Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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145.

Leeds, den 5. Oktober 1880.

Noch immer drückt eine gewisse Stille auf unsre Geschäftswelt, wenn auch Arbeit genug in der Luft liegt. So kam ich dazu, mit Druckluftmaschinen, die wir für Oberst Beaumont und seine Tunnelbohrer bauen, zuerst zu spielen und dann, während ich eine Reihe von Versuchen mit denselben zu leiten hatte, mich lebhaft für die Sache zu interessieren. Dies zwang mich, das ganze Gebiet der neuesten Wärmetheorie durchzuarbeiten; ein wundervolles Gewebe von physikalischen Tatsachen und philosophischen Gedanken. Während man dem geheimnisvollen Leben von Kräften im Innersten der Stoffe nachspürt, das unfaßbare Unendlichkleine fühlt, greift und mißt, vergeistet sich uns die Materie sozusagen unter den Fingern. Es handelt sich hierbei nicht um phantastische Theorien, sondern um trockene Tatsachen, und es packt mich ein leiser Schauder, wenn mir aus dem tiefsten, geheimnisvollen Grunde der materiellen Natur dieses fast immaterielle Leben entgegentritt. Alles webt und lebt, zittert und schwingt in den unendlichen Massen des unendlich Kleinen – in diesem Augenblick in der Form von Hitze, im nächsten als Elektrizität, wieder im nächsten als plumpe, greifbare, ich möchte sagen: menschgewordene Kraft. Ist es das molekulare Leben des Weltgehirns? Sind wir daran, dem großen Pan in den Nerven zu wühlen; ist es etwas vom Urgeist der Schöpfung, der in den ruhelosen Milliarden von Atomen fortzittert?

Geistig, materiell – das sind Worte, weil wir keine andern haben. Aber wo bleibt die Materie, wenn wir mit dem Wirken ihrer unendlich kleinen Teile rechnen? Gerade wie Zeit und Raum, wenn wir uns in der unbegreiflichen Ausdehnung beider verlieren!

Ich sollte nun freilich das alles von Amts wegen längst gewußt haben. Aber es geht mir, wie vermutlich andern in ihren Wissenskreisen auch. Das menschliche Leben ist zu kurz, um nach allen Mücken zu schlagen, selbst den wichtigsten; und das menschliche Gehirn zu klein, um auch nur annähernd mit sich herumzuschleppen, was tragbar ist. So kam's, daß ich in den letzten Tagen viel Neues erfahren, viel Altes aufs neue gelernt habe und heute noch keineswegs damit zu Ende bin.

Morgen geht meine Straßenlokomotive mit den zwölffüßigen Rädern nach Huddersfield, um zum erstenmal ihr Brot zu verdienen. Ein Mann hat sie dort zum Steinefahren gemietet. Wenn sie in den nächsten Monaten nicht über ein Haus wegläuft oder sonst ein Unglück anrichtet, so kann aus ihr trotz alles Widerstrebens technisch konservativer Philister noch etwas werden.


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