Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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64.

An Bord der »Ceres«, den 31. März 1873.

Glatte See, blauer Himmel; und eine Luft!! – Der schneeige Ida, den ich allmählich so genau kenne wie einen Berg meiner Heimat, verschwindet soeben wieder, vielleicht auf ein Jahr, vielleicht für immer. Das bequeme Schiff ist so menschenleer wie ein ausgestorbenes Kloster, und fünf Tage faulen Seelebens liegen vor mir, wenn ich es haben will. Was nachher kommt, weiß der Himmel. Jedenfalls wenig Zeit, um Briefe zu schreiben. Ich will deshalb den Augenblick nutzen, um mit der Vergangenheit aufzuräumen.

Es waren wieder ein paar echt ägyptische Tage. Wenn man einmal das Land kennt, so wundert man sich über nichts mehr, und wenn man sich über nichts mehr wundert, so sind derartige Unterbrechungen des Alltagslebens nicht übel. Der Reiz der Neuheit ist freilich dahin, dafür ärgert man sich und freut man sich auch in milderer Form. Doch zur Sache!

Am 27. Februar nachmittags landeten wir in Alexandrien, das sich seit etlichen Jahren weit weniger geändert hat als Kairo. Kleopatra und Pompejus ließ ich diesmal ruhig auf der Seite liegen. Dagegen unternahm ich noch am Abend einen raschen Aufklärungsritt dem Machmudiehkanal entlang, der sich so krumm, als ihn ein arabischer Arabeskenmaler hätte machen können, vom alten Hafen um die Stadt nach Osten zieht.

Tags darauf gingen wir nach Kairo.

Gleich am folgenden Morgen hatte Fowler eine Audienz beim Khedive. Ich selbst ging zur Vorsicht mit in den Palast, hatte aber nur das Vergnügen, in dem Vorzimmer auf den wohlbekannten, vielverlegenen Diwans eine halbe Stunde lang Kaffee zu trinken. Der Vizekönig erklärte Fowler, um was es sich handle. Die Schiffahrt auf dem Machmudiehkanal zwischen Alexandrien und Atfeh, seiner Mündung in den Rosettazweig des Nils, sollte in bessern Gang gebracht werden. Hierfür wünschte er eine Kostenberechnung, in welcher die Gewährleistung für den geregelten Betrieb der Seilschiffahrt auf zwei Jahre eingeschlossen sein müsse. Sodann verlangte er einen ähnlichen Überschlag für die Nilstrecke von Atfeh bis Kaffr Zeyat, um das System auf dem Flusse selbst zu erproben. Für die erforderlichen Studien sollte mir sofort ein Dampfer zur Verfügung gestellt werden, um zunächst die Nilstrecke zu befahren. Abends kam jedoch ein Sekretär nach meinem Gasthof und belehrte mich, Seine Hoheit habe sich anders besonnen; ich möge die Strecke Zeyat–Atfeh vorderhand unberührt lassen und meine Berechnungen auf den Kanal beschränken.

Nächsten Morgen begab ich mich zu dem vizeköniglichen Oberingenieur Rousseau-Bei, um womöglich zu erforschen, wie und aus wem ich die nötigen Angaben in betreff des Kanals herauspressen könne. Der gab mir einige Adressen für Alexandrien und Atfeh, sagte mir aber zum voraus, daß mir diese Leute nichts sagen würden ohne ausdrücklichen Befehl vom Vizekönig. Ich ließ also um entsprechende Briefe bitten, worauf der Vizekönig erklärt haben soll, er wünsche, daß die Studien ganz im stillen, ohne Wissen der betreffenden Leute, gemacht werden. Das hatte, wie ich vermute, den Zweck, zu verhindern, daß wir mit diesen Leuten in nähere Verbindung kämen und sie unterderhand für uns gewännen. Denn einige Tage später wurden diese sämtlichen Herren nach Kairo berufen, um einen Gegenbericht über unsre Pläne zu machen.

Somit war ich darauf angewiesen, ein wenig technische Poesie zu treiben und auf Grund von Annahmen sinnreiche Berechnungen aufzustellen. Da es sich namentlich um den jährlichen Kohlenverbrauch des Unternehmens handelte, wurde mir etwas bange. Der Kabinettschef des Vizekönigs tröstete mich jedoch mit der Versicherung, daß darin nicht die geringste Gefahr liege, »indem es ganz unmöglich sei, festzustellen, wieviel Kohle schließlich verbrannt werde«.

Meine Berechnungen schienen dem Khedive einzuleuchten. Doch konnte er sich nicht entscheiden, vorzugehen, ehe weitere Untersuchungen abgeschlossen seien. Somit hieß es: warten!

Die folgenden zwei Tage benutzte ich, um das ferne Ende des Kanals bei Atfeh anzusehen. Man geht zu diesem Zweck nach Damanur, einer kleinen Stadt im Delta, und reitet auf einem beliebigen Tier und zweifelhaften Wegen ungefähr drei Stunden lang nach Osten. In meinem Falle war es ein Gaul mit den Manieren eines Maulesels und der Geschwindigkeit einer Kuh. Der Sattel war ein wundersames Gefüge aus Stricken, Baumwollsäcken und Haaren. Steigbügel hatte die Maschine nicht, was nach einem sechsstündigen Ritt zuckende Lähmungserscheinungen in der unteren Hälfte des Menschen hervorruft. Im übrigen verbrannte ich mir, wie in alten Zeiten, die Nase und freute mich der grünen Natur, obgleich sie flach war wie ein Teller.

In Atfeh ist nichts zu sehen als ein paar Schleusen und eine alte Dampfpumpe. Der ansässige Ingenieur war verreist. Die arabischen Maschinisten jedoch und der unvermeidliche griechische Kaffeewirt klärten mich über dunkle Punkte des Kanalbetriebs bereitwillig auf, so daß ich den schmerzlichen Heimritt auf meiner Rosinante mit befriedigtem Geiste antreten konnte.

Mittlerweile hatte Fowler beim Vizekönig gefrühstückt, aber keine Entscheidung erzielt. Was ich zu wissen brauchte, um in England alles in Gang zu setzen, war festgestellt. Da erwachte ich am folgenden Morgen mit einem glücklichen Gedanken: Fowler, der das Warten viel besser versteht als ich, könnte ja allein warten! Nach einigem sanften Widerstreben wurde der Plan gebilligt, und ein paar Stunden später war ich auf der Rückreise nach Europa.

Sonst hatte ich in diesen zehn Tagen nur wenig Zeit, mich umzusehen. Doch besuchte ich manche altbekannten Plätzchen, die Zitadelle, die Pyramiden, die ewig schönen Höhen des alten Mokattam. Auch hörte ich die berühmte Vizeköniglich-Verdische Oper »Aida«, die mir mit ihrer eigentümlichen, höchst unverdischen Musik sehr zusagte. Über derselben steht die verblüffende Ausstattung, die in An- und Aufzügen altägyptische Verhältnisse und Bilder bis in die kleinsten Einzelheiten wiedergibt. Es ist ein wirklicher Genuß, der allerdings den Vizekönig ein paar hunderttausend Franken gekostet haben soll.

Auch an wunderlichen Geschichten aus dem Gebiet technischer und sozialer Ägyptologie fehlte es nicht. Die große Sudaneisenbahn, die vor ein paar Monaten beschlossene Sache war und die englischen Ingenieure in wilde Aufregung versetzt hatte, wurde plötzlich wieder aufgegeben. Auch in den Zuckerdistrikten geht es noch immer toll her, und niemand, der heute als Koch einschläft, weiß gewiß, ob er nicht morgen als Kellner aufwacht oder als gar nichts.

Trotz alledem geht das Land vorwärts. Das ungeregelte, oft unsinnige Drängen; das häßliche Treiben von Lügen und Diebereien läßt doch immer etwas zurück, was wie Fortschritt aussieht. Wohl dem, der all das nur zu beobachten braucht, als ob er durch ein Kaleidoskop guckte.


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