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Sechstes Kapitel.
Zum Rande der tibetischen Hochebene.

In Pobrang hatten wir wieder einen Ruhetag; dort trafen wir das letzte gute Weideland auf dem Weg nach Tibet; auch war es wichtig, daß Leute und Tiere sich allmählich, Schritt für Schritt an die zunehmende Höhe gewöhnten. Ich hatte ferner meine Post aus Schweden und Indien erhalten und war lange in meine Briefe und ihre Beantwortung vertieft; der Postbote sollte schon am nächsten Morgen nach Leh zurückkehren. Es war jedoch vereinbart worden, daß uns noch ein »Mail-runner« von dort nachgeschickt werden sollte. Von Pobrang aus sollte er einen Kameraden mitnehmen, weil die Gegend der Wölfe wegen unsicher ist. Nach dem Aufhören des Weges würden sie den Spuren der Karawane leicht folgen können, und es wurde verabredet, daß wir an zweifelhaften Stellen kleine Steinhaufen anlegen wollten, nach denen die Postboten sich richten könnten. Sie ließen jedoch nie wieder etwas von sich hören, und ich weiß nicht, wie ihr Vorhaben abgelaufen ist! Pobrang blieb also der letzte Punkt, an dem ich noch mit der Außenwelt in Berührung stand.

Hier kauften wir auch dreißig Schafe als lebenden Proviant, denn mehr glaubten wir nicht nötig zu haben, da die Jagd doch auch etwas abwerfen mußte und einige meiner Leute tüchtige Jäger waren.

Auf Muhamed Isas Vorschlag wurde Sonam Tserings Lohn auf zwanzig Rupien erhöht und er selbst zum Karawan-baschi der Maulesel ernannt. Der alte Guffaru war Anführer der Pferdekarawane, und Tsering, wie wir Muhamed Isas jüngeren Bruder ganz einfach nannten, hatte die Oberaufsicht über die kleine Karawane, die mein Tagesgepäck, mein und Roberts Zelt und die Küche beförderte.

Der Tschamadar Rahman Khan, der 1902 mein Führer gewesen und nun schon von Lama-juru mit uns gekommen war, wurde entlassen und gut bezahlt, ebenso die beiden Tschaprassis Rasul und Ische. Der alte Hiraman wollte uns durchaus noch eine Tagereise weit begleiten, während der »Numberdar« von Pobrang und der »Kotidar« von Tankse uns, wie gesagt, noch bis auf das Plateau hinauf bringen sollten. Auf diese Weise schrumpfte die Gesellschaft allmählich zusammen; zuletzt sollten uns die gemieteten Pferde und ihre zehn Führer verlassen.

Allabendlich pflegte ich mit Muhamed Isa Rat zu halten; gewöhnlich war auch Robert zugegen, denn er war ja doch der erste aller meiner Diener, er leitete die Geschäfte der Karawane und führte Buch über unsere Ausgaben. Wir beschlossen jetzt, daß einige der gemieteten Yaks das Boot tragen und unsere letzten Kulis umkehren sollten. Dann machten wir einen Überschlag über unseren Proviant; der Mais und die Gerste mußten 68 Tage ausreichen; das Mehl für unsere dreißig Leute hielt wenigstens 80 Tage, bei einiger Sparsamkeit drei Monate vor; der Reisvorrat konnte erst nach vier bis fünf Monaten erschöpft sein. Doch wie man auch rechnet und seine Voranschläge macht, eine Durchquerung ganz Tibets ist immer eine riskante, abenteuerliche Sache, und die Rechnung stimmt selten. Man kann sicher sein, daß man seine Tiere massenhaft verliert; es kann vielleicht auch zu einer Krisis kommen, in der die Lasten den noch lebenden Tieren zu schwer werden und man einen Teil des Gepäcks opfern muß. Aber es kann auch vorkommen, daß der Proviant schneller zu Ende geht als die Tiere; dann müssen diese sich große Schmälerungen ihres Futters gefallen lassen und sich schließlich nur noch von dem ernähren, was die Erde bietet.

Die Hauptsache war mir jetzt, daß ich die Karawane so lange halten konnte, bis wir nördlich vom Bogtsang-tsangpo, etwa in 32° n. Br. und 86° ö. L., die ersten Nomaden treffen würden; waren wir erst glücklich so weit, dann halfen wir uns schon auf irgendeine Weise durch. Schon jetzt entwarf ich einen Feldzugsplan, der hauptsächlich darin bestand, uns nie von Zeit und Entfernungen, sondern nur von Weideland und Wasser abhängig zu machen. Die Dauer eines Tagemarsches richtet sich dann nach dem Vorkommen dieser unentbehrlichen Hilfsmittel, und selbst ein einstündiger Marsch genügt für einen Tag, wenn er nur zu leidlicher Weide führt. Wo jedoch das Land völlig unfruchtbar ist, kann man beliebig weit vorrücken. Von meinen wirklichen Plänen ahnte noch keiner etwas; erst wenn die letzten Männer uns mit ihren Pferden verlassen hatten, wollte ich alles verraten. Tat ich das jetzt schon, so wäre der Plan in Ladak bekannt geworden und hätte von dort aus die Ohren meiner Gegner erreicht. Dann aber wäre mir schon am Bogtsang-tsangpo, wie schon so oft, ein unerbittliches »Bis hierher und nicht weiter« entgegengeklungen.

Am 24. August verließen wir Pobrang, das letzte Dorf, und ritten talaufwärts. Auf kleinen Rasenplätzen sonnten sich prächtige zahme Yaks. Links dehnt sich das Ldatatal aus, dessen unterer Teil gute Weide hat. Von einer flachen hügelartigen Bodenerhebung mit ein paar Steinmalen aus gesehen, erscheint das Land nach Osten hin mit seinen flachen, abgerundeten Formen und seinen wenig ausgeprägten offenen kleinen Tälern mit ausgetrockneten Abflußrinnen immer mehr tibetisch. Alles sieht öde und unfruchtbar aus; nur noch kleine, harte Japkakpflanzen kommen vor. Das Steigen geht außerordentlich langsam, aber der Pfad ist in dem ermüdenden Kies oder Sand noch deutlich zu erkennen. Von Wasser sieht man keinen Tropfen. Das Wetter ist ganz tibetisch, bald glutheiß, wenn es ruhig und klar ist, bald rauh und kalt, wenn Wolken die Sonne verbergen und der Wind Roß und Reiter mit Flugsand umhüllt.

Bei Lunkar lagerten wir in der Nähe einiger verlassenen Steinhütten. Nur ein paar hundert Meter von uns entfernt weideten ein paar Kulane oder Kiangs, wie die Wildesel in Tibet und Ladak genannt werden. Neun Lagerfeuer erhellten die Dunkelheit, und zwischen ihren Feuerbränden zischte der Schnee, der abends fiel und, wie der Nachtwächter meldete, erst gegen Morgen aufhörte.

Am Morgen hörte man denn auch den knarrenden Ton, der entsteht, wenn man auf gefrorenen Schnee tritt; mein Zelt wölbte sich unter seiner Schneelast nach innen, und die ganze Landschaft verschwand unter der winterweißen Decke, während dichte Wolken über allen Kämmen schwebten. Manuel und Ganpat Sing hatten noch nie Schnee fallen sehen; sie machten ein überaus erstauntes und neugieriges Gesicht, sahen aber auch in ihren Pustins oder Jarkentpelzen recht verfroren aus. Die Hündchen hingegen waren über dies neue Begebnis höchst mißvergnügt und bellten den Schnee in ihrem Ärger so lange an, bis sie merkten, daß es ihnen nichts half. Unsere Dreistigkeit, die Karawane durch zwei große Hunde aus Pobrang zu verstärken, konnten sie auch nicht billigen. Eine andere Verstärkung, die in Lunkar gemacht wurde, bestand aus zehn Ziegen, die mich mit Milch versehen sollten.

Im Handumdrehen waren wir aus dem noch in Tankse herrschenden Sommer in vollständigen Winter auf den Höhen versetzt und erhielten einen Vorgeschmack von der Nähe der tibetischen Kälte. Vom Sommer bekamen wir dies Jahr wohl nicht mehr viel zu sehen, höchstens Pamsal konnte uns noch einen letzten Abschied von der warmen Jahreszeit bescheren.

Die ganze Karawane war noch da, als ich aus meinem Zelte trat, und wir brachen daher gemeinsam auf. Der alte Hiraman verabschiedete sich und ritt wieder nach seiner Hütte talabwärts. Die Sonne schien, und alles wurde daher blendend weiß; sogar die Ladakis mußten ihre Augen mit einer Wollzotte schützen, die sie sich vorn unter die Mütze steckten, und sahen mit diesem nichts weniger als kleidsamen Stirnschmuck urkomisch aus.

Der gewaltige Zug schlängelte sich jetzt, einer schwarzen Riesenschlange vergleichbar, zum nächsten Passe hinauf. Zuerst brachen die vierzig Schafe und Ziegen mit ihren Führern auf, wurden aber bald von den Mauleseln überholt, die nun den ganzen Tag an der Spitze marschierten. Der nächste im Zug war dann Muhamed Isa mit der Pferdekarawane, der die gemieteten Pferde mit ihren Führern und deren Yaks auf den Fersen folgten. In ihren Spuren trotteten unsere sieben gemieteten Yaks, deren Los es war, die schwersten Kisten und das Boot zu schleppen; sie machten ihre Sache ganz vorzüglich, waren aber auch Tiere erster Güte, große schwarze Biester; sie schienen weder die hohe Lage des Passes noch das Gewicht der Kisten zu fühlen und hielten den ganzen Tag hindurch mit den letzten im Zuge gleichen Schritt. Hinter den Yaks dann ritt ich mit Robert, dem Kotidar von Tankse und einem Mann zu Fuß, der mein Pferd hielt, wenn ich abstieg, um Gesteinproben zu suchen, Peilungen vorzunehmen oder Skizzen zu machen. Zuletzt kamen Tsering und Manuel mit meiner kleinen Lagerkarawane.

Wir waren noch nicht weit geritten, als wir das Pferd einholten, das als Nummer 52 auf der Liste stand, es war aus Sanskar und hatte 90 Rupien gekostet. Es hatte gestern nicht mehr gefressen, und heute ging es sichtlich mit ihm zu Ende, denn, von einem Manne angetrieben, taumelte es nur noch schrittweise vorwärts. Es blutete aus den Nüstern, sein Bauch war geschwollen und sein Maul kalt, was als schlimmes Zeichen galt; es schien an Schwindel zu leiden, fiel schließlich hin und war nicht mehr zum Aufstehen zu bewegen. Nach einer Weile raffte es sich zwar von selbst mit einer letzten Kraftanstrengung empor, rollte aber nur wieder auf die andere Seite. Vom Paß aus sah man es noch lange regungslos daliegen, seinen Begleiter neben ihm; dieser holte uns später wieder ein und erklärte, mit dem Pferde sei nichts mehr anzufangen. Es erhielt also Nummer 1 auf der Verlustliste, und ich bestimmte, daß der Kotidar von Tankse es behalten dürfe, falls es unerwarteter Weise doch noch genesen sollte.

Von unserem Lagerplatz in Lunkar aus hatte der heutige Paß, der Marsimik-la, ganz leicht und harmlos ausgesehen (Abb. 45), aber schon jetzt merkte man, daß sein Übersteigen eine recht ernste Sache werde. Zuerst mußten die Pferde alle fünf Minuten anhalten und sich verschnaufen, dann schon alle anderthalb Minuten, schließlich konnten sie nicht länger als eine Minute auf einmal weiter und mußten dann ebensolange stillstehen. Der Schnee lag jetzt beinahe fußhoch, und die Karawane sah in der weißen Umgebung wie eine rabenschwarze Schlangenlinie aus. Über der gewaltigen Schneekette im Süden und Westen türmten sich seltsam gelbgraue und violette Wolken. War die Sonne zu sehen, dann brannten uns Gesicht und Hände; verbarg sie sich aber hinter den Wolken, dann war es prächtig, und das Sonnengeflimmer im Schnee, das den Augen außerordentlich lästig war, dämpfte sich durch die Wolkenschatten.

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45. Lunkar mit dem Weg zum Marsimik-la.

Vor uns scheint die Karawane ganz still zu stehen, so langsam geht es in dieser stark verdünnten Luft. Trotzdem bewegt sie sich vorwärts, man hört es an den beständigen Rufen der Treiber. Einige Ladakis singen einstimmig und melodisch, um sich selbst und den Tieren die Arbeit zu erleichtern. Sie sind so heiter und vergnügt, als zögen sie zum Erntefest. Von Zeit zu Zeit aber dröhnt Muhamed Isas Stimme wie rollender Donner und läßt die Mahnrufe »Chavaß« und »Chabardar« ertönen. Hoch oben sehen wir ihn stehen in der letzten Biegung, die zum Paß hinaufführt, und hören, wie er als Mittelpunkt des Halbkreises, den die Karawane jetzt bildet, seine Befehle austeilt. Sein geübtes Falkenauge sieht jedes einzelne Pferd; wenn eine Last herunterzugleiten droht, ruft er den nächsten Mann an; wenn eine Stockung oder eine Lücke entsteht, wenn ein Tier vom Pfade abbiegt, er merkt es sofort. Die Hände in den Taschen und die Pfeife im Munde, geht er hinterher ruhig zu Fuß über den Marsimik-la.

Jetzt erreicht die erste Kolonne der Maulesel die Paßschwelle. Ein singender Freudenruf erschallt über den Bergen; er hört sich klar und rein, aber unbeschreiblich dünn, kalt und klanglos an und erstirbt sofort, ohne auch nur das schwächste Echo zu wecken; dazu ist die Luft zu dünn. Jede neue Abteilung, die den Paß erreicht, stimmt dasselbe Triumphgeschrei an. Mit einem Gefühl der Erleichterung sehe ich das letzte Pferd hinter der weißen Kammlinie des Passes verschwinden.

Auf dem höchsten Punkt des Passes machte ich wie gewöhnlich eine ziemlich lange Rast zu Beobachtungen, während Tserings Kolonne an mir vorbeizog und auch die Yaks grunzend über den Marsimik-la trabten. Die absolute Höhe betrug 5591 Meter, der Himmel war teilweise klar, und es war hier so warm wie in einem Ofen, obgleich die Temperatur nur auf +1,5 Grad gestiegen war. Bevor wir uns wieder in Bewegung setzten, waren uns die letzten des Zuges schon an der Felsecke, die den Eingang des abwärtsführenden Tales bezeichnete, aus dem Gesichte verschwunden. Einsam und verlassen lag das gefallene Pferd wie ein schwarzer Punkt im Schnee. Es war das Opfer, das die Götter des Passes als Zoll für unseren Übergang gefordert hatten.

Nach Osten hin sieht das Hochgebirge gleichmäßiger, wie abgehobelt aus, und keine ragenden Gipfel erheben sich über den Kämmen. Der Paßabhang ist widerwärtig mit Schutt und kleinen Blöcken bedeckt, die sozusagen in Schlamm schwimmen. Der Schnee taut, und man hört unausgesetzt ein sickerndes, brodelndes Geräusch. Den Weg der Karawane bezeichnet eine endlose Reihe kleiner tiefer Gruben, die sich mit Wasser gefüllt haben und die weiße Decke wie eine schwarze Schlangenlinie durchziehen. Unzählige Rinnsale sammeln sich zu einem Bache, der zwischen den Steinen dahinrieselt. Wo der Boden eben ist, bildet sich ein Sumpf, kuppelförmige Moosrasen verleihen ihm ein höckeriges Aussehen, und zwischen ihnen stehen Pfuhle, die oft hinterlistig tief sind. Wir folgen lange einem völlig vegetationslosen Abhang, und man wird beinahe ungeduldig, daß es so langsam nach dichteren Luftschichten abwärtsgeht.

Endlich geht es steil ins Tal hinab, einen unangenehmen Schuttabhang hinunter, den eine Menge kleiner Rinnsale durchfurchen. Von Westen her mündet hier ein großes, muldenförmiges Tal, in dessen oberem Teil man drei überschneite Gletscherzungen mit deutlich hervortretenden Frontspalten im Eise erblickt. Von ihnen stammt ein größerer Bach her, der sich mit dem Paßbach zu einem grüngrauen, weißschäumenden Flusse vereinigt. Von ihrem Vereinigungspunkt aus sehen wir das Tal, in dem wir zu unserem Lager ziehen sollen, in seiner ganzen Länge vor uns. Es ist tief und energisch eingeschnitten; der schäumende Fluß füllt seinen ganzen Boden aus. Man muß sich daher auf den abschüssigen Halden der rechten Talseite, ein- bis zweihundert Meter über dem Flusse, halten.

Hier kam uns einer der Hunde von Pobrang entgegen; er machte einen großen Bogen, um uns auszuweichen, und sah uns nicht einmal an, als wir ihn zu locken versuchten. Wahrscheinlich ahnte er, daß wir auf dem Wege nach unwirtlichen Gegenden seien und daß er bei Pobrangs elenden Hütten ein ruhigeres Leben führen könne. Über sumpfige, bemooste Schutthalden ging es dann endlich steil zum Lager hinunter, das sich gerade da erhob, wo unser Tal mit dem Spanglungtal in einem Winkel zusammenstieß, mitten zwischen hohen Bergen, wo nichts als das eintönige Rauschen der beiden Flüsse zu hören war (Abb. 46 und 47). Müde wirft man sich im Zelt nieder und freut sich über die wohlige Wärme des Kohlenbeckens. Bikom Sing war oben auf den Höhen und tat einen Fehlschuß auf eine Antilope. Muhamed Isa meinte scherzend, die Radschputen hätten bisher noch nicht mehr geleistet als die Hündchen. In unserer Mannschaftsliste zählte er sie überhaupt nicht mit; seiner Ansicht nach taten sie nichts, als an unseren Mehl- und Reisvorräten zehren.

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46. Lagerfeuer im Spanglung-Tal.

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47. Spanglung-Tal.

Kalt und bleich schwebte eine kleine Mondsichel über den Gebirgen, und wir waren froh, zur Ruhe zu kommen; nach einem solchen Tage kommt die Nacht als Erlöserin und Freundin.

Unser Weg nach Pamsal führte weiter durch das Spanglungtal abwärts, teils etwa fünfzig Meter über seiner Sohle, wo noch einige Schneeflecken mit dem kurzen Sommer kämpften, teils auf scharf gezeichneten Seitenterrassen, die mehrere Absätze bildeten. Der Weg war schlecht, denn die ganze Gegend lag voller Schutt. Auf der rechten Seite mündete das Lungnaktal mit kleinen Schneebergen im Hintergrund, und vor uns erhob sich eine mächtige schwarze Kette, die auf der Nordseite des Tschang-tschenmo-Tales liegt. Von Südwesten her mündet das Nebental Manlung ein; sein Fluß führte unserem Tal einen bedeutenden Zuschuß an trübem Wasser zu.

Als wir weiter hinuntergekommen waren, traten im Westen neue prächtige Schneeberge und zackige Gipfel hervor, es sind die Gebirge, die das Tschang-tschenmo-Tal einfassen. Der Pfad führte uns schließlich in dieses Tal hinein, und wir lagerten auf dem kleinen Vegetationsgürtel am linken Ufer seines Flusses (Abb. 49).

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49. Lager bei Pamsal.

Gegen Abend stieg der Fluß ansehnlich; als ich am folgenden Mittag seine Wassermenge maß, betrug sie 14 Kubikmeter in der Sekunde, und große Streifen des steinigen Bettes waren noch von dem mitternächtlichen Hochwasser naß. Im Sommer kann man hier nicht durch den Fluß reiten, er wälzt dann gewaltige Fluten nach dem Indus hinab. Sein Name ist Kograng-sanspo, während Tschang-tschenmo mehr das ganze Land ringsumher bezeichnet. Die Ladakis sagten, der Sommer werde hierzulande noch zwanzig Tage dauern; von da ab würden die Nächte kalt, aber die Tage blieben noch leidlich warm; dann aber komme bald der Winter mit immer heftiger werdender Kälte.

Nach Osten hinauf hat man fünf Tagereisen bis an den Paß Lanek-la, der dem durch ganz Tibet gehenden kolossalen Rücken des Karakorumgebirges angehört. Einige englische Reisende hatten diesen Paß überschritten. Mir war dieser Richtweg versperrt; ich hatte Lord Minto versprochen, den Wünschen der englischen Regierung nicht zuwider zu handeln, aber ich möchte wohl wissen, wer mich jetzt hätte hindern können!

Am 28. August verließen wir diesen friedlichen, gemütlichen Platz wieder, und nun sollte es lange dauern, bis wir wieder so tief hinunter kamen wie jetzt. Immer weiter entfernten wir uns von menschlichen Wohnungen und Wegen, einige Zeit noch blieben wir in bekannten Gegenden, dann aber erwartete uns das große unbekannte Land im Osten. Der Tag war schon freundlich und warm, als ich mit meinen gewöhnlichen Begleitern, Robert, Rehim Ali, einem unserer Mohammedaner, und den beiden Führern aus Tankse und Pobrang aufbrach.

Die linke Uferterrasse, auf der wir reiten, wird von einem Arm des Flusses bespült, der sehr trüb ist, kleine Stromschnellen bildet und gewöhnlich in mehrere Arme geteilt ist. Der ganze Talboden ist grau von Schutt; das Flußwasser hat ungefähr denselben Farbenton und macht sich daher in der Landschaft wenig geltend. Nichts Lebendes ist ringsumher zu sehen, weder zahme Yaks noch wilde Tiere, und auch von Menschen keine Spur. Dennoch verrät ein schwach ausgeprägter Fußpfad, daß sich Bergbewohner gelegentlich hierher verirren. Er führt uns wieder zum Flußufer hinab, und zwar zu einer Stelle, die der Mündung des engen, tiefen, kühn ausgeschnittenen und mit den gewöhnlichen Terrassen versehenen Quertales Kadsung gegenüberliegt, aus dessen Tor ein Bächlein mit klarem, blauem, herrlich frischem Wasser heraustritt, um sich mit dem trübgrauen Wasser des Hauptflusses zu vermischen und sich von ihm verschlingen zu lassen. Hier führt der Pfad wieder aufwärts, um über einen kleinen Paß hinweg die Entfernung bis zu unserem heutigen Lager abzukürzen. Schon aus weiter Ferne konnte man sehen, daß mitten auf der steilen Halde, da, wo der Pfad hinlief, ein Erdrutsch stattgefunden hatte und eine tiefe Spalte entstanden war, über die wir ohne besondere Vorarbeiten kaum hinübergelangen konnten. Eine Schar Leute wurde also mit Spaten und Hacken vorausgeschickt; unterdessen versammelten sich die verschiedenen Abteilungen der Karawane am Ufer.

Einige Fußgänger untersuchten die Furt, denn hier mußten wir über den Hauptfluß hinüber. Allerdings schäumte das Wasser in weißen Flocken um die Brust der Pferde, die jetzt in langen Reihen hinübergeführt wurden, aber die Tiefe überstieg nirgends 70 Zentimeter, und alle kamen glücklich am anderen Ufer an (Abb. 50, 51, 52). Den Yaks bereitete das Bad sichtlich Vergnügen, sie wateten so langsam wie nur möglich durch das Wasser, und mein Boot schwebte über seinem eigenen Element, ohne es auch nur zu streifen. Am schwersten waren die Schafe und Ziegen hinüber zu bringen. Die ganze Herde wurde nach dem Rand des Wassers hinuntergetrieben, dort packte man einige an den Hörnern und warf sie in den Fluß, obgleich sie sich verzweifelt zur Wehr setzten. Die anderen aber fanden die Situation zu ungemütlich, machten kehrt und retteten sich in wilder Flucht auf die nächste Terrasse hinauf. Zum zweitenmal wurde die ganze Gesellschaft ans Ufer getrieben und dort von den Männern, die eine Kette bildeten, ins Wasser gestoßen; als jetzt die ersten sich zum Waten entschlossen, folgten ihnen auch die anderen und kämpften tapfer gegen die starke Strömung an.

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50. Passierung des Tschang-tschenmo auf dem Weg nach Gogra.

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51. Rabsang, Adul, Tsering und Muhamed Isa.

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52. Muhamed Isa mit Tsering und Adul in einer Furt des Tschang-tschenmo bei Pamsal.

Sobald man ein paar Minuten jenseits des kleinen Passes Mankogh-la ist, hat man einen übersichtlichen Blick über das Tal des Kograng-sanspo, wenigstens über den oberen Teil eben des Tales, dem wir von Pamsal aus gefolgt waren; es macht also hier eine scharfe Biegung, und wir kamen über Hügel und Ausläufer hinweg wieder nach dem Flußufer hinunter. Der Lagerplatz, der ziemlich gute Weide hatte, hieß Gogra. Von hier aus führen zwei Täler zum Hauptkamm der Kara-korumkette hinauf: das Tschang-lung-barma und das Tschang-lung-jogma, oder »das mittelste und das untere Nordtal«. Beide Täler mußten uns zu einem bösartigen Passe führen; wir entschieden uns für das zweite. Irgendwie würden wir schon hinüberzukommen wissen, und an gefährlichen Stellen konnte im Notfall das wertvollste Gepäck von den Männern getragen werden. Die Mütze schief auf dem Kopfe, den Pelz nachlässig um die Schultern und die unentbehrliche Pfeife im Munde schritt Muhamed Isa wie ein Feldmarschall im Rauch der Lagerfeuer umher und erteilte seine Befehle für den morgenden Marsch. Zwar hatte keiner unserer Leute den Weg selbst gesehen, nach ihren unbestimmten Erzählungen davon ließ sich jedoch ahnen, daß uns eine böse Kampagne bevorstand.

Bedeutend höher kamen wir während des Marsches eigentlich nicht, aber es ging über so viele Höhen und steile Abhänge hinauf und hinab, daß die Tagereise ebenso angreifend war, wie wenn sie uns über eine Reihe von Pässen geführt hätte. Der Fluß war jetzt bedeutend kleiner, da wir schon viele seiner Nebenflüsse hinter uns gelassen hatten. Trotzdem war das Durchwaten beschwerlicher als das vorige Mal, denn die ganze Wassermasse strömte in einem einzigen Bette dahin, und das Gefälle war stärker. Es schien aussichtslos, die Schafe in das morgenkalte Wasser hineinzubringen, wo, wie sie recht gut wußten, die Strömung sie fortreißen würde. Ihre Hirten unterhandelten noch vergeblich mit ihnen, als ich sie aus dem Gesicht verlor, und ich weiß nicht, wie es bei der Überführung zuging; hinüber aber kamen sie, denn sie langten wohlbehalten im Lager an. Der schwarzgrüne Schiefer, der sich hier in der Umgegend findet, ist teils stark verwittert, teils hart und frisch. Auf einem Hügel steht ein großes Steinmal, und einer der Leute behauptete, hier habe eine alte Straße nach Jarkent vorbeigeführt, während Guffaru versicherte, daß wenigstens einige der Begleiter Forsyths durch diese Gegenden gezogen seien.

Die Hauptmasse des Flusses kommt aus einem großen, nordwestlichen Tal, dessen Hintergrund Schneeberge bilden, während wir längs den Höhen eines Nebentales, das von oben gesehen einen großartigen, beinahe unheimlichen Eindruck macht, aufwärts ziehen. Unten im Talgrund rauscht melodisch ein kleiner, klarer Fluß. Nun geht es wieder in rotem, weichem Staub und Schutt abwärts. Niedrige alte Steinmale bezeichnen den Weg und weisen uns wieder zum Boden des Tales hinunter, das hier nur 20 Meter breit und zwischen steilen, dunkeln Schieferfelsen eingezwängt ist. Ein wenig höher hinauf sind die Felswände lotrecht und der Fluß in einen dunkeln Gang eingepreßt. Man muß daher an der rechten Seite hinaufklettern, um die schwere Stelle zu umgehen, und der Anstieg ist sehr steil. Hier geriet die ganze Karawane ins Stocken; man sah Muhamed Isas riesige Gestalt gerade an der schroffsten Stelle des Abhanges stehen. Jedes Pferd mußte von fünf Leuten hinaufgebracht werden. Ein Mann zog es am Zügel, zwei stützten seitwärts die Last, um ihr Abrutschen zu verhindern, und zwei schoben von hinten nach; sobald sie auf einem weniger steilen Teil der Halde anlangten, rückten sie das Gepäck wieder zurecht, zogen die Stricke fester an, und dann mußte das Pferd sich auf der Spur der Karawane allein weiterhelfen.

In der Gegend Tschuta, wo wir uns wieder unten im Talgrund befinden, treten warme Quellen mit schwefelhaltigem Wasser zutage. Eine davon hat eine drei Meter hohe Pyramide gebildet, die einem Fliegenpilz ähnelt; gerade oben in der Mitte sickert das Wasser heraus und tropft an den Seiten herunter, wo es am Rande des Hutes einen Kranz von Stalaktiten bildet. Das Wasser hatte im Quellauge eine Temperatur von 51 Grad. Eine andere Quelle, deren Strahl gerade in den Fluß hineinsprühte, war nur 42 Grad warm. An vielen Stellen der Ufer und des Flußbettes selbst brodelt und siedet das Wasser.

Nach einigen weiteren schroffen Abhängen von Schutt und lockerem gelbem Staub landeten wir endlich im Tschang-lung-jogma-Tal, wo die Weide sehr dürftig war. Abends schneite es recht munter, und die Täler waren in ein mystisches Licht gehüllt, das wohl ein schwacher Reflex des Mondes war. Ein paar Feuer leuchteten aus dem Nebel hervor, und das große Zelt der Ladakis war von innen erhellt. Nur das Rieseln des Baches unterbrach die Stille. Plötzlich aber erschallten durch das nächtliche Schweigen langgezogene Rufe – es handelte sich um einige Pferde, die mit der Absicht umgingen, nach wirtlicheren Gegenden hinunter durchzubrennen.

Ein Ruhetag in diesem Lager war notwendig, denn vor uns wartete der hohe Paß, der eine Wasserscheide zwischen dem Indus und dem abflußlosen Plateau bildet. Muhamed Isa und Sonam Tsering ritten talaufwärts, um zu rekognoszieren, und inzwischen machten Robert und ich uns unter abwechselndem Sonnenschein und Schneetreiben daran, meine Kisten umzupacken; Winterzeug und Pelze wurden herausgenommen und das Zeltbett wurde kassiert; mein Bett sollte von nun an auf der Erde aufgeschlagen werden, auf einer Unterlage, die aus einer Wachstuchdecke und einer Filzmatte bestand; auf diese Weise kann man sich leichter warm halten.

Am letzten Tag des August ging es immer höher bergan (Abb. 56). Die Landschaft war kreideweiß von Schnee, aber schon vor Mittag war der Boden wieder schneefrei. Ich ritt jetzt einen kleinen, weißen, munteren Ladakipony, der sicher ging – wir wurden bald die besten Freunde. Eine kleine Steinmauer an einer Biegung bezeugt, daß dieser Ort von Menschen betreten worden ist, aber seit jenem Besuch sind vielleicht schon viele Jahrzehnte verflossen, denn von Pfaden oder anderen Merkmalen finden wir keine Spur. Alles ist vegetationslos; gleichwohl sieht man, daß hier kürzlich wilde Jaks gewesen sind. In der Mündung eines sehr kleinen, unansehnlichen Nebentales hatte Muhamed Isa drei Steinmale errichtet, die eigentlich für die erwarteten Postboten bestimmt waren. Hier bogen wir vom Haupttal ab. Die Formen der Berge werden jetzt abgerundeter, die relativen Höhen immer geringer und die Täler sind nicht mehr so tief eingeschnitten, wie die auf unserer gestrigen Reise. Das Bächlein, dem wir aufwärts bis zu seiner Quelle auf dem Hauptkamm folgen, ist das letzte, was noch vom Flußsystem des Indus übrig ist, aber es ist doch ein Kind des Indus und bringt dem Meere Kunde von diesen hohen Gegenden. Bald mußte der Winter seine Flut in Fesseln schlagen, bald schlummerte es in den Armen der Kälte und des Frostes, bis die Frühlingssonne es wieder ins Leben rief.

siehe Bildunterschrift

56. Im Schnee nordöstlich von Tschang-lung-jogma.

Auf einem Felsvorsprung war, auch eines von Muhamed Isas Wegzeichen, ein verwitterter Yakschädel aufgestellt und grinste uns entgegen. In einer kleinen Mulde gab es viele Japkakpflanzen, die so hart wie Holz waren, aber wir waren nun schon so weit, daß nicht einmal diese magere Weide verschmäht werden durfte. Wir lagerten daher an einem Punkt, dessen Höhe 5170 Meter betrug, nun schon fast 400 Meter mehr als die Höhe des Montblanc! Dieses Lager wurde Nr. 1 getauft, denn wir befanden uns bereits in Gegenden, die außerhalb des Bereiches der geographischen Namen lagen. Inmitten der Zelte wurde zur Erinnerung eine gewaltige Steinpyramide errichtet, denn die Männer hatten ja nichts anderes zu tun, während die Tiere in unserer unmittelbaren Nähe an den Japkakstengeln knabberten.


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