Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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50.

Hotel Abbat, Alexandrien, den 3. Februar 1872.

Glücklich habe ich das alte Land am alten Fleck wiedergefunden. Die Reise war kurz genug für ihre Länge. Solche Reisen sind unter Umständen recht öd und leer, wenn man sie mit den fast vergessenen Fahrten im Postwagen und Segelschiff vergleicht. Damals war man Mensch mit Menschen. Jetzt ist man eine unbehagliche Baumwollenballe; ein richtiger Frachtbrief ist alles, was dabei nötig ist.

Mittwoch abends acht Uhr verließ ich London. Die Nacht zuvor hatte ein Hurrikan über England gefegt, so daß in meiner Straße, in Sloane Street, eine Frau von einem Schornstein erschlagen worden war. Ich bereitete mich deshalb in Ergebung auf vier Stunden schwerer Seelenleiden vor und war aufs angenehmste überrascht, ungeschlagen durchzukommen. Der Wind war mit uns, was einen gewaltigen Unterschied macht. Trotzdem bezahlte alles um mich her dem Meer den üblichen Zoll. Um so größer war mein eignes Selbstgefühl.

Ostende wäre reizend im Mondschein, wenn einem nicht so katzenjämmerlich zumut wäre – ein Gefühl, das selbst in Brüssel noch nicht weichen wollte. Freund Schwarz sah ich auf dem Kölner Bahnhof. Er ist damit beschäftigt, sechstausend Aktien für die neue Rheingesellschaft zu unterzeichnen, deren Direktor er selbstverständlich geworden ist. Bis Frühjahr 1873 hofft er vier Schleppdampfer im Gang zu haben.

Nach einer Stunde ging's weiter, im Mondschein den Rhein hinauf und morgens früh neun Uhr war ich in München. Ein sonniger Tag brachte mich bis aufs Brennerjoch, wo es wieder Nacht wurde. Schade! Um fünf Uhr früh kamen wir nach Verona, hatten dort aber infolge eines Bahnunfalls einen Aufenthalt von drei Stunden, der von den italienischen Reisenden mit heftigem Gebärdenspiel ausgefüllt wurde und selbst eine deutsche Geduld prüfte. Die weitere Folge war, daß wir den Anschluß in Padua versäumten und dort von elf bis fünf Uhr liegen mußten. Dies gab mir Zeit, sechs Kirchen zu besuchen und den Gebeinen des Evangelisten Lukas nicht in der besten Stimmung meine Verehrung zu erweisen.

In Bologna wurde es abermals Nacht und in Ancona brach der vierte Reisetag an. Man gewöhnt sich an alles, so daß ich weniger müde erwachte als am ersten. Allein in meinem Wagen konnte ich die halbe Ostküste Italiens behaglich an mir vorüberziehen lassen. Doch wollte der italienische Himmel sich nicht geltend machen, und so kam auch die italienische Erde nicht zu ihrem Recht. Indessen ist die Fahrt von Ancona bis Foggia schön und eigentümlich bei jedem Wetter. Links das Meer, das häufig die Bahn bespült, im Vordergrund rechts ein Hügelland, mit mittelalterlichen Städten auf den Bergeshöhen und römischen Wachttürmen, die wie verlorene Posten da und dort an die Größe der alten Zeiten erinnern. Im Hintergrund die schneeige Kette der Apenninen, trotzige Berge, denen man nichts vom weichen Süden anmerkt. Nach zehn Uhr abends war Brindisi erreicht, das bei Nacht stille genug ist. Die beiden Boote, das englische und italienische, warteten schon rauchend der Abfahrtsstunde. Ich legte mich, nicht mit Unbehagen, obwohl mit geheimem Grauen die Schiffsatmosphäre einatmend, zum erstenmal nach längerer Zeit wieder zu Bette.

Die Überfahrt war peinlich. Sogar der dritte Schiffsoffizier wurde seekrank. »Wenn das am grünen Holz geschieht!« Überdies fährt man nur dreieinhalb Tage lang, hat also keine Zeit, wieder wohl zu werden. Jedermann war glücklich, als die Leuchttürme und die weiße Häuserreihe von Alexandrien auftauchten, die mir wie alte Bekannte erschienen, von denen ich gestern Abschied genommen hatte.

Der Vizekönig befindet sich zurzeit in Minieh und schickt mindestens zwei Telegramme täglich, um den Leuten hier Füße zu machen. Drei Beis überwachen mit Zittern und Jagen das Verladen meiner Sachen. Es scheint, daß ich mit meinen 330 Kisten schneller nach Oberägypten komme, als zu erwarten war. Die Beis liegen sich jeden Tag ein paarmal in den Haaren; wenn man sie allein hat, ist jeder einzelne ein Bild der Verzweiflung. Im Oberland muß es bunt aussehen. Der Mafetisch der Provinz, Akusch-Bei, sitzt, weil er Hunderttausend Pfund Sterling gestohlen haben soll. Von den neuen Zuckerfabriken ist keine fertig geworden und von den zwei großen alten (Minieh und Rhoda) ist die eine zur Reparatur in Stücke genommen, so daß Tausende von Morgen Zuckerrohr hoffnungslos auf den Feldern stehen.

In der Einsamkeit von Minieh wird mir Zeit bleiben, mehr davon zu erzählen. Hier geht sie mir so knapp zusammen, daß ich kaum meine alten Freunde, die Nadel der Kleopatra und die Pompejussäule besuchen konnte. Doch kroch ich heute in den Katakomben herum, welche die Araber leider in unanständiger Weise mißbrauchen und so die Studien des Altertumsforschers durch moderne Zutaten unnötig erschweren.


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