiesen sich als zwei ausbündige Krakeeler, die bei jeder Gelegenheit Streit mit den anderen anfingen. Bas Ghul betrachtete es offenbar als seine Hauptaufgabe, einen Kuli zu seinem persönlichen Dienst abzurichten, und Khairullah hielt sich für viel zu vornehm, um beim Ausladen zu helfen. Die anderen beklagten sich täglich über Plackereien seitens der Afghanen, und ich sah auch bald ein, daß diese »Eskorte« uns mehr Verdruß als Nutzen bringen werde. Aber auch unter den anderen, den Kaschmiris und den Männern aus Poonch, gab es Räuber im kleinen, so für den Hausbedarf, und die Radschputen erhielten Befehl, aufzupassen, daß nichts von unserer Habe »fortkomme«. In Baltal (Abb. 20) gab es großen Spektakel, da Leute aus Sonamarg behaupteten, meine Diener hätten im Vorbeiziehen eine Kasserole gestohlen. Sie fand sich denn auch richtig bei den Poonchmännern; die Bestohlenen erhielten ihre Kasserole zurück und dazu eine Entschädigung als Buße.

siehe Bildunterschrift

20. Der Weg nach Baltal.

Der Weg von Baltal über den Sodschi-la-Paß sah jetzt ganz anders aus als im Jahre 1902. Damals lag das ganze Land unter einer Schneedecke, und man rutschte fast den ganzen Weg auf vereisten Abhängen hinunter. Jetzt war ein halbes Tausend Arbeiter damit beschäftigt, die Straße zum Passe hinauf auszubessern. Sie taten ihren Fleiß durch dröhnende Sprengschüsse kund, und von Zeit zu Zeit kamen beängstigend große Steinblöcke in unserer unmittelbaren Nähe heruntergetanzt.

Unsere schwerbeladene Karawane sollte nun über den Paß (3500 Meter) hinüber. Langsam und vorsichtig schreiten wir harte und schmutzige, aber glatte Lawinenkegel hinauf, in die der Verkehr einen schmalen, gewundenen Pfad gemeißelt hat. Es sickert und tropft in der porösen Masse, und hier und dort fließen kleine Bäche aus Schneetoren hervor. Auf eine Strecke guten Weges folgt ein steiler Abhang längs einer Felswand, eine richtige Treppe mit Stufen von querliegenden Balken; für beladene Tiere war es wirklich eine starke Zumutung, sich hier hinaufzuarbeiten. Hin und wieder glitt denn auch eines der Tiere aus, und ein Maulesel war drauf und dran abzustürzen – ein Fall von der steilen Böschung in den unten im tiefen Hohlwege rauschenden Fluß wäre Vernichtung gewesen, man hätte keine Spur von dem Verunglückten wiederfinden können; von unserem hochgelegenen Aussichtspunkt sah der Fluß wie ein Faden aus. Nachdem einige Maissäcke über Bord gegangen waren, wurden die Tiere einzeln von je zwei Mann geführt.

Langsam schritt der Zug aufwärts. Unaufhörlich ertönten durchdringende Rufe, wenn eines der Tiere zu verunglücken drohte. Doch endlich waren wir über den schlimmen Paßknoten hinweg und wanderten nun in festem Schnee über ebeneres Gelände. Aus einem mächtigen Lawinenkegel auf der Südseite floß das Schmelzwasser teils dem Sind, teils dem Dras zu. Letzterer wuchs erstaunlich schnell zu einem wasserreichen Flusse an, längs dessen Ufer unser Pfad, schmal und schlüpfrig, hinführte. Über einen wildtosenden Nebenfluß, dessen empörte Fluten wie graue Lehmsuppe aussahen, führte eine tückische Brücke. Einer der Maulesel brach durch, und nur im letzten Augenblicke konnte seine Last gerettet werden. Dann wurde die Brücke für die Nachkommenden mit flachen Steinen ausgebessert.

Der Dras ist ein imposanter Fluß; seine Wassermasse stürzt über zahlreiche Blöcke hinab, die in sein Bett gefallen sind; das gibt einen dumpfen, mahlenden Ton. Und dieser mächtige Fluß ist nur einer der tausend Nebenflüsse des Indus!

In rieselndem Regen erreichten wir Matajun und hatten kaum das Lager aufgeschlagen, als die Karawanenleute einander schon in die Haare gerieten. Wir holten hier einen von mir gemieteten Trupp von 30 Pferden mit Furage ein; ihre Führer hatten Befehl erhalten, möglichst schnell nach Leh zu ziehen, nun aber stellte sich heraus, daß sie mehrere Tage stillgelegen hatten und hierfür noch extra bezahlt sein wollten. Die Behörden in Srinagar hatten zwar ihr Bestes getan, um mir die Reise nach Leh zu erleichtern, aber in Kaschmir herrschte eben keine Ordnung. An Robert hatte ich eine prächtige Hilfe; er tat alles, um die aufrührerischen Männer zu beruhigen. Ich selber sah schon jetzt ein, daß hier nur ein Radikalmittel Abhilfe schaffen werde, und wartete ungeduldig auf eine passende Gelegenheit dazu. Ungefähr drei Viertel der Poonchmänner meldete sich nun krank, sie wollten reiten, das war ihre ganze Krankheit. Die Maulesel sollten unbeladen gehen, um ihre Kräfte zu schonen; gerade deshalb hatten wir ja in Srinagar Pferde gemietet. Einige Männer waren auch von unseren temperamentvollen Eseln mit Fußstößen traktiert worden und kamen jetzt, um sich Medizin gegen Eseltritte zu holen!

So ging es weiter nach Dras und Karbu. Auf der Höhe oberhalb Dras kommt man an den berühmten steinernen Buddhabildern vorüber, und dann geht es in dem schmalen, malerischen Tale nach Karbu hinunter. Der Fluß wächst immer mehr und bietet ein großartiges Schauspiel; kleine Nebenflüsse stürzen wie silberne Bänder zwischen den Felsen herab und breiten sich unten über den Schuttkegeln aus. Die Blüten des Hagedorns nicken rosig und lieblich im Winde, der uns in den sonst heißen Stunden des Tages Kühlung zuweht. Prachtvolle dunkle Wacholdersträucher, hochgewachsen wie Zypressen, schmücken das rechte Ufer.

Vor dem Stationshaus in Karbu trat mir ein älterer Mann in weißem Turban entgegen. – »Guten Tag, Abdullah!« rief ich ihm zu, denn ich erkannte in ihm sofort den Braven, der mir im Jahre 1902 über die Schneefelder des Sodschi-la hinübergeholfen hatte.

»Salam, Sahib«, antwortete er schluchzend, fiel auf die Knie und umfaßte nach orientalischer Sitte meinen Fuß im Steigbügel.

»Willst du mit auf die lange Reise?« fragte ich.

»Ja, ich will euch folgen bis ans Ende der Welt, wenn nur der Commissioner Sahib in Leh es erlaubt.«

»Das werden wir schon einrichten. Aber sage mir, wie ist es dir ergangen, seit wir uns zuletzt sahen?«

»O, ich bin der Telkedar von Karbu und versehe durchreisende Karawanen mit allem, was sie gebrauchen.«

»Also überlege dir die Sache bis morgen, und willst du mich begleiten, so habe ich unter meinen Leuten eine Stelle für dich frei.«

»Da bedarf es keiner Überlegung: ich komme mit, und wenn ich auch nur eine Rupie monatlich erhalte.«

Aber Abdullah war zu alt und zu gebrechlich für Tibet, und die Bedingungen, die er nachher Robert mitteilte, waren viel realistischer, als er sie in der ersten Freude des Wiedersehens gestellt hatte: sechzig Rupien monatlich, alles frei, eigenes Pferd, und Befreiung von aller schweren Arbeit hieß es jetzt. Daraufhin sagten wir am nächsten Morgen einander auf ewig Lebewohl.

Nun meldete sich ein Reisender von der vorigen Station und klagte, die Poonchmänner hätten ihm ein Schaf gestohlen. Da sie leugneten, ließ ich den Kläger bis Kargil mitkommen, wo vor dem Magistrat Recht gesprochen werden sollte.

Wir näherten uns der imposanten Stelle, wo zwei Täler zusammenstoßen und der Dras sich mit dem Vackha vereinigt, passierten die scharfe Felsecke und ritten dicht am Ufer des Vackha aufwärts. Das Tal hat starkes Gefäll, und die gewaltige Flut stürmt in wildem Aufruhr dahin, bauscht und wölbt sich über die Blöcke in ihrem Wege oder bricht sich in schäumenden, zornig erregten Wogen. Mehrere alte Bekannte und der Wesir Wesarat selber kamen uns entgegen, und noch ehe wir in Kargil (Abb. 21) anlangten, begleitete uns eine ganze Kavalkade. In einem kühlen Hain von Pappeln und Weiden schlugen wir unsere Zelte auf, und der nächste Tag wurde zur Rast bestimmt.

siehe Bildunterschrift

21. Kargil. Skizze des Verfassers.

Dieser nächste Tag brachte einige malerische Situationen. Umgeben von den Behörden von Kargil, mit dem Punditen Laschman Das, dem Wesir Wesarat, an der Spitze, hielt ich Gericht über das zusammengeraffte Pack, das schon in der ersten Reisewoche so viel Verwirrung angestiftet hatte. Zuerst wurden sämtliche Kaschmiris und ihr Anführer Aziza entlassen. Dann kam die Reihe an ihre Landsleute, die Mais und Gerste für unsere Tiere auf gemieteten Pferden bis hierher befördert hatten, und schließlich an alle Poonchmänner. Wegen des Schafdiebstahls wurde folgendermaßen Gericht gehalten. Man band die Verdächtigen an ein paar Bäume fest; aber obwohl der Schatten kühl war, wurde ihnen die Zeit doch zu lang, und nachdem sie drei Stunden vergeblich auf einen rettenden Engel gewartet hatten, gestanden sie ohne weiteres und wurden dann verurteilt, den doppelten Wert des Schafes zu bezahlen. Nun trat Khairullah vor und bat für seinen Freund Aziza; da seine Bitten nichts halfen, wurde er verdrießlich und weigerte sich rund heraus, die Nachtwache zu übernehmen. Nun wurde auch er verabschiedet und durfte sich den anderen Afghanen Bas Ghul, der an periodischem Wahnsinn litt und überdies ein Spitzbube war, zur Gesellschaft mitnehmen. Es war mir eine wahre Beruhigung, diese Zierden der Sicherheitswache unserer Karawane los zu sein. Von dem ursprünglichen »Orientalistenkongreß« in Srinagar waren jetzt nur noch vier Mann übrig, nämlich Robert, Manuel, Ganpat Sing und Bikom Sing.

Als wir am 26. Juli von Kargil aufbrachen, nahmen wir 77 gemietete Pferde nebst ihren Führern mit; der Proviant der Tiere bildete 161 kleine Lasten. Ein einheimischer Tierarzt sollte uns begleiten, um aufzupassen, daß die Maulesel gut gepflegt würden. Seitdem ich alle Gerste, die ich erhalten konnte, gekauft hatte, war unsere Karawane gewachsen, und die in Kargil vorgenommene Auslese machte die nächsten Tagereisen nach Leh viel angenehmer als die früheren.

Bei Schirgul passierten wir den ersten Lamatempel auf dieser Reise; oberhalb Mullbe aber wurden diese Tempel immer zahlreicher. Bei jedem Schritt merkt man, daß man im Lande der Lamas ist; Storchnestern ähnlich thronen die kleinen weißen Tempel tibetischen Stils auf ihren Felsenspitzen oder Vorsprüngen und beherrschen die Täler und die unter ihnen liegenden Dörfer. Doch nur selten ist ein Mönch in seiner roten Toga zu sehen; die Tempel scheinen still und ausgestorben zwischen den pittoresken Tschortenmonumenten und Mani-Mauern zu liegen. Das ganze Relief des Landes erscheint jetzt viel ausgeprägter als im Winter, wo die ewig weiße Schneedecke alles gleich macht und alle Formen glättet. Und scharf treten auch die phantastischen Umrisse der Berge hervor mit wilden Felsspitzen und zinnenartigen Kämmen, die oberhalb Bod-Karbu mit den alten Mauern und Türmen verwachsen, wovon jetzt nur noch Ruinen übrig sind.

Am 28. Juli gingen wir auf einer ziemlich festen Brücke über den Fluß und stiegen immer höher das Tal hinauf, das zum Po tu-la (la = Paß) führt. Bald hinter dem Passe kamen uns die Behörden von Lamajuru mit Blumen und Früchten entgegen, und jeder bot, der Landessitte gemäß, eine Rupie dar, die man indes nur mit der Hand zu berühren braucht. Eine Strecke weiter wurde ein erstes Tschorten sichtbar, dem andere in langen Reihen folgten; die Mani-Mauern wiesen auf das berühmte Kloster Lama-juru hin. Noch eine vorstehende Ecke weiter und man hatte freie Aussicht auf ein kleines Tal zwischen hohen Bergen; hier erhob sich senkrecht die Geröllterrasse, auf der das Kloster erbaut ist. Nur einige weiße Tempelgebäude hoben sich da oben scharf gegen das ewige Grau ab, und in der Tiefe des Tales dehnten sich zwischen spärlichen Baumgruppen Ackerfelder aus.

Sobald unsere Gesellschaft oben im Tal sichtbar wurde, ertönte Musik, und von den Tempeldächern hallten die langen Messingposaunen so tief und feierlich wie Orgelklänge. Es schallte ordentlich festlich zwischen den Bergen wider. Ob Tibets Lamaklöster mich wohl je ebenso freundlich willkommen heißen würden? Als wir in das Dorf einzogen, standen dort etwa dreißig Frauen in ihren besten Kleidern, in pelzverbrämten, bunten Mänteln, mit Scheuklappen, die fest mit den Haarzöpfen verflochten waren, und mit Türkisen auf dem Scheitel. Alle Dorfbewohner waren herausgekommen und bildeten eine malerische Gruppe um die Musik, deren Flöten und Trommeln eine ohrenbetäubende Weise anstimmten.

Nachmittags gingen wir nach dem Tempelkloster hinauf, an dessen Hauptportal uns der Prior und die Mönche (Abb. 23 und 24) in Empfang nahmen. Sie führten uns in den von alten Gebäuden, Tschorten und Fahnenstangen umgebenen, offenen Hof des Klosters (Abb. 22). Von hier aus hat man eine großartige Aussicht über das Tal, das sich zum Indus hinabsenkt. Unter dunkeln Wolkenmassen und bei feinem Regen tanzten nun sieben Mönche einen Beschwörungstanz; sie hatten sich furchterregende Masken von wilden Tieren, Höllengeistern und Ungeheuern mit lachendem Munde, Hauern als Zähnen und unheimlich starrenden Augen vorgebunden. Die bunten Röcke standen beim Tanzen glockenförmig ab, und die ganze Zeit über spielte die bizarre Musik (Abb. 25). Wie müssen sich die Mönche hier in ihrem freiwilligen Gefängnisse langweilen! Offenbar ist es ihre einzige Zerstreuung, der Neugier durchreisender Fremdlinge ihren religiösen Fanatismus vorzuführen.

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22. Tschorten im Kloster von Lama-juru. Skizze des Verfassers.

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23. 24. Mönche. 25. Kirchenmusik in Lama-juru. Skizzen des Verfassers.

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26. Sumto-Tal unterhalb von Lama-juru. Skizze des Verfassers.

Gleich hinter dem Dorfe geht es in der schmalen, engen und wilden Talschlucht, die zum Indus hinunterführt, halsbrechend steil abwärts. Der tief eingeschnittene Dras wird auf kleinen, netten Holzbrücken passiert, und nach ein paar Stunden reitet man wie durch ein Tor in das große, helle Tal des Indus ein und hat den berühmten Fluß vor sich. Er ist wie ein König anzuschauen, und ich halte eine ganze Weile auf der schwankenden Holzbrücke, um die ungeheuren Wassermassen zu betrachten, die mit ihrer gewaltigen Last und ihrem reißenden Laufe die Talrinne immer tiefer aushöhlen müssen. Das Stationshaus von Nurla erhebt sich unmittelbar über dem Flusse, der unter den Fenstern tost und rauscht.

Der Tag war glühend heiß gewesen; es war, als ob die Felsen und der Boden dieses grauen, unfruchtbaren Tales doppelte Wärme ausstrahlten, und selbst in der Nacht waren es noch 16 Grad. Selbst das Flußwasser hatte bei Tage 12 Grad gehabt, und obgleich schmutziggrau wie Haferbrei, war es doch bei der Hitze ein herrliches Getränk.

Bis Saspul reitet man auf dem rechten Ufer, unmittelbar über dem Flusse. Hier ist der Weg oft sehr gefährlich, da er wie ein Wandbrett in eine steile Felswand eingeschnitten ist, und man fühlt sich erst sicher, wenn das wertvolle Gepäck alles glücklich vorüber ist. Die Gefahr besteht darin, daß ein Packpferd sich an der Bergseite an einem anderen vorbei- und dabei dieses über den Rand der Felsen hinausdrängt, so daß man im Handumdrehen seine Instrumente, photographischen Apparate oder Rupiensäcke verlieren kann.

Bei Dschera stürzt ein kleiner smaragdgrüner, weißschäumender Bergbach ungestüm in den Indus hinunter, um in dessen Armen zu sterben – das klare, grüne Wasser wird augenblicklich von dem überwältigenden, trüben Induswasser verschlungen. Man freut sich der ständig wechselnden, kühnen Perspektiven und der Überraschungen, die sich bei jeder neuen Biegung darbieten. Ich folge mit den Blicken der saugenden Spirale eines unermüdlichen Stromwirbels oder dem zischenden Sprühregen, der im peitschenden Winde von den Wogenkämmen aufspritzt, und beneide fast die trüben Strudel dieses Wassers, das aus dem verbotenen Lande kommt, aus Gartok, aus den Gegenden im Norden des heiligen Kailasberges, ja, aus der unbekannten Quelle des Indus selber, wohin noch nie ein Reisender vorgedrungen und deren Lage noch nie auf einer Karte verzeichnet worden ist!

Die Brücke von Altschi sah mit ihren krummen, nachgebenden Balken noch ebenso lebensgefährlich aus wie beim letzten Male, aber ihr schwankender Bogen verbindet doch kühn die beiden Ufer, und während einer herrlichen Rast im Schatten wurde die Brücke mit ihrem Geländer meinem Skizzenbuche einverleibt (Abb. 27). Die Wellen schlagen melodisch gegen den steinernen Kai der Straße, und man vermißt ihr Lied, wenn der Weg das Flußufer verläßt und nach Saspul hinaufgeht, wo uns wie gewöhnlich Musik und tanzende Frauen empfangen.

siehe Bildunterschrift

27. Indus-Brücke bei Altschi. Skizze des Verfassers.

Basgho-gumpa (gumpa = Kloster) hat eine schöne Lage in einem Nebental des Indus. An der linken Talseite ist das Kloster auf einem länglichen Felsen erbaut, auf dessen Gipfel sich die weißen Mauern zu drei Stockwerken mit Altanen, wirkungsvollen Dachgesimsen und Wimpeln erheben. Eine Menge Tschorten und Manis umgeben Basgho. Auf grünen Schieferplatten ist die heilige Formel des indischen Gottes Avalokiteschvara » Om mani padme hum« (»Oh das Kleinod im Lotos! Amen«) eingehauen, und Eidechsen, grün wie der Stein, huschen über die ewigen Wahrheiten hin.

Der 1. August war der letzte Tag auf dem Wege nach Leh. Ein strahlender, stiller Morgen; durch das Laub der Aprikosenbäume schlüpften die Sonnenstrahlen freundlich und warm und warfen grüne Reflexe in das Innere des Stationszimmers. Wir ritten in der Nähe des Indus, bis an die Stelle, wo das Kloster Spittok auf seinem Hügel liegt, nachher aber biegt der Weg vom Flusse ab und führt gerade hinauf nach Leh, das sich, von sommerlich grünen Gärten umgeben, schon in der Ferne zeigt. Mohanlal, ein Kaufmann in Leh, der einen großen Teil der endgültigen Ausrüstung übernommen hatte, kam uns entgegen, und als wir an einem üppigen, eingefriedigten Kleefeld vorbeiritten, erzählte er, daß er es für meine Maulesel gekauft habe.

Am Eingangstor eines großen Gartens stiegen wir ab und gingen hinein. In der Mitte des Gartens erhebt sich ein von Pappeln und Weiden umgebenes, steinernes Haus – sonst wohnt der Wesir Wesarat, der Vertreter Kaschmirs in Ladak, darin; jetzt sollte es zwölf Tage lang mein Hauptquartier sein. Hier hatte ich zum letztenmal für zwei lange Jahre ein Dach über dem Kopfe und fühlte mich in meinem geräumigen Arbeitszimmer eine Treppe hoch außerordentlich wohl. In einem anderen Zimmer wohnte Robert, und ein offener, schattiger Balkon ward als meteorologisches Observatorium eingerichtet. Im Erdgeschoß regierten Manuel und die beiden Radschputen; auf dem Hofe war ein beständiges Kommen und Gehen von Lieferanten und neuen Dienern. An den Garten grenzte unser Stall, wo die neuen Pferde unter freiem Himmel aufgereiht standen.

Leh ist der letzte anständige Ort, den man auf dem Wege nach Tibet berührt. Hier sollte auch die letzte Ausrüstung stattfinden. Nichts durfte versäumt werden; vergaß ich etwas, so konnten wir es nie mehr bekommen. Hier rollte auch der silberne Strom der Rupien ununterbrochen dahin, aber ich tröstete mich damit, daß ich bald in Gegenden gelangen würde, wo man beim besten Willen auch nicht einen einzigen Heller ausgeben konnte. Eine große Karawane saugt Geld wie ein Vampir Blut, solange man in bewohntem, angebautem Lande weilt; wenn aber jede Verbindung mit menschlicher Kultur abgeschnitten ist, muß sie von sich selber zehren; daher schwindet sie allmählich dahin und geht ihrem Untergang entgegen. Solange wie nur irgend möglich, läßt man daher die Tiere soviel fressen wie sie mögen; der beste Klee muß beschafft werden, und Pferde wie Maulesel werden so gut gepflegt, daß sie nachher noch lange von ihrem eigenen Fette zehren und die ihrer wartenden Strapazen aushalten können.


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