Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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172.

Leeds, den 29. Januar 1882.

Mein längerer Aufenthalt in Leeds bringt mir wie gewöhnlich längere und ruhigere Aufgaben. Vermutlich werden sie wieder, wenn halb beendet, durch irgendeinen Seitensprung unterbrochen. Ein englisches Sprichwort sagt: »A rolling stone gathers no moss.« – »Auf einem rollenden Stein sammelt sich kein Moos.« Das ist ein wenig mein Fall, obgleich ich in andern Beziehungen stetig genug bin. Mein Trost manchmal, wenn mir die Sache ernstliche Gedanken macht, ist, daß im Weltenplan auch »rolling stones« notwendig sind. Was die Behendigkeit des Rollens anbelangt, so lasse ich nicht viel zu wünschen übrig und erfülle insofern den Zweck meines Daseins leidlich.

Unsre Dampfmaschinen für elektrische Beleuchtung, von denen eine ziemliche Anzahl in Betrieb ist, fangen an, ihre Vorzüge und namentlich auch ihre Fehler zu offenbaren. Zu den letzteren gehört die Schwierigkeit, sie mit einer bis jetzt nie verlangten Regelmäßigkeit im Gang zu erhalten, die für ein stetiges Licht unerläßlich scheint. Dies wird durch einen »Regulator« erreicht, und von solchen Regulatoren gibt es verschiedene Systeme, aber keines, das völlig leistet, was die Aufgabe verlangt. In den letzten Wochen war ich damit beschäftigt, diese Regulatoren zu regulieren, soweit es möglich scheint, und machte kleine Reischen – nach London, Sheffield, Manchester, Birmingham und so weiter –, um unsre Kranken zu besuchen.

In einer Stahlfabrik zu Sheffield erlebte ich bei dieser Gelegenheit etwas, was man zum Glück nicht alle Tage sieht. In dem Augenblick, in welchem ich durch das Tor der Fabrik trat, brach das große Schwungrad des Schienenwalzwerks, und achthundert Zentner Gußeisen, in Stücken von einem bis zu hundert Zentnern, flogen wie aus Kanonen geschossen durch Dach und Wände. Im ersten Augenblick wußte niemand, was geschehen war. Etliche der fliegenden Stücke hatten Dampfröhren zerrissen, so daß das ganze Haus sich sofort mit einer zischenden, undurchdringlichen Wolke füllte, aus der Hunderte von Arbeitern herausstürzten. Eine Minute später fiel ein Stück des Dachs, dessen Träger durchgeschlagen waren, und verschwand in dem brausenden Nebel. Die Leute standen in einer dichten, lautlosen Gruppe etliche fünfzig Schritte von dem toll gewordenen Gebäude und warteten auf das nächste Ereignis. Die Ruhe dieser Gruppe war fast noch merkwürdiger als das Toben der entfesselten Kräfte. Das Schlimmste war übrigens vorüber. Zehn Minuten später konnte man eindringen, um zu sehen, wie viele Menschen unter den Trümmern begraben waren, und glücklicherweise war nur ein einziger Mann tot und fünf mehr oder weniger verwundet. Mit meinem Regulator konnte ich an diesem Morgen nicht viel machen. Die alte große Maschine hatte meine kleine für den Augenblick zu Tod reguliert. –

Ich müßte kein Mechanikus sein, wenn ich nicht nach derartigen Studien meinen eignen Patentregulator erfunden hätte, der uns aus aller Not erlösen sollte. Das ist natürlich die Überzeugung des Poeten im Augenblick der Inspiration. Wir wissen nachgerade, was sie wert ist; aber es wäre trotzdem nicht vernünftig, solche Stimmungen zu verachten und zu belachen. Wenig Gutes würde geschaffen ohne den süßen Wahn, den Glaube und Hoffnung uns einflößen.


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