Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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157.

Kairo, den 22. Januar 1881.

Meine Hauptbeschäftigung hier ist wie gewöhnlich: »Warten!« Nebenbei schreibe ich wütende Briefe nach Leeds, die mich wahrscheinlich selbst mehr aufregen als die Empfänger, welche an der Verzögerung und den damit zusammenhängenden Verlusten schuld sind.

Und wie unnötig! Das herrlichste Frühlingswetter lächelt über dem verzauberten Land, und jeden Morgen atme ich die köstliche Luft ein und lese gruselige Telegramme von England über Schneestürme und Überschwemmungen. Dazu finde ich doch allerhand zu tun: den einen Pascha aufzusuchen, dem andern aus dem Weg zu gehen; diese Verwaltung, wenn möglich, von der Torheit abzuhalten, eine gewisse Maschine zu kaufen, die andre von der Weisheit zu überzeugen, eine andre zu beschaffen. Und daneben stehen noch immer meine alten Freunde, die Pyramiden, und laden mich ein, sie zu besuchen.

Hierzu habe ich's jedoch nur einmal gebracht, und zwar ganz ausschließlich einer zulieb, die gewisse Pyramidenforscher für die älteste halten – die Staffelpyramide von Sakkara. Mein Freund Ed. Tylor, der Präsident der anthropologischen Gesellschaft von England, hatte mich gebeten, nach ihr zu sehen. Sie ist ihm tief ins Herz gewachsen, was übrigens die Pyramiden bei allen Menschen fertig bringen, die sich ihnen nähern. Ich glaube, man fühlt, daß man hier näher an der Wiege der Menschheit steht als anderswo. Wir verehren in ihnen die vergessenen glücklichen Kinderjahre unsers Geschlechts, in denen es überdies bereits die Kraft und Größe besaß, eine seiner erhabensten Torheiten zu verewigen. Kein Wunder übrigens, daß wir sie nicht mehr verstehen! Denn die Kraft und die Größe und die Dummheiten des menschlichen Geschlechts sind andre geworden.

Was Mr. Tylor quält, ist die Frage, ob die alte Pyramide zu Sakkara sechs oder sieben Stufen hat. »Sechs« steht in den meisten Büchern. Hätte sie sieben, so wäre der chaldäische Ursprung der ägyptischen Kultur um eine Wahrscheinlichkeit reicher. Nun sollte ich, wenn möglich, die siebente Staffel finden.

Man muß nur wissen, was man zu suchen hat, und einem Freund zulieb ehrlich wollen. Nach fünf Stunden des Grabens, Skizzierens und Hypothesierens hatte ich zu meiner völligen Befriedigung die siebente Staffel nachgewiesen.

Ein Ägyptologe werde ich deshalb noch lange nicht. Aber als Handlanger im altägyptischen Maurerwesen bin ich zu brauchen; namentlich, wenn man mir zuvor sagt, was dabei herauskommen muß. Das ist eine deutsche Eigentümlichkeit und hängt mit unsrer klassischen Schulbildung zusammen, die uns lehrt, in der Wahl der Gedanken zu leben und die anstößigen Tatsachen der Wirklichkeit nötigenfalls beiseite zu schieben.


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