Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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76.

Liverpool, den 12. April 1874.

Eine schlaflos kitzliche Woche! Am Ostermontag kamen endlich meine sieben Sachen aus Leeds und damit begann in Runcorn eine fast lebensgefährliche Arbeit. Es war nämlich nötig, durch die Schiffsseiten einzöllige Löcher in Platten zu schlagen, die unter der Wasserlinie liegen. Diese Löcher mußten vorläufig mit Holzstöpseln verschlossen werden, bis sie zum Einsetzen von Schrauben gebraucht wurden. Manchmal erforderte es die Arbeit, den Stöpsel minutenlang zu entfernen und das Wasser ins Schiff schießen zu lassen, so lustig es konnte. Daß sich hierbei von Mittwoch bis Freitag eine gute Masse Wasser im Schiffsraum ansammelte, ist natürlich. Am Freitagmorgen konnte das Boot nur noch mit künstlichen Mitteln von zweifelhafter Zuverlässigkeit im Gleichgewicht erhalten werden. Das Schlimmste waren die Nächte. Es schließt wohl niemand behaglich die Augen, der weiß, daß nur ein schwacher Holzpropf den Untergang eines ihm anvertrauten Schiffes verhindert und daß an der Stelle, wo es liegt, ein Wiederheben fast nicht möglich ist. In der ersten dieser Nächte wollte ich in dem Schiff wachen. Aber das unaufhörliche gleichmäßige Rieseln des Wassers durch die Löcher, trotz der Pfropfen, war in dieser Stille für Ohren und Nerven eine so ausgesuchte Qual, daß ich ihr nach einer Stunde entlief. Am andern Morgen, vor Sonnenaufgang, ehe ich um die letzte Straßenecke bog, welche die Anlegestelle des Boots verdeckte, konnte ich mich nicht enthalten, stehenzubleiben, um dem Stoßseufzer Luft zu machen: »Gütiger Himmel, laß mich nach dem nächsten Schritt das Schiff noch über Wasser sehen!« Vorgestern mittag war die gefährliche Arbeit beendet; abends pumpte die Maschine den hochgefüllten Kielraum aus; gestern habe ich eine kleine Privatprobe angestellt, die befriedigend ausfiel, und heute nacht schlief ich den Schlaf des Gerechten zum erstenmal wieder, ohne Wasser durch meine Träume rieseln zu hören.


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