Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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103.

Leeds, den 25. März 1877.

Stillere Zeiten. Gestern bin ich mit den Zeichnungen für die neue russische Militärstraßenlokomotive fertig geworden. Diese Art von Arbeit hat etwas Gemütliches, das auf kurze Zeit wohltut. Der Grundgedanke steht fest. Man hat jetzt nur noch die Dutzende von Stangen und Wellen, Blechen und Winkeleisen im Kopf hin und her zu drehen, auf dem Papier zu verschieben und zu verstellen, so daß keins dem andern in den Weg kommt, alles die richtige Stärke erhält, das Ganze hübsch aussieht und nicht schwierig zu machen ist. Es ist fast so unterhaltend wie das Spielen mit Bauhölzchen und bietet kleine Freuden und Überraschungen, von denen der Uneingeweihte nichts ahnt. Dabei ist die Sache nicht aufregend. Man geht ohne große Sorgen morgens an die Arbeit, klappt abends mit viel unnötiger Befriedigung die Bude zu und wird fast wieder jung dabei. »Manchmal seh' ich das Alte gern, und hüte mich, mit ihm zu brechen.«

Von den Schöpfwerken, die ich halb nach ägyptischem Muster in der Ukraine geplant hatte, geht jetzt eine Anzahl nach Spanien. So wandern Gedanken vom Nil über den Dnjepr an den Ebro. Das alte Studentenlied: »Überall bin ich zu Hause« u.s.w. wird in unsern unstudentischen Kreisen fast zur Wirklichkeit.

Doch geht's in dieser quecksilbernen Zeit mit allem so. Es gibt keine Entfernungen mehr. Alles sieht und hört alles. Vorige Woche begegnete ich Wilhelmi, dem ersten Geiger der letzten Jahre, den ich vor drei Jahren in Wien zum erstenmal gesehen, und die Woche zuvor war Rubinstein hier, den ich vor fünf oder sechs Jahren in Alexandrien gehört hatte. Das ist ein Klavierspieler! Und wieviel ernster und tiefer selbst das Virtuosentum geworden ist, verglichen mit der Richtung vor zwanzig Jahren! Bei aller Hast und allem Drängen sieht's doch aus, als ob die Strömung der Zeit gewaltig in die Tiefe ginge. Das Leben ist zu ernst geworden, um Zeit fürs Spielen übrig zu haben. So müssen die Spieler denn auch arbeiten wie die Holzspälter, im Schweiß ihres Angesichts, und ein paar Tropfen Herzblut dreingeben, wenn sie gehört sein wollen.


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